Historische Wahlverlierer

Vergessene Parteien der jungen Bundesrepublik

Am Wahlabend sprechen alle vom Wahlsieger und seinen Optionen. Für die Wahlverlierer interessiert sich kaum noch jemand, und nach ein paar Jahren sind die meisten vergessen. Wir werfen daher einen Blick zurück auf die Anfänge der Bundesrepublik Deutschland.

Ein Rückblick von Erich Körner-Lakatos

Im Süden der frischgegründeten Bundesrepublik bringt eine Gruppierung die bayerische CSU zeitweise arg in Bedrängnis.

Die CSU ist nicht alles in Bayern

Die Rede ist von der Bayernpartei (BP), die am 26. November 1950 erstmals bei der Landtagswahl antritt und aus dem Stand satte 17,9 % (39 von 204 Sitzen; davon 16 Direktmandate) erhält. Hingegen stürzt die CSU von 52,3 % (Landtagswahl vom 1. Dezember 1946 auf bodenlose 27,4 % ab. Die am 28. Oktober 1946 gegründete Bayernpartei versteht sich ebenso wie die CSU als Nachfolgerin der in der Weimarer Republik dominierenden BVP (Bayerische Volkspartei) – konservativ, katholisch, bisweilen separatistisch –, sie ist im ersten westdeutschen Bundestag mit 17 Abgeordneten vertreten: Bei der Wahl am 14. August 1949 stimmen bayernweit 20,9 % für die BP. In elf Wahlkreisen holt sie Direktmandate, vor allem entlang der Grenze zu Österreich. Trotz ihres Slogans „Bayern den Bayern“ findet sie kaum Anerkennung als gesamtbayerische Staatspartei, denn der katholische Klerus stellt sich auf die Seite der CSU. Trotzdem: Die BP ist für die Christlich-Sozialen eine durchaus ernstzunehmende Mitbewerberin. Zumindest in den Anfangsjahren. 1954 erholt sich die CSU bei der Wahl zum bayerischen Landtag einigermaßen, statt 27,4 % sind es nun 38 %, die Anzahl der Mandate steigt auf 83. Trotzdem kommt es zur Katastrophe für die CSU. Eine Vierparteien-Koalition aus Sozialdemokraten, Bayernpartei, Freidemokraten und BHE verbannt die Christlich-Sozialen auf die harte Oppositionsbank, deren Führung wie vor den Kopf gestoßen erscheint – Bayern ohne CSU-Regierung!
Die bunte Vierer-Koalition hält bis zum Herbst 1957, denn nach der Bundestagswahl am 15. September überredet die CSU zwei der kleinen Regierungsparteien, nämlich die durch die Spielbankenaffäre angeschlagene BP sowie den BHE (Näheres über diese Gruppierung weiter unten) zum Austritt aus der Landesregierung. Der rote Ministerpräsident Hoegner demissioniert, und ab 16. Oktober 1957 hat das Land wieder – und bis heute! – einen CSU-Regierungschef. Damit ist in den Augen der Christlich-Sozialen die gewohnte Ordnung wiederhergestellt.

Später, so etwa bei der Landtagswahl am 25. November 1962, schafft die BP nur mehr acht Mandate. Obwohl die CSU mit 108 Mandaten (von 204) eine bequeme absolute Mehrheit erringt, tut sie sich am 11. Dezember mit ihrer einstmals schärfsten Konkurrentin zusammen. Die ist recht bescheiden geworden, stellt im Landeskabinett nur mehr einen Staatssekretär, Robert Wehgartner. Doch die Koalition mit der CSU kann die Bayernpartei nicht retten. Ihr einziger Staatssekretär wird zum Überläufer, geht zur Mehrheitspartei. Seitdem führt die BP ein Schattendasein als Splittergruppe.

Neue Hoffnung für alte Kameraden

Nun zu einer politischen Kraft, die von den Mitbewerbern als Schmuddelkind angesehen und später sogar verboten wird, die SRP. Am 2. Oktober 1949 gründen neun Männer im Extrazimmer eines Gasthauses in Hannover die Sozialistische Reichspartei. Der Taufspruch lautet „Sammlung aller wahrhaft Deutschen durch kämpferisches Bekenntnis und Verpflichtung auf ein klares sozialistisches und nationales Programm zur Überwindung der deutschen Not.“ Die neue politische Kraft wird oft als Remer-Partei apostrophiert, denn der bekannteste von ihnen ist Otto Ernst Remer, der bekanntlich am 20. Juli 1944 als Kommandeur des Wachbataillons Großdeutschland in Berlin das Unternehmen Walküre maßgeblich vereitelt.

Die Partei hat ihre Hochburgen in Niedersachsen, was sich bei der Wahl zum Landtag am 6. Mai 1951 zeigt. Die Reichspartei fährt 366.790 Stimmen (11,0 %) und 16 Mandate ein. Am Dienstag, 8. Mai 1951, sieht die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) unter dem Titel „Die Mahnung von Niedersachsen“ mehrere Gründe dafür: …Ursache für den SRP-Erfolg ist … die lange, allzu lange Zeit der Militärdiktatur, die Deutschland umerziehen wollte, ohne es zu kennen … Es genügt festzuhalten, daß diejenigen Redner der Reichspartei den größten Erfolg hatten, die mit Stolz auf ihre hohen Kriegsauszeichnungen hinwiesen und sich dann mit Entschlossenheit gegen die Wiederbewaffnung aussprachen.

In der Folge versucht die Partei, auch im benachbarten Ausland Fuß zu fassen. Laut Bericht der deutschen Botschaft in Brüssel vom 24. Oktober 1951 konstituiert sich im Frühsommer 1951 im ostbelgischen Sankt Vith, also im deutschsprachigen Gebiet um Eupen-Malmedy, in Anwesenheit von Remer eine SRP-Ortsgruppe, die allerdings von den belgischen Behörden aufgelöst wird.

Ein prominenter Unterstützer der Partei ist – wenn auch nur für kurze Zeit, da ihm von der Führung nur Remer zusagt – niemand anderer als der höchstdekorierte Soldat der deutschen Wehrmacht, der Luftwaffenoberst Hans-Ulrich Rudel. Nicht nur Rudel, auch Remer zieht die Wähler in seinen Bann. DER SPIEGEL formuliert es so: Der Messias kommt. Jeden Abend – wochenlang geht das schon – zünden die SRP-Aktivisten in den kleinen Landstädten die vollbesetzten Versammlungssäle an – mit Marschmusik und forschen Reden. Hauptredner: 20. Juli-Generalmajor Ernst Otto Remer, 39jährig, schlank, mit ausgemergeltem Gesicht und flackrigen Fanatiker-Augen. Er sprach in diesem Monat auf 46 Versammlungen vor rund 40. 000 Besuchern … Der Mecklenburger Remer spricht heiser und polternd. Aber die Einheitsrede sitzt wie eine knappe Uniform.

Besonders schmerzhaft ist für den unter westalliierter Kuratel stehenden Adenauer Remers Satz vom 9. März 1951: Die deutschen Politiker in Ost und West sind in gleicher Weise Befehlsempfänger fremder Mächte. Nebenbei: Remer geht mit dem westdeutschen Bundeskanzler nicht so hart ins Gericht wie Max Reimann, Vorsitzender der KPD, der Adenauer als Quisling bezeichnet und dafür zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt wird.

Der US-Hochkommissar John McCloy formuliert in einer Radiorede: Das deutsche Volk hat zwar den Kommunismus in jeder freien Wahl abgelehnt, aber ebenso unheilvoll ist die Bedrohung durch andere totalitäre Gruppen, die zum großen Teil aus früheren Naziaktivisten bestehen. In manchen Gegenden Deutschlands versuchen wieder kleine Gruppen, die Irrlehren, die alten Schlagworte und Taktiken zu vertreten, die Deutschland in Trümmer gelegt haben. Das ist Wasser auf die Mühlen der Reichspartei, deren Redner jeden Abend ihren Zuhörern die rhetorische Frage stellen, wer denn nun Deutschland in Trümmer gelegt habe. Doch das Bundesverfassungsgericht tut, was die Besatzer wünschen: Es löst mit Entscheidung vom 23. Oktober 1952 die Partei auf. In der Begründung seines Urteils heißt es, bei der SRP handle es sich um eine Partei, die in ihrem Programm, ihrer Vorstellungswelt und ihrem Gesamtstil der früheren NSDAP wesensverwandt sei.

Heimatvertrieben und Flüchtlinge als politische Kraft

Wenden wir uns jetzt einer Flüchtlingspartei zu. Am Abend des 9. Juli 1950 gibt es in Kiel lange Gesichter bei SPD und CDU. Das, was alle insgeheim befürchtet haben, ist eingetreten, der Riesenerfolg der neuen Flüchtlingspartei BHE, das Kürzel steht für Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten. Im Landtag Schleswig-Holsteins sitzen fünfzehn Abgeordnete des Blocks, gestützt auf das Vertrauen von satten 23,4 % der Wählerschaft. In der Landesregierung bekleidet BHE-Chef Waldemar Kraft das Amt des Finanzministers. Das Ergebnis der Wahl ist der Aufschrei von Menschen, die am Ende des Zweiten Weltkriegs und danach als Flüchtlinge und Vertriebene Richtung Westen strömen. Die einheimische Bevölkerung sieht in den Flüchtlingen meist Eindringlinge, fremde Habenichtse, die die eigene Not nur noch vergrößern. Bloß für eine Minderheit sind es Angehörige des eigenen Volkes, denen das Schicksal besonders übel mitspielt. In manchen Gemeinden kann die Aufnahme der Neuankömmlinge nur mit Waffengewalt erzwungen werden, danach herrscht offene Feindseligkeit.

Kiel, am 8. Jänner 1950, Gründung des BHE. Waldemar Kraft bringt es auf den Punkt: Die Flüchtlinge aus dem Osten tragen keine persönliche Schuld daran, daß sie ihr Land verloren haben, wie es nicht das persönliche Verdienst der anderen ist, daß sie im Westen alles behalten konnten. Alle Deutschen haben den Krieg gemeinsam verloren, infolgedessen müssen alle gemeinsam bezahlen. In der Folge kann der BHE etliches für die bisher eher in die Ecke gestellten Vertriebenen erreichen. Doch gerade auf Grund seiner Erfolge bei der Beschleunigung der sozialen und wirtschaftlichen Eingliederung der Heimatvertriebenen verliert der BHE nach und nach seine Wählerschaft.

Erfolge auf Bundesebene überdecken den Niedergang der Flüchtlingspartei. Bei den Wahlen zum Bonner Parlament am 6. September 1953 erringt der Block 27 Mandate, tritt mit zwei Ministern in die Regierung Adenauer ein. Bei der zweiten Bundesversammlung im Juli 1954, die sich zwecks Wiederwahl von Theodor Heuss in Berlin versammelt, stellt der BHE beachtliche 61 der insgesamt 1.018 Mitglieder. 1955 kann als das Sterbejahr des Blocks betrachtet werden: Die beiden Minister und ein Teil der Bundestagsfraktion trennen sich wegen unterschiedlicher Auffassungen über die Zukunft des Saarlandes vom BHE, sechs Abgeordnete gehen über zur CDU, der Rest gesellt sich zur Opposition.

Der Vollständigkeit halber kurz erwähnt seien zwei Parteien, die auf eine lange Tradition verweisen können, aber nach 1945 nur mehr eine bescheidene Rolle spielen. Die eine Gruppierung ist das 1870 gegründete katholische Zentrum, das in der Person von Rudolf Amelunxen zwischen 1945 und 1947 sogar den ersten Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen stellt, aber binnen weniger Jahre von der CDU aufgesogen wird. Die “älteste deutsche Partei” existiert sogar heute noch in Hannover, ist aber politisch irrelevant. Die zweite Kraft, der eine etwas längere Lebenszeit beschieden ist, nennt sich Deutsche Partei (DP). Sie ist die Nachfolgerin der 1869 ins Leben gerufenen Deutsch-Hannoverischen Partei (DHP), in der sich die Anhänger der Welfen-Dynastie des 1866 von Preußen annektierten Königreichs Hannover sammeln. Mit der Auflösung des Staates Preußen durch eine Verordnung der Siegermächte und der Errichtung des Bundeslandes Niedersachsen 1946 erringt die welfische Bewegung einen Etappensieg. Bei den Wahlen am 20. April 1947 bringt die DP immerhin 27 Abgeordnete in den Landtag. Von 1955 bis 1959 ist DP-Chef Heinrich Hellwege sogar der Ministerpräsident Niedersachsens. Auf Bundesebene stellt die DP, deren Verbleib im Bundestag vom Wohlwollen der CDU abhängt (durch Überlassung mehrerer Wahlkreise zwecks Umgehung der Fünfprozenthürde) mehrere Ressortchefs. Bei der Bundestagswahl 1961 scheitert die DP, nun nicht mehr von der Union gestützt, an der Fünfprozenthürde und fristet danach ein Dasein als Splittergruppe.

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