Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

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Tschechen und Deutsche

von Jan Šinágl

Wie gehen die Tschechische Republik und ihre Gesellschaft heute mit der Geschichte und dem Erbe der tschechischen Deutschen um? Wie es dem Zustand einer durch die Geschichte deformierten Gesellschaft entspricht. Es handelt sich nach wie vor um ein sensibles Thema, das Politiker absichtlich nutzen, um die Gunst der Wähler zu gewinnen. Es genügt, an Instinkte und Emotionen zu appellieren, und die Wähler werden eine Politik unterstützen, die ihren Interessen und den Interessen des Landes zuwiderläuft.

Die Präsidentschaftswahlen 2013 sagen alles: Karel Schwarzenberg war der klare Favorit und hätte zweifellos gewonnen. Am Tag der Wahl wurde unter Verstoß gegen das Wahlgesetz eine ganzseitige Anzeige in der meistgelesenen Boulevardzeitung BLESK veröffentlicht mit dem Text „Unsere First Lady wird eine Deutsche sein“ – und Miloš Zeman gewann. Die Ungültigkeit der Wahl wurde nicht thematisiert. Statt einer kultivierten und gebildeten First Lady bekam das Land eine neuzeitige Martha Gottwald…

Insgesamt nehmen der unterschwellige, versteckte Haß und die Abneigung gegen alles Deutsche jedoch langsam, aber stetig ab – vor allem dank der beharrlichen Arbeit verschiedener tschechisch-deutscher Vereinigungen. Auch die öffentlich-rechtlichen Medien erwähnen dieses Thema zunehmend, wenn auch nicht zur Hauptsendezeit. Experten stellen inzwischen fest, daß sich unser Land wirtschaftlich noch immer nicht vom Weggang der Sudetendeutschen erholt habe – auch in kultureller Hinsicht nicht: Zwei Nobelpreisträger tschechischer Herkunft, aber zehn deutscher Herkunft stammen aus dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik.

Lidice wird immer wieder in Erinnerung gerufen, die Verbrechen des Nationalsozialismus’ während des Zweiten Weltkrieges. An die Verbrechen danach, in Friedenszeiten, wird nur zögerlich erinnert, wenn überhaupt: an das Massaker auf der Schwedischen Schanze bei Prerov (267 Männer, Frauen, Kinder, Kleinkinder und Säuglinge wurden abgeschlachtet) oder in Bratislava durch Soldaten derselben Armee von General Ludvík Svoboda (94 ungarische Pfadfinder starben in Petržalka). Nach dem Völkerrecht haben wir Völkermord, Ethnozid und Demozid begangen. Bis heute weigern wir uns, dies zuzugeben, geschweige denn, uns für diese Verbrechen zu entschuldigen.

Keine neuen Schulen und keine Milliardeninvestitionen der EU im ehemaligen Sudetenland können die Menschen ersetzen,
die dort viele Jahrhunderte lang lebten.
Sie waren untrennbar mit der Landschaft, mit dem Land verbunden und schufen Werte zum Wohle ihrer selbst und ihres Landes. Heute ist das Sudetenland das rückständigste Gebiet der Tschechischen Republik.

Die Verbrechen des Nationalsozialismus’ werden in den Schulen ständig und ausführlich behandelt, die Verbrechen des Kommunismus’ nur am Rande – abhängig von der Qualität und dem Mut des Lehrers. Deshalb ist die Mehrheit der Gesellschaft immer noch schlecht über ihre eigene Geschichte informiert, mit allen Konsequenzen. Es ist nicht verwunderlich, daß die deutsche Jugend über die Verbrechen des Nationalsozialismus’ gut informiert ist, ebenso wie die tschechische Jugend. Es ist auch nicht verwunderlich, daß ich in Prag oft junge Deutsche treffe, die ein echtes Interesse an unserer gemeinsamen Geschichte haben. Hoffen wir, daß auch die tschechische Jugend allmählich beginnt, Deutschland und gemeinsame Interessen zu entdecken.

Der Weg in die Zukunft führt über ein breites Bewußtsein, eine gute Bildung, eine gute Ausbildung, das persönliche Beispiel und die Wiederherstellung einer natürlichen zwischenmenschlichen Kommunikation. Sie ist die Grundlage für alles. Politiker sowohl auf tschechischer als auch auf deutscher Seite sollten aufhören, wirtschaftliche Interessen ihrer Länder über den richtigen Umgang mit der Frage der Vertreibung der Sudetendeutschen zu stellen.

Es ist kein Wunder, daß wir sechs Jahre lang um die Gründung unserer einzigen unabhängigen Sudetendeutschen Landsmannschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien in der Tschechischen Republik gekämpft haben, bevor uns das Innenministerium nach juristischen Querelen die Gründung erlaubte. Wir erwarteten, dem bestehenden Verband zur Zusammenarbeit willkommen zu sein. Diese wurde abgelehnt, außerdem wurden uns rechtliche Schritte angedroht, weil unser neugeschaffenes Emblem dem ursprünglichen ähnelte.

Erst wenn ein Sudetendeuscher Tag in der Tschechischen Republik stattfindet, wird dies ein echtes Signal der dringend benötigten Verständigung und der bürgerlichen Reife sein, sowie der Beginn eines Weges zum gegenseitigen Vorteil und Nutzen für beide Länder. Europa kann ohne reife Zivilgesellschaften und deren gleichberechtigte Zusammenarbeit nicht die notwendige Qualität in Politik und Wirtschaft erreichen. Ein freundlicher Umgang muß dafür immer die Basis sein!

Über den Autor:
Jan Šinágl ist engagierter Bürger, unabhängiger Kolumnist und Politikwissenschaftler. www.sinagl.cz

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