Etliche Gedanken, behutsam formuliert
Eine kleine Notiz in einer Tageszeitung erregte vor einiger Zeit die Aufmerksamkeit des Verfassers dieser Zeilen. Die Überschrift lautet recht plausibel „Die Anzahl der guten Freunde bleibt lebenslang konstant“.
Ein Beitrag von Erich Körner-Lakatos
Nun, womit befaßt sich der unscheinbare Beitrag? Er referiert über eine Untersuchung, deren Design (damit meinen die Forscher die von ihnen gewählte Vorgangsweise) recht einfach ist. Zuerst werden zwei Dutzend junger Menschen in einer englischen Stadt befragt, wieviele Freunde sie hätten. Dann schenkt man den Versuchspersonen Mobiltelephone und mißt über längere Zeit, mit wem sie wie lange telephonieren.
Ergebnis: Diejenigen, die häufig und intensiv fernmündlich kontaktiert worden sind, entsprechen in etwa den zuvor angegebenen Freunden. Sie werden jetzt denken: Ein derartiger Zusammenhang liegt doch auf der Hand, ist für jedermann unmittelbar einsichtig. Dafür benötige man keinerlei Forschungen. Genau das ist auch die Ansicht vieler, die sich ihren Hausverstand bewahrt haben.
Soziologen-Chinesisch
Hier eine Kostprobe, in welch wüstem Kauderwelsch (Soziologen-Chinesisch) das Forschungsergebnis in einer Fachzeitschrift präsentiert wird: „Unsere Analyse zeigt, daß Individuen eine markante und robuste soziale Unterschrift zeigen […] Bemerkenswert ist, daß für ein bestimmtes Ego diese sozialen Signaturen im Laufe der Zeit bestehen bleiben, aber in der Identität verändert sich in der Ego-Netzwerk […] Dies ist wahrscheinlich Folge der endlichen Ressourcen für die Kommunikation, den kognitiven und emotionalen Aufwand, um enge Beziehungen aufrechtzuerhalten, und der Fähigkeit, emotionale Investitionen in der zur Verfügung stehenden Zeit zu reflektieren.“
Doch vergessen wir diesen Humbug und fragen uns: Wieviele Freunde braucht der Mensch?
Viel weniger als die meisten denken! Man kann sie an den Fingern einer Hand zählen. Diese amici aber haben es in sich, Studien beweisen, daß Menschen mit guten Freunden gesünder sind und länger leben. Langjährig gepflegte Freundschaften stabilisieren unser Gemüt, geben Antwort auf die Fragen: Wer war ich? Wer bin ich?
Ein Konversationslexikon (Meyer) aus dem Beginn des vorigen Jahrhunderts definiert Freundschaft als „das auf gegenseitiger Wertschätzung beruhende und von gegenseitigem Vertrauen getragene freigewählte gesellige Verhältnis zwischen Gleichstehenden“.
Wenden wir uns der Qualität von Freundschaft zu. Ganz einig sind sich verständige Zeitgenossen darin, daß Friedrich Schiller in seiner Ballade von der Bürgschaft dafür die schönsten Worte gefunden habe. Ähnlich ans Herz gehen die Zeilen des Liedes „Wahre Freundschaft soll nicht wanken“.
Schon in der griechischen Antike besitzt Freundschaft einen überaus hohen Stellenwert als Bestandteil eines harmonischen Gemeinwesens.
Das Hohelied auf die Freundschaft
Nach Aristoteles sollte die Freundschaft in der Rangordnung der Werte sogar noch vor der Gerechtigkeit rangieren. Auch Homer widmet in seinen Epen der Freundschaft ein dauerndes Denkmal. Als wahre Fundgrube erweist sich das Werk „Über den Umgang mit Menschen“ des Adolph Freiherrn von Knigge, das 1788 – sohin noch unbeeinflußt von den verderblichen Ideen der Französischen Revolution und deren frühindustrieller Methode des Massenmordes durch die Guillotine – erscheint. Im sechsten Kapitel des zweiten Teils kommt Knigge zu zeitlos gültigen Aussagen über Freundschaft.
Schlag nach bei Knigge!
Lassen wir den Edelmann selbst zu Wort kommen: „Keine freundschaftlichen Verbindungen pflegen dauerhafter zu sein, als die, welche in der frühern Jugend geschlossen werden. Man ist da noch weniger mißtrauisch, weniger schwierig in Kleinigkeiten; das Herz ist offner, geneigter sich mitzuteilen, sich anzuschließen; die Charaktere fügen sich leichter zusammen; man gibt von beiden Seiten nach und setzt sich in gleiche Stimmung; man erfährt miteinander so manches, erinnert sich der sorglosen, gemeinschaftlich vollbrachten glücklichen Jugendjahre und rückt mit gleichen Schritten in Kultur und Erfahrung fort. Dazu kommen dann Gewohnheit und Bedürfnis; wird einer aus dem vertrauten Zirkel durch die Hand des Todes dahingerissen, so kettet das die übrig bleibenden Gefährten um desto fester aneinander … Also vernachlässige man seine Jugendfreunde nicht; und wenn auch Schicksale, Reisen und andre Umstände uns in der Welt umhergetrieben und von unsern Gespielen getrennt haben, so suche man doch jene alten Bande wieder anzuknüpfen, und man wird selten übel dabei fahren.“
Die Balance sollte stimmen, weil „in der Freundschaft müssen beide Teile gleich viel geben und empfangen können. Jedes zu große Übergewicht von einer Seite, alles, was die Gleichung hebt, stört die Freundschaft.“
Vorsicht vor den Wankelmütigen
Knigge rät freilich auch, Obacht zu geben, denn „wer, wankelmütig in Grundsätzen und Meinungen, einen Charakter hat, der sich wie Wachs von jedem in jede Form drücken läßt, der mag vielleicht ein guter Gesellschafter, aber nie wird er ein beständiger, treuer Freund sein. Sobald es auf Verleugnung, Aufopferung, auf Beharrlichkeit und Festigkeit ankommt, wird ein solcher Dich im Stiche lassen …“
Verständige Menschen sind gefragt…
Deswegen „suchen wir verständige Menschen, deren Hauptgrundsätze und Gefühle mit den unsrigen übereinstimmen, kleine unmerkliche Verschiedenheiten abgerechnet; Menschen, die Freude finden an dem, was uns freut; die uns lieben, ohne von uns bezaubert, das Gute in uns schätzen, ohne blind gegen unsre Schwächen zu sein … Hast Du nun einen solchen treuen Freund gefunden, so bewahre ihn auch! Halte ihn in Ehren, auch dann, wenn das Glück Dich plötzlich über ihn erhebt, auch da, wo Dein Freund nicht glänzt, wo Deine Verbindung mit ihm durch die Stimme des Volks nicht gerechtfertigt zu werden scheint. Schäme Dich nie Deines ärmern, weniger hochgeschätzten Freundes.“
Den wahren Freund erkennt man in der Not!
Schon in der Antike weiß man: Donec eris felix, multos numerabis amicos. Tempora si fuerint nubila, solus eris. Solange du glücklich bist, wirst du genug Freunde zählen. Wenn die Zeiten umwölkt sein werden, wirst du allein sein (Ovid, Tristia I,9,5). Auch Knigge warnt: „Freunde, die uns in der Not nicht verlassen, sind äußerst selten.“ Und er ruft jeden von uns auf: Sei Du einer dieser seltenen Freunde!
