ECKART-Exklusivinterview mit SLÖ-Obmann Gerhard Zeihsel
Als der Zweite Weltkrieg endete, hatten Millionen Deutsche östlich der Oder, in Böhmen und am Balkan das Schlimmste noch vor sich: Vernichtung, Vertreibung und Verlust einer Heimat, die sie seit Menschengedenken bewohnt, bewirtschaftet und gestaltet hatten. Ein Menschheitsverbrechen, das ungesühnt und für die Täter ohne Konsequenzen blieb. Dennoch verblaßt die Erinnerung an das Leid und Martyrium 75 Jahre nach Beginn der Vertreibung der Deutschen aus Ost- und Südosteuropa mit dem Abtreten der Erlebnisgeneration immer mehr. Wir haben darüber exklusiv mit dem Bundesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SLÖ), Gerhard Zeihsel gesprochen.
Der ECKART: Herr Zeihsel, in diesen Tagen jährt sich der Beginn der sogenannten wilden Vertreibungen zum 75. Male. Wie würden Sie insgesamt die Vertreibung, in deren Verlauf Millionen Deutsche ihrer Heimat, ihres Besitzes und ihres Lebens beraubt wurden, historisch einordnen?
Gerhard Zeihsel: Es war Völkermord, der nicht verjährt! Bei uns aber oft ein Tabu-Thema! Sowohl die Vertriebenen als auch deren Nachkommen sind noch heute traumatisiert.
Sie sind Angehöriger des Jahrgangs 1939: Wie haben Sie als Kind die Vertreibung erlebt?
Meine Mutter stammt aus Brünn-Kumrowitz/Komarov, mein Vater aus einem deutsch-südmährischen Bauerndorf im Kreis Znaim und ging auf die HAK-Brünn. In den 1920er-Jahren optierte er für Österreich. Nach der Heirat arbeitete mein Vater ab 1939 in Wien in der Reichsbank (heute Nationalbank). Ich kam Ende des Jahres in Wien zur Welt, und wir wohnten im III. Bezirk. Anfang 1942 wurde mein Bruder geboren. Als die Fliegerangriffe auf Wien begannen, zogen wir in unsere Villa in Damitz. In der Zwischenzeit wurde mein Vater in die Wehrmacht eingezogen – 1917 war er als 17jähriger im Ersten Weltkrieg an der Italienfront. Damitz war für uns Kinder ein Paradies, mit Turnplatz und Freibad! Im August 1944 kam unsere Schwester in Brünn bei den Großeltern zur Welt. Erst im Mai 1945 überflog ein feindliches Flugzeug den Ort und gab einige Feuerstöße mit einer Bordwaffe ab, es erfolgte die Besetzung durch die Rote Armee, und eine Partisanengruppe der Tschechen tauchte bei uns auf, und im Gefolge nisteten sich Tschechen in Bauernhäusern ein.
Man hat von den Heimatvertriebenen – mehr oder weniger von Anfang an – gefordert, auf ihre Eigentumsrechte und auf Entschädigung des erlittenen Unrechtes zu verzichten. Sie haben sich stets für Wiedergutmachung und insbesondere die Beseitigung der verbrecherischen Beneš-Dekrete eingesetzt. Sind die Entschädigungsfragen heute endgültig obsolet?
Von den 143 Beneš-Dekreten geht es uns Sudetendeutschen nur um das „schmutzige Dutzend“ von zwölf Entrechtungs- und Enteignungs-Dekreten.
Bei der EU-Aufnahme der Tschechischen Republik bemühte sich die SLÖ recht erfolgreich in der Öffentlichkeit, daß Österreich die Veto-Karte zieht! Bundeskanzler Dr. Wolfgang Schüssel versagte aber – er glaubte an bessere Verhandlungserfolge innerhalb der EU „auf gleicher Augenhöhe!“ Wir warnten davor! Für uns sind die Entschädigungsfragen noch immer offen!
Den Sudetendeutschen wird von politischen Irrlichtern gerne eine (Mit-)Schuld an ihrer Vertreibung unterstellt. Die lange Vorgeschichte – man könnte bis zum Panslawistenkongreß 1848 zurückgehen –, vor allem aber die systematische Unterdrückung durch die Tschechen nach 1918 werden völlig verschwiegen. Was sind die Ursachen für diese geradezu groteske Sicht der Dinge?
Drei Millionen Sudetendeutschen mußten 1945 büßen für die Nazi-Verbrechen. Die Frage nach der persönlichen Schuld spielte dabei keine Rolle. Das Urteil resultierte allein aus der ethnischen Zugehörigkeit und traf daher nicht nur die Täter, sondern auch unschuldige Frauen, Kinder und Greise. Rache für die Nazi-Greuel ist aber nur ein Teil der Erklärung. Denn in den Köpfen tschechischer Nationalisten geisterte der Vertreibungsgedanke schon seit der Auflösung der Donaumonarchie herum. Einer von ihnen war Edvard Beneš, Außenminister(1918-1935) und Staatschef drei Jahre vor und nach sowie Exil-Präsident während der Nazi-Besatzungszeit. Er war überzeugt: Man hätte die Deutschen schon 1918 vertreiben müssen, was aber leider damals nicht möglich gewesen sei.
Wenn es um Verbrechen an Deutschen ging, wurde auch stets die Forderung nach einem Schlußstrich erhoben. Nach einem dreiviertel Jahrhundert sind die Vertriebenen zu einer überschaubaren Gruppe geworden. Ist die Vertreibung nur noch Geschichte?
Die „Vertriebenen“ sterben sicher aus – aber nicht ihre Nachkommen! Jeder fünfte Wiener hat sudetendeutsche Wurzeln, und das Bewußtsein um die Abstammung und die Leistungen auf vielen Gebieten wird weiterleben!
Sie haben sich über Jahrzehnte durch Ihren Einsatz als Vertriebenenpolitiker in Österreich und darüber hinaus einen Namen gemacht. Wie beurteilen Sie insgesamt die Tätigkeit der Vertriebenenverbände – was wurde erreicht, was hätte anders laufen können?
Die deutschen altösterreichischen Heimatvertriebenen in Österreich – 350.000 – haben sich gleich beim Wiederaufbau Österreichs voll eingebracht, haben in den demokratischen Parteien mitgewirkt und es zu Ansehen gebracht. Sie haben sich ihren Wohlstand ehrlich erarbeitet und sind allseits anerkannt als positive Glieder der Gemeinschaft.
Welche Aufgaben sehen Sie für die Vertriebenenverbände für die Zukunft – wird es eine Enkelgeneration geben, die die Arbeit fortsetzt? Wie kann es gelingen, Kultur und Geschichte der Vertriebenen im kollektiven Gedächtnis der deutschen Nation zu bewahren?
Ein positives Zeichen setzt die Enkelgeneration z.B. durch „Vorwissenschaftliche Arbeiten (VWA)“ in den höheren Schulen. Es sind immer mehr, die sich als Thema „Sudetendeutsche“ nehmen, wir helfen ihnen dabei gerne mit Unterlagen (Büchern), Zeitzeugengesprächen… Die hohe Politik ist auch gefragt, die kulturellen und geschichtlichen Entwicklungen aus der Vergangenheit zu pflegen (Schulen) und damit im kollektiven Gedächtnis des Volkes zu bewahren!
***
Gerhard Zeihsel,
wurde am 21.12.1939 in Wien geboren. Das Kriegsende erlebte er in seiner Südmährischen Ahnenheimat in Damitz bei Mährisch Kromau. Nach Flucht und Vertreibung besuchte er in Wien eine Chemiefachschule und trat 1957 in die Dienste des Unilever-Konzerns, dem er ununterbrochen bis zum Jahre 2000 als erfolgreicher Chemiker und Anwendungstechniker angehörte. Für die FPÖ war Zeihsel als Bezirksrat und von 1987-1996 als Landtagsabgeordneter und Gemeinderat in Wien tätig. Unter anderem dafür erhielt er das Goldene Ehrenzeichen des Landes Wien. Eine besondere Herzensangelegenheit war und ist ihm die Arbeit für seine heimatvertriebenen Landsleute. In der Sudetendeutschen Jugend und Landsmannschaft bekleidete er viele Funktionen: Seit 2000 ist er Bundesobmann der Sudetendeutschen Landsmannschaft in Österreich (SLÖ), und als Vertreter der Sudetendeutschen ist er seit Jahren erster Vizepräsident des Verbandes der Deutschen Altösterreichischen Landsmannschaften.
