Rosa Pöll

Die Frau des Freiheitskämpfers

Buch des Monats

Es ist mehr als eine Reminiszenz an die eigene Mutter, was Eva Klotz, die Südtiroler Politikerin, mit ihrem neuen Buch geschaffen hat. Es ist eine Zeitreise geworden in eine Welt, die heute entrückt und unwirtlich scheint. Rosa Pöll wächst in Südtirol auf, wo die Schüler die Lehrerin nicht verstehen und umgekehrt. Damals ist Deutsch in der Schule bei Strafe verboten – die Südtiroler sollten mit allen Mitteln zu Italienern werden. Aber es entbrennt ein Wunsch in Rosa, Lehrerin zu werden. Doch davor liegt die Ausschulung nach nur sechs Jahren, denn das Mädchen wird zuhause gebraucht, wo noch neun jüngere Geschwister sind. Sie verdingt sich als Dienstmagd und verlebt ärmliche Jahre. In dieser Zeit erwacht das Interesse an der Politik. Nach der Option werden für die „Optanten“ deutsche Lehrkräfte gesucht. Jetzt kann Rosa ihren Traum verwirklichen. Sie wird Lehrerin, und zwar eine gute.

Im Epizentrum der Befreiungsbewegung

Mit 30 Jahren heiratet Rosa den späteren Freiheitskämpfer Georg Klotz. Sie beweist den Spruch, wonach hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau stehe. Denn ihr Mann zählt zu den führenden Gestalten des Widerstandes. Er gehört als Kriegsheimkehrer zu den Initiatoren der Wiederbelebung des Schützenwesens, das in Südtirol nach dem Ersten Weltkrieg durch die italienischen Behörden aufgelöst worden ist. Georg gründet mit Sepp Kerschbaumer und Luis Amplatz den Befreiungsausschuß für Südtirol (BAS). Nach der „Feuernacht“, als in Südtirol Strommasten gesprengt werden, um auf die italienische Unterdrückung aufmerksam zu machen, kann sich Georg der Verhaftung durch Flucht nach Österreich entziehen. 1964 entgeht er schwerverletzt einem mutmaßlich italienisch gedungenen Mordanschlag. In mehreren Prozessen wird er in Italien in Abwesenheit zu mehr als 52 Jahren Haft verurteilt.

All die Jahre steht Rosa treu zu ihrem Mann – aber allein mit sechs minderjährigen Kindern in Südtirol. Und die Italiener wissen, daß Rosa der Schlüssel zu Georg ist: Die Mutter wird verhört und verschwindet für 14 Monate in italienischer Untersuchungshaft. Doch sie steht ihre Frau und bleibt Georg und Südtirol treu. Der Preis ist hoch: Die Kinder werden während ihrer Haft auf andere Familien aufgeteilt. Rosa darf danach nicht mehr unterrichten. Und doch sichert sie die Existenz der Familie.

Ende der 1960er-Jahre beginnt sich das politische Klima zu ändern. Georg wird in Österreich zu 15 Monaten schweren Kerkers verurteilt. Das Gericht bewertet die Sprengstoffanschläge in Südtirol nicht als ein politisches, sondern als ein kriminelles Vergehen. Das Interesse für Südtirol und sein Schicksal kehrt sich gegen Rosa. 1969 beginnt in Mailand ihr Prozeß. Währenddessen lebt Georg – zurückgezogen, aber immer noch als Bezugspunkt patriotischer Kreise – als Köhler in Nordtirol. Erst nach seinem Tod soll Rosa von allen Anklagepunkten freigesprochen werden.

Wiedersehen mit Hindernissen

Rosa darf nicht aus Südtirol ausreisen. Drei Jahre lang hat sie Georg nicht mehr gesehen, als sie bei der Bozener Quästur anfragt, nach Nordtirol reisen zu dürfen. Es ist die Zeit der Paketverhandlungen, und die Italiener bemühen sich, Vertrauen in der Bevölkerung zu gewinnen. Sie verlangen von Rosa, ihren Mann zu überreden, sich gegen mildernde Umstände den Italienern zu stellen. Empört weist Rosa dieses „Geschäft“ zurück, und ihr italienisches Gegenüber stellt fest: „Sie ist ein integres Schwergewicht.“ Ende 1969 sehen einander die Eheleute endlich wieder. Dann aber kehrt Rosa allein nach Südtirol zurück. Bis zu seinem Tod Anfang 1976 wird Rosa mit den Kindern Georg in Nordtirol immer wieder besuchen.

Im selben Jahr darf Rosa endlich wieder unterrichten. Bis zu ihrer Pensionierung wird die leidenschaftliche Lehrerin unermüdlich im Einsatz sein. 2012 stirbt sie 92jährig. Ihr und Georgs Erbe lebt fort im Sohn Wolfram, ehemaliger stellvertretender Landeskommandant des Schützenbundes, und vor allem in ihrer Tochter Dr. Eva Klotz, die als führende Volkstumspolitikerin von 1983 bis 2014 Abgeordnete zum Südtiroler Landtag war. Ihre Nichte Gudrun Kofler ist seit 2022 Abgeordnete zum Tiroler Landtag in Innsbruck.

Wertvolles Geschichtsdokument

Mit dem reich bebilderten Buch aus Rosas Leben hat Eva eine Würdigung und ein Geschichtsdokument gleichzeitig verfaßt. Texte von Rosa selbst und von Eva malen das Bild von den Schicksalsjahren Südtirols und von einer festen, tatkräftigen und leistungsstarken Frau, wie es in unserer Geschichte so viele gegeben hat – die aber kaum gewürdigt wurden.

Ulrike Raich

Eva Klotz
Rosa Pöll
Die Frau des Freiheitskämpfers
effekt 2022, 388 S., € 25

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