Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Auflösung der RAF vor 25 Jahren

von Mario Kandil

Kalendarium Kandili (14)

Am 20. April 1998 erhielt die Nachrichtenagentur Reuters ein acht Seiten umfassendes Schreiben, in dem die Rote Armee Fraktion (RAF) ihre Selbstauflösung mitteilte. Doch wer in irgendeiner Weise Einsicht der letzten Terroristen dieser Gruppierung erwartet hatte, sah sich getäuscht. Das Dokument triefte vor trotziger Rechthaberei, war unzweifelhaft echt und stammte von der sogenannten dritten RAF-Generation, wie das Bundeskriminalamt anhand des benutzten Papiers festzustellen vermochte: Auf diesem waren seit 1984 nahezu sämtliche Bekennerschreiben verfaßt worden.

„Vor fast 28 Jahren, am 14. Mai 1970, entstand in einer Befreiungsaktion die RAF: Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte“, hieß es in dem Brief. Mit „Befreiungsaktion“ meinten die Verfasser den Überfall auf ein Berliner Forschungsinstitut, um Andreas Baader aus der Haft zu holen, wobei ein Bibliotheksangestellter lebensgefährlich verletzt worden war. Doch darüber stand in dem Auflösungsschreiben kein Wort, schon gar nicht eines des Bedauerns.

Genauso zynisch ging das Schreiben weiter: „Wir stehen zu unserer Geschichte. Die RAF war der revolutionäre Versuch einer Minderheit, entgegen der Tendenz dieser Gesellschaft zur Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse beizutragen. Wir sind froh, Teil dieses Versuchs gewesen zu sein.“ Im wesentlichen hielten die ungenannten und bis heute unbekannten Autoren an ihrer fixen Idee fest, einen berechtigten Kampf gegen den Staat geführt zu haben: „Die Guerillas der Metropolen haben den Krieg, den die imperialistischen Staaten außerhalb der Zentren der Macht führen, in das Herz der Bestie zurückgetragen.“

Ausgelöst hatte diese Selbstauflösung die mißlungene Festnahme von führenden RAF-Terroristen in Bad Kleinen am 27. Juni 1993, denn in den folgenden Monaten gab es heftige Differenzen zwischen den inhaftierten Radikalen und den in der Illegalität verbliebenen Mitgliedern der dritten Generation. Bedauernd stellte das Schreiben abschließend fest, zwar habe die RAF keinen Weg zur Befreiung aufzeigen, aber mehr als zwei Jahrzehnte lang dazu beitragen können, daß es den Gedanken an Befreiung heute gebe. Eine seltsame Vorstellung von Befreiung, die 34 Opfer das Leben und 230 weitere Gesundheit und Lebensfreude kostete.

So bleibt die RAF bis heute ein deutsches Trauma. Von der DDR massiv unterstützt, um den Klassenfeind BRD zu destabilisieren, versuchte die Terrorgruppe, gewaltsam radikale linke Utopien von Staat und Gesellschaft in die Tat umzusetzen – vergeblich. Dieses Vorhaben, für das die RAF noch in unseren Tagen von politisch links stehenden „Idealisten“ Lob erhält, konnten jedoch viele andere „68er“ mit ihrem „Marsch durch die Institutionen“ letztlich verwirklichen – wie uns die Gegenwart täglich vor Augen führt.

Über den Autor:

Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.

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