Sozialisten plus Neos als Antithese zur leistungsbereiten Mittelschicht?
Ein Beitrag von Erich Körner-Lakatos
Nun wird die hauptstädtische Koalition aus SPÖ und Neos als sozialliberales Reformmodell gefeiert, eine politische Achse, die auch auf Bundesebene herbeigesehnt wird. Eine gute Gelegenheit, einen Blick auf diese beiden so gegensätzlichen Partner zu werfen, um die Hintergründe jenes Bündnisses auszuleuchten.
Geht es Ihnen gelegentlich auch so wie dem Verfasser dieser Zeilen, einem Soziologen: Da argumentiert einer ganz schlüssig und kommt zur These, an der Misere unserer Gesellschaft seien diejenigen schuld, die den Herrgott einen guten Mann sein und sich jahrein jahraus vom Sozialstaat durchfüttern lassen. Kurze Zeit später sagt ein anderer, die wirklich Reichen seien schuld, weil sie nicht produktiv seien und bloß ihr Kapital arbeiten ließen. Da man auch dieser Antithese ein Körnchen Wahrheit nicht absprechen kann, schwankt man, weiß sich nicht zu entscheiden.
Suchen wir nun nach einer den Widerspruch auflösenden Synthese, welche bekanntlich Hegels dialektischen Dreischritt vollendet, und – siehe da – es lichten sich die Nebel. Wir erkennen: Sowohl die von der Allgemeinheit alimentierte Unterschicht als auch die Hautevolee sind tendenziell asozial: arbeitsunwillig sowie den Gemeinsinn unterspülend. Die einen könnte man als Sozial-, die anderen als Kapitalschmarotzer charakterisieren. Beide Gruppen sorgen mit ihrem egoistischen Gehabe für Unmut bei den Leistungsträgern, also bei denen, die sich mit eingefleischtem Arbeitswillen, Sparsamkeit und Festhalten an bürgerlichen Wertvorstellungen ein bescheidenes Dasein schaffen.
Von den Last-Eseln der Gesellschaft
Vereinfacht ausgedrückt heißt das nicht anderes als dass man uns, den Last-Eseln der Gesellschaft, einen gehörigen Teil des Einkommens aus ehrlicher Arbeit abnimmt, um die „sozial Schwachen“ zu verhätscheln, aber auch, um die Schönen und Reichen des Landes mit niedrigen Steuersätzen, etwa für Stiftungen, im Lande zu halten. Kapital sei ja bekanntlich (im Gegensatz zu denen, die sich in der sozialen Hängematte räkeln und vor dem Flachbildschirm dösen) scheu wie ein Reh und schnell fort, sobald sich das Finanzamt meldet. Der Leistungsträger befindet sich in diesem Klassenkampf in einer denkbar ungünstigen Situation, nämlich im Zweifrontenkrieg. Die beiden Feinde der Mittelschicht stoßen auf jeweils genuine Art auf den Untergang der bürgerlichen Gesellschaft an: Die einen mit dem Champagnerkelch, die anderen mit der Bierdose. Gemeinsamkeiten der zwei Gruppen sind die Nichterbringung verwertbarer Leistungen sowie die freiwillige Ghettobildung.
Für Oberschicht und Unterschicht existiert kein Zusammenhang zwischen Leistung und Erfolg. In unserer Schlaumeiergesellschaft ist der Trickser ein Held. Der eine haut das Finanzamt übers Ohr, der andere das AMS oder das Sozialamt. Oben und Unten leben auf Kosten der Mittelschicht. Ein kluger Kopf (Wüllenweber, Die Asozialen, 2012) formuliert das so: Die Finanzindustrie macht die Oberschicht reich. Die Hilfsindustrie ermöglicht die Lebensform der Unterschicht … Das typische Einkommen an beiden Rändern der Gesellschaft ist kein Resultat von Arbeit, sondern leistungsloses Einkommen: Transferzahlungen des Sozialstaates oder Profite aus Vermögensanlagen.
Erb-Oberschicht ist keine Leistungselite
Eine kleine Oberschicht, so Wüllenweber, habe sich völlig abgekoppelt, reiche Erben, die anders als ihre Vorfahren nicht mehr in die Gesellschaft investierten, sondern nur Anleger seien und von ihren Gewinnen weniger Steuern zahlten als jeder abhängig Beschäftigte. Die Oberschicht sei mitnichten die Leistungselite der Wirtschaft, wie viele noch immer glauben. Auch keine vom Finanzamt verfolgte Minderheit, als die sie sich gerne darstellt. Im Gegenteil. Auf ihren breiten Schultern ruht nur eine leichte Steuerlast. Die Oberschicht überlässt die Finanzierung des Gemeinwesens weitgehend der arbeitenden Mittelschicht.
Nun zu den vermeintlich „sozial Schwachen“. Der Alltag in der Unterschicht wird nicht von materiellen Entbehrungen geprägt, sondern von Spielkonsolen, Smartphones, Computern und vom Fernsehprogramm. Die materielle Armut hat unser Sozialstaat längst besiegt. Der Publizist Christian Ortner versucht sich in seinem Buch „Prolokratie“ (2012) als Wiedergänger Gaetano Moscas. Ortners Prototypen, die heutzutage en masse vorkommenden und noch dazu wahlberechtigten intellektuellen Minderleister Kevin und Jessica, sind im Grunde genommen nichts anderes als Moscas „beherrschte Klasse“, die als form- und knetbare Restkategorie getrost vernachlässigt werden könne. Ortners Gedanken sind deswegen weder besonders neu noch besonders originell. Offensichtlich ist eines: Die Zentrifugalkräfte, die auf die Gesellschaft wirken, werden deutlicher spürbar.
Soweit das soziologische Fundament. Wer hier die Ober- und wer die Unterschicht in der medial bejubelten Wiener sozialliberalen Koalition vertritt, ist damit in seinen Grundzügen klar ersichtlich. Die Sozialdemokraten – Linkspopulisten, die sie seit jeher sind – geben vor, die Interessen der Benachteiligten unserer Gesellschaft zu vertreten. Das stimmt bloß bedingt, weil ein zentrales Ziel der Linken, nämlich mehr Gleichheit, nicht dadurch gelöst wird, dass man den vermeintlich Armen Geld zusteckt. Nein, Gleichheit ist vor allem dadurch zu erreichen, dass diese verhätschelten Armen endlich genauso viel arbeiten wie der fleißige Bürger. Natürlich empfinden das diejenigen, die im sich Faulbett unserer Gesellschaft wälzen als Zumutung. Die SPÖ sichert sich die Stimmen der Minderleister, um qua Mehrheit in den Vertretungskörpern ihre Klientel bedienen zu können. Und in erster Linie ihren Funktionärsapparat.
Neos sind eine Partei der Reichen
Wenden wir uns jetzt der Soros-affinen Gruppierung zu. Man muss es offen aussprechen: Die Neos sind eine Partei der Reichen. Das zeigt ein kurzer Blick auf die Wahlsprengel, wo die Pinken gut abschneiden. In Wien sind es die Villenviertel in Döbling und Währing. Offensichtlich gilt noch immer die alte Weisheit Wo das Geld ist sind die Liberalen nicht weit.
Die Neos sind nicht nur die Partei der Reichen, sie vertreten auch deren Anliegen. Das ist legitim. Wer also ein Aktiendepot von mindestens einer Million Euro sein Eigen nennt, wer dafürhält, dass alte Menschen sang- und klanglos aus ihrer Mietwohnung gekündigt werden dürfen, damit Immobilienspekulanten fette Renditen einfahren, wer Österreichs Eigenständigkeit für verzichtbar hält – wer für all das steht, der ist bei den Neos gut aufgehoben. Das ideologische Unterfutter liefert das weiland Liberale Forum der inzwischen hochbetagten Heide Schmidt, für das nötige Kleingeld kommt der Baulöwe Haselsteiner in die engere Wahl.
Neos-Damen waren bei NGOs sehr aktiv
Charakteristisch für die Exponenten der Neos sind deren bisherigen Lebensläufe. Die beiden Arzttöchterln Beate Meinl-Reisinger und Stephanie Krisper hatten es zu keiner Zeit notwendig, durch eine Tätigkeit in der rauen Welt der freien Marktwirtschaft ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Stets waren es Jobs als Praktikantin, EU-Assistentin bei Herrn Karas in Brüssel, Traineeprogramme (Meinl-Reisinger) oder Caritas, Danish refugee council, International Helsinki Federation for human rights und NGO Asyl in Not (Krisper). Bei Christoph Wiederkehr ähnlich: studentischer Mitarbeiter am Verfassungsgerichtshof, Praktikant im EU-Büro Brüssel der Wirtschaftskammer Österreich, an der Botschaft in Canberra. Knochenjobs schauen anders aus, es sind mutmaßlich lauter Jobs, die der Steuerzahler alimentiert. Tja, das ist das Leben der jeunesse dorée.
In Wiens Politik wächst solcherart zusammen, was zusammengehört. Hier der sich wohlversorgende rote Apparat, dort diejenigen, die das Kapital für sich arbeiten lassen. Frage: Handelt es sich bei dieser Koalition um einen Vertrag zu Lasten Dritter? Wobei dieser Dritte der fleißig arbeitende Bürger ist.