Eine Grundvoraussetzung menschlicher Entfaltung
Heimat ist ein Thema, das alle Menschen in ihrem Leben beschäftigt – die einen früher, die anderen später. In seinem Festvortrag anläßlich des Schulvereinstages 2021 formulierte Mag. Dworak-Stocker seine eigenen Gedanken zu diesem Thema.
Ein Gastbeitrag von Wolfgang Dworak-Stocker
Die Identität eines Menschen setzt sich aus vielerlei Quellen zusammen, aus familiären und beruflichen, ganz wesentlich auch aus seinen Hobbys, Interessen und Überzeugungen. Der Jäger, der zu jeder Jahreszeit und bei jeder Witterung im Revier ist, der regelmäßige Besucher der Sonntagsmesse, der Aktivist, der keinen Mai-Aufmarsch und keine Aktion seiner politischen Ortsgruppe ausläßt, der Fußballfreund, der die Sonntage im Stadion verbringt oder der Sammler alter Orden, der mit Spezialisten im ganzen deutschen Kulturraum und in der halben Welt korrespondiert, sie alle teilen mit einer ganz spezifischen Gruppe besondere Erlebnisse und Erfahrungen, die Außenstehenden weitgehend verborgen bleiben, die aber doch ihre Identität in entscheidender Weise prägen. Doch alle diese Bestandteile der Identität sind selbst gewählt.
Natürlich gibt es auch andere Quellen unserer Identität, die wir nicht oder nur in besonderen Ausnahmefällen selbst wählen können, etwa die der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Volk, einem Staat oder einem Geschlecht. In verschiedenen Ländern der Bundesrepublik Deutschland ist die Erziehung der Jugend zur „Liebe zu Volk und Heimat“ immerhin sogar als Verfassungsziel festgeschrieben!
Das erste uns bekannte Beispiel für Heimatliebe ist mehr als 2.000 Jahre alt und stammt vom Dichter Ovid, der aus seiner Heimatstadt Rom an die heutige rumänische Schwarzmeerküste verbannt wurde. Ovid war in keiner Weise in der Lage, die fraglos gegebene Schönheit seines Verbannungsortes auch nur ansatzweise zu würdigen und klagte in zahlreichen Briefen an seine Freunde über sein Leben im „Elend“, was ja vom mittelhochdeutschen Wort für „Verbannung“ kommt. „Heimat“ war für Ovid eben ausschließlich „Rom“ und keineswegs irgendeine Provinz des Römischen Reiches.
Wenn wir nun einen Zeitsprung um fast 1800 Jahre nach vorne machen, finden wir uns in der Schweiz wieder, wo der Begriff der „Heimweh-Verbrechen“ für wissenschaftliche Diskussionen sorgte. Viele Schweizer Bauern sandten ihre Töchter zum Dienst in die Städte, damit diese in bürgerlichen Haushalten bessere Umgangsformen und Kochkünste erlernen sollten. Die Mädchen wurden nicht aus ihren heimatlichen Bergdörfern in die Fremde oder gar in andere Länder geschickt, sondern meist nur in wenige Tagesmärsche entfernte Schweizer Kleinstädte. Dennoch verzehrten sich diese Mädchen so sehr vor Heimweh nach ihren Bergdörfern, dass sie teilweise die ihnen anvertrauten Kinder töteten, im Irrglauben, durch die Beseitigung dieses Hindernisses wieder nach Hause zurückkehren zu können. Das hat im 19. Jahrhundert zu intensiven Diskussionen von Ärzten und Juristen geführt, ob diese unglücklichen Frauen im vollen Sinne schuldfähig gewesen seien, oder ob nicht ihr Heimweh als eine Art geistige Erkrankung zu verstehen gewesen sei, die ihre Schuldfähigkeit herabsetzte.
Nicht umsonst verwenden wir auch heute noch den Begriff „krank vor Heimweh“.
„Heimat“ ist für den Menschen also ein konkreter Ort und unter Heimweh litten jene, die sich, aus welchen Gründen auch immer, fern von ihm aufhalten mußten. Früher war dies vor allem eine Erfahrung von Auswanderern, wie das folgende Gedicht Peter Roseggers belegt:
Ein Freund ging nach Amerika
Und schrieb mir vor einigen Lenzen:
Schicke mir Rosen aus Steiermark,
Ich hab eine Braut zu bekränzen!Und als vergangen war ein Jahr,
Da kam ein Brieflein gelaufen:
Schicke mir Wasser aus Steiermark,
Ich hab ein Kindlein zu taufen!Und wieder ein Jahr, da wollte der Freund,
Ach, noch was anderes haben:
Schicke mir Erde aus Steiermark,
Muß Weib und Kind begraben!Und so ersehnte der arme Mann
Peter Rosegger
Auf fernsten, fremden Wegen
Für höchste Freud, für tiefstes Leid
Des Heimatlandes Segen!
Heute ist Heimweh in dieser Form durch die neuen Kommunikations- und Reisemöglichkeiten kaum mehr vorhanden. Auch wenn man fernab der Heimat lebt, kann man engen Kontakt zur Heimat halten. Man kann sie mehrfach jährlich besuchen, man kann zu den eigenen Freunden und den heimatlichen Gegebenheiten durch Facebook, Handtelefon und andere Möglichkeiten in enger Verbindung stehen.
Den vollständigen Artikel finden Sie in der ECKART-Ausgabe November 2021 sowie in der neuesten Eckartschrift 246.