Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Neu-Nürnberg, Neu-Augsburg und Karlstadt am Maracaibo

Deutsche Siedlungen in Venezuela haben eine lange Geschichte

Der wirtschaftliche Zusammenbruch des ölreichen Staates an der Karibikküste hat viele Venezolaner ins Ausland getrieben, darunter auch einige mit blonden Haaren oder Sommersprossen. Tatsächlich existiert in Venezuela die älteste deutschstämmige Bevölkerungsgruppe auf dem Kontinent, deren Geschichte bis in die Zeit Karls V. zurückgeht…

Ein Gastbeitrag von Jörg Sobolewski

Die Geschichte der Deutschen in Venezuela ist mehr als anderswo eng verwoben mit der Spanischen Conquista, eine Geschichte wie aus der Feder von Karl May, von der Suche nach goldenen Städten, undurchdringlichem Dschungel und verschlafenen Piratennestern – und mittendrin eine der ältesten deutschen Patrizierfamilien aus Augsburg. Kaiser Karl V. war es, der am 27. März 1528 – notorisch klamm – dem Oberhaupt der Bankiersfamilie die Geschicke einer seiner Besitzungen anvertraute. Im Gegenzug für ein stolzes Darlehen erhielt die Familie die Statthalterschaft über die Provinz Venezuela. Für den Kaiser eine Möglichkeit die Erschließung seines Riesenreiches schnell und kostenneutral zu regeln, für die Welser ein Fuß in der Tür einer echten „Boombranche“ – dem Amerikahandel. Wahre Reichtümer flossen aus den neuen spanischen Besitzungen nach Europa. Gold und Silber in Unmengen und exotische Gewürze, die eine ganze Reihe neuer Gerichte ermöglichten.

1528: 281 deutsche Kolonisten gehen an Land

Im Gegenzug wurden vor allem Sklaven in die Neue Welt importiert, eine Konzession für diesen Handel hatten die Welser bereits im Jahr zuvor für 4.000 Sklaven erworben, so war alles für den großen Sprung über den Teich bereitet, als im Oktober 1528 die Flotte der Welser Kurs auf die Neue Welt nahm. Mit an Bord die ersten 281 deutschen Kolonisten, der Grundstein für die künftige Kolonialbevölkerung. Im Februar 1529 nach langer Fahrt wurden in schneller Folge die Kolonien Neu-Augsburg, Neu-Nürnberg und Neu-Ulm gegründet. Anders bei vergleichbaren spanischen Gründungen hatten die Welser den Versuch unternommen, ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis unter den Kolonisten zu gewährleisten. Das erste in Übersee geborene deutsche Kind hieß Leonhard Grübel, über sein weiteres Schicksal ist nicht viel bekannt, denn nach dem Rücktritt Karls V. widerrief die spanische Krone die Konzession an die Deutschen. Zu kompliziert erschien der Krone die zweisprachige junge Kolonie, und zu langsam ging der Ausbau der Kolonie vonstatten. Spuren dieser ersten deutschen Kolonie sind bis heute in Venezuela zu finden. Die klassische „Sülze“ hat bis heute ihren Platz in der lokalen Küche der Stadt „Neu-Ulm“, die heute aber in der Regel unter dem Namen „Maracaibo“ firmiert. Aus der deutschen Kolonialgründung ist das industrielle Herz der venezolanischen Ölindustrie geworden.

Wieder kamen Deutsche

Jahrhunderte nach dem ersten Versuch der Welser kam im frühen 19. Jahrhundert der größte Schwung Deutscher Kolonisten in das Land zwischen Anden und Amazonas: Deutsche Handwerker und Landwirte in großer Zahl, angeworben vom jungen venezolanischen Staat, um Land urbar zu machen und die Wirtschaft zu beleben. Sie bilden bis heute den Grundstock der lebendigen deutschen Gemeinschaft in Venezuela. Ähnlich wie in Chile oder Argentinien erarbeiteten sich die Deutschen schnell einen guten Ruf und bescheidenen Wohlstand in der Einwanderungsgesellschaft Venezuelas.

„Fasnet“ in der Colonia Tovar

Viele der Einwandererfamilien stammen ursprünglich aus Preußen oder vom Kaiserstuhl, und wer in die Zentren der deutschen Kolonien, nach Colonia Tovar etwa, geht, der sieht wunderbar gepflegte Fachwerkhäuser, in denen nicht selten ein lückenlos ausgefüllter Stammbaum bis zu den ersten Einwanderern hängt. Hier hängt man an seiner alemannischen Kultur, die „Fasnet“ von Tovar gilt als eine der besten Festlichkeiten der Region, und vereinzelt hört man noch „Ditsch“ auf den Straßen. Die mittlere Höhenlage zwischen 1.800 und 2.000 Meter über dem Meeresspiegel sorgt für ein ganzjährig gemäßigtes Klima von etwa 16 Grad und hat mit dazu geführt, daß gerade reiche Großstädter aus Caracas gern ein wenig europäische Kultur in Tovar schnuppern. Bei lokaler Bratwurst und Bier sitzen sie dann zwischen Einheimischen und staunen über ein Stückchen Deutschland im Regenwald. Zumindest solange die Soldaten der Regierung sie lassen. Denn das gehört leider auch zur Geschichte der Deutschen in Venezuela dazu. Als 2017 die Proteste gegen das Maduro Regime eskalierten, besetzte die venezolanische Regierung am 19. Mai das Städtchen. Das kulturelle Zentrum der Deutschen war der sozialistischen Regierung schon lange ein Dorn im Auge. Bereits 2009 trafen sich dort Vertreter aller oppositionellen Parteien, um einen runden Tisch für Demokratie zu initiieren. Unter den fleißigen Nachfahren der deutschen Kolonialisten ist die sozialistische Rhetorik nie auf fruchtbaren Boden gefallen. Umgekehrt galten schon dem Vorgänger Maduros, Hugo Chavez, die deutschen Kolonien als Hort bürgerlicher Reaktion.

Gegenwärtig katastrophale Lage

Schlimmer als politische Repression nagt aber heute die wirtschaftliche Lage an den Deutschen. Gerade in der landwirtschaftlich geprägten Umgebung hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Es fehlt mittlerweile nicht nur an Düngemitteln und Ersatzteilen, der ölreichen Nation ist mittlerweile das Benzin ausgegangen. Äcker bleiben unbestellt, und Saatgut verdirbt im Speicher. Da geht es den Deutschen wie allen anderen Venezolanern, der Hunger ist auch hier eingezogen. Glücklicherweise sind sie aber eng mit den Deutschen in Chile, Peru und Argentinien vernetzt. Wer die Deutschen in Südamerika heute besucht, wird überall einige Venezolaner unter ihnen finden. Die Bande, die Kultur und Abstammung zu knüpfen vermögen, haben Früchte getragen, und so geht es den Deutschen dann doch etwas besser als ihren venezolanischen Landsleuten – das soziale Netz der Minderheiten hält. Auch im Badischen Endingen sind einige untergekommen. So besteht auch weiterhin Hoffnung für die Deutschen und ihre Kultur in Venezuela, wer weiß, vielleicht kehren schneller als gedacht die jungen Deutschen aus dem Ausland wieder zurück in ihre Heimat und bringen neue Ehepartner mit in die Kolonien? Bis dahin bleiben die wenigen Alten zurück und überstehen in ihren Fachwerkhäusern den langen sozialistischen Winter Venezuelas.

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