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Karl May

Erfolgsschriftsteller mit Hindernissen

von Wilhelm Brauneder

Heuer jährte sich am 25. Februar zum 180. Mal Karl Mays Geburtstag, zudem war am 30. März sein 110. Todestag – Anlaß genug, sein Leben und Werk in manchen Punkten zu überdenken, und zwar anhand der Fakten. Diesen widerspricht bereits das eingefahrene Bild eines bloßen Wild-West-Autors: Unter den ursprünglich dreiunddreißig Titeln der Reiseerzählungen finden sich einundzwanzig Orient- und zwei Südamerika-Bände; nur zehn sind im Wilden Westen angesiedelt. Außerdem umfaßt Mays Schaffen alle damals gängigen Erzählkategorien.

Vom Lehrerseminar ins Zuchthaus

Seinen Geburtsort Ernstthal in Sachsen prägten die in dürftigsten Verhältnissen lebenden Weber. Seine Familie zählte als Hausbesitzer zu den etwas besser Situierten und ermöglichte dem durch Wissensdurst und Intelligenz auffallenden Karl die Absolvierung eines Lehrerseminars. Die vielleicht irrtümliche Benützung der Uhr eines Zimmerkollegen aber führte 1862 zu gerichtlicher Verurteilung und Verlust des Lehramtes. Ein angemessener Beruf ließ sich danach nicht finden, und May begann im Juli 1864 mit Betrugsdelikten. Nach Verbüßung einer etwa vierjährigen Haftstrafe setzte er seine Kleinkriminalität fort, was ihm vier weitere Jahre Gefängnis eintrug. Sein Verteidiger charakterisierte May treffend: Er mache den „Eindruck eines komischen Menschen, der gewissermaßen aus Übermut auf der Anklagebank zu sitzen kam“. Man hat den Eindruck, daß May der unmittelbaren Umwelt seine intellektuelle Überlegenheit und Pfiffigkeit beweisen wollte, ähnlich dem berühmten Hauptmann von Köpenick. Fern der engeren Heimat beging er keinerlei Delikte mehr. Seine erste Haftzeit wertete May wegen seiner Arbeit in den Gefängnisbibliotheken als „Studienzeit“; er verfaßte unter anderem einige Skizzen und Fragmente zu Romanen, Sachbüchern und Gedichten. Die zweite Haftzeit ließ sich nicht derart nutzen, aber die psychologische Betreuung durch den katholischen Anstaltsgeistlichen fiel auf fruchtbaren Boden – vor allem dessen Ermunterung, die Schriftstellerei zum Beruf zu machen. Tatsächlich gelang May die Rückkehr in die Gesellschaft: Ein Jahr nach der Haftentlassung stellte ihn der Verleger Heinrich Gotthold Münchmeyer 1875 als Redakteur an; zunehmend hatte er aber auch als Schriftsteller Erfolg mit vielfältigen Erzählungen, darunter Dorfromanzen, historische Humoresken, Schmugglergeschichten, Orientabenteuer, Indianererzählungen oder sachbuchartige „Geographische Predigten“.

Durchbruch als Schriftsteller

Besonders reüssierte May jedoch ab 1880 mit seinem Orient-Balkan-Zyklus in der Zeitschrift Deutscher Hausschatz, wo er für ein katholisches Publikum schrieb. Das Duo aus dem Ich-Erzähler Kara Ben Nemsi sowie Hadschi Halef Omar wird zum Markenzeichen seiner Orienterzählungen. Allerdings geriet dieser Zyklus ins Stocken, als er ab 1882 wegen entsprechender finanzieller Verlockungen für Münchmeyer Kolportageromane verfaßte. Kolportage stand damals als Synonym für seichte oder gar Schundliteratur; May schrieb daher unter einem Pseudonym. In wahrer Fronarbeit schuf er bis 1888 acht derartige Lieferungsromane im Umfang von fast 15.000 Seiten. Sie wandten sich an einfache Leserschichten, für die May bewußt – im Unterschied zur Masse der Kolportageromane – Patriotismus, honorigen Lebenswandel und Familienschicksale als Vorbilder thematisierte. May stellte die Kolportageproduktion ein, als er Angebote seriöser Verlage erhielt. Ab 1887 erschienen in der Jugendzeitschrift Der gute Kamerad acht Jugenderzählungen, später dann auch in Buchform. Sie vermitteln didaktisch geschickt Sachkenntnisse, unter anderem über Landschaften (Der Geist des Llano estacado) und Völker, Sitten, Religionen, Sklaverei und Tierwelt im Sudan (Die Sklavenkarawane). Betont wird immer wieder der Wert des Bücher- und Landkartenlesens; dazu kommt regelmäßig die Freundschaft zwischen den Völkern, etwa am Beispiel von Häuptlingssohn und jungem Deutschen.
Mays eigentlicher Ruhm beruhte letztlich aber darauf, daß der Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld die bisher vereinzelt erschienenen Reiseerzählungen ab 1892 in den „Grünen Bänden“ als Reihe herausgab. Auf den Balkan-Orient-Zyklus folgte die Winnetou-Trilogie – sie wurde zur markantesten der Buchreihe, die Titelfigur zu einem Idol.

Endlich auf Reisen – und zurück in den Gerichtssaal

Als May 1900 von einer fast anderthalbjährigen Reise durch den Vorderen Orient und den Fernen Osten heimkehrte, traten entscheidende Veränderungen ein: Von nun an kennzeichnete sein Schaffen eine symbolisch-allegorische Schreibweise – wenngleich im äußeren Gewand der bisherigen Reiseerzählungen –, was die meisten seiner Leser verstörte. Die Auflagen sanken drastisch. Außerdem zerbrach seine Ehe, unter wenig erfreulichen Begleitumständen, an denen May seinen Anteil hatte. Auf die Scheidung folgte unmittelbar die zweite Eheschließung mit Klara, die ihm stets verständnisvoll zur Seite stand, vor allem hinsichtlich der dritten Veränderung, nämlich der 1902 anhebenden Prozeßlawine. Sie sollte ihn bis zu seinem Tod begleiten. Ineinander verschlungen gesellte sich zu üblichen Verlagsstreitigkeiten inhaltliche Kritik an seinen Werken, die sich ins nahezu Maßlose steigerte, als seine Kolportageromane bekannt und als unsittlich angeprangert wurden. Dazu kamen Erpressungsversuche, die seine Vorstrafen ans Licht brachten. Diese „Karl-May-Hetze“ wurde 1910 noch einmal durch ein Fehlurteil angefacht, das es erlaubte, May in die Kategorie „geborener Verbrecher“ einzureihen. Ein neuerliches Urteil hob es 1911 auf.
Seine Reiseerzählungen hatte May noch geschrieben, ohne je gereist zu sein. Er verwob höchst geschickt Belletristik und Reisebeschreibungen mit Erlebtem aus seiner Heimat und natürlich seiner dichterischen Imagination. Das taten auch andere, wie etwa Lewis Wallace in seinem Erfolgsroman Ben Hur. So konnte auch bei May der Eindruck des Selbsterlebten entstehen, besonders in Bezug auf Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi. Bei den Reiseerzählungen vermochte sich wegen des Ich-Erzählers noch der Glaube an eine Deckungsgleichheit mit dem Erzähler Karl May einschleichen. Diesen Effekt stützte auch sein Forterzählen von Abenteuern bei Veranstaltungen oder auf Bildpostkarten in den Kostümen seiner Helden. Mays Gegner interpretierten dies aber als wahrheitswidrige Erlebnisbehauptungen, dies tat zum Teil auch die Forschung: Er habe eine „Old-Shatterhand-Legende“ konstruiert. Tatsächlich identifizierte er das reisende Ich erst in seinem allegorischen Alterswerk mit sich selbst – in dem Selbstverständnis, er sei die personifizierte Menschheitsseele.
Im März 1912 folgte Karl May einer Einladung nach Wien und hielt am 22. März im übervollen Sophiensaal einen lebhaft akklamierten Vortrag zu seinem Friedensthema, unter anderem vor Bertha von Suttner. Kurz darauf, am 30. März, starb er in Radebeul bei Dresden an Herzschwäche.

„Karl-May-Hetze“ unter neuen Vorzeichen

Mays Werk begleiten bis heute Fehlinterpretationen aufgrund schlichter Unkenntnis. Er hat in seinen klassischen Reiseromanen, wie erwähnt, jedoch nie behauptet, mit der Ich-Figur identisch zu sein. Im Gegensatz zum 1,66 Meter großen, schmächtigen, fahlblonden, sächsischen Lehrerseminaristen, der sich selbst bloß als „Vielgelesenen“ bezeichnete, sind seine Ich-Helden groß, schwarzbärtig, keine Sachsen, sondern etwa Franzosen, Gymnasiasten und „Vielgereiste“. Unkenntnis oder sogar Bosheit verschweigt Mays betonte Wertschätzung fremder Völker: Seine Helden läßt er unter Schwarzen, Arabern oder Indianern wertvolleren Menschen begegnen als unter Weißen, ganz besonders bekanntlich im Fall von Hadschi Halef und Winnetou.

Die Eckartschrift zum Thema „Karl May“ finden Sie hier.

Über den Autor
Geboren am 8. Jänner 1943 in Mödling; in Wien Studium der Rechtswissenschaften, Promotion 1965, und der Wirtschaftswissenschaften, Magisterium 1975; Universitätslaufbahn ab 1967, Ordentlicher Universitätsprofessor 1980 Universität Wien, emeritiert 2011, Honorarprofesssor Universität Budapest, Gastprofessuren.
Rechts- und Verfassungshistoriker, Beiträge zum Verfassungsrecht, zum Bürgerlichen Recht, zur Literaturgeschichte. Abgeordneter zum Nationalrat 1994 bis 2000, 1996 bis 2000 dessen III. Präsident. Zahlreiche Publikationen zu Karl May, Vorsitzender der Österreichischen Karl May-Gesellschaft.

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