Brauchtum (2)
von Reinhild Bauer
Als Losnacht oder Andreasabend bekannt ist in deutschen Landen der Vorabend des Todestages des Heiligen Andreas’ am 30. November. An diesem Datum gibt es unzählige regionale Bräuche zu Weissagungen für das nächste Jahr. Im Gebiet der BRD sind die Bräuche längst in Vergessenheit geraten, während sie in Schlesien teilweise nach wie vor – heute oft als polnische Bräuche bezeichnet – gelebt werden.
Der Rahmen des Andreasabends ist ausgelassen und fröhlich. Nach dem Abendessen trifft sich die ganze Nachbarschaft in großer Runde. Während sich die Jugendlichen in der einen und die Älteren in der anderen Stube versammeln, flitzen die Kinder verkleidet durch die Gassen. Mit allerlei speziellem, traditionellen Gebäck und Punsch werden Gäste bewirtet, während sie die spielerischen Bräuche begehen.
Die meisten davon betreffen ledige Mädchen. Da der Heilige Andreas unter anderem auch Schutzheiliger der Liebenden und des Ehestandes ist, zielen die „Losungsbräuche“ darauf ab zu ermitteln, welches Mädel im nächsten Jahr heiraten werde, und wer der richtige Mann sei.
Auf diese Fragen können die Dirndln auf vielfältige Weise Antworten finden, indem sie
- im Schuppen mit beiden Armen Holzscheite zusammenraffen und in die Stube tragen. Wer eine gerade Zahl erwischt hat, darf sich auf die Hochzeit freuen.
- in den Hühnerstall schleichen und mit einer langen Stange vorsichtig die schlafende Geflügelschar wecken. Wer einen Hahn erwischt, darf auf einen Ehemann hoffen.
- einen Gänserich in der Stube mit verbundenen Augen im Kreis drehen und anschließend laufen lassen. Das Mädchen, auf welches er als erstes zuläuft, heiratet als nächstes.
- ihre Schuhe Richtung Tür aneinanderreihen. Wessen Schuh schließlich an die Tür heranreicht, wird als erstes heiraten.
- Apfelschalen hinter sich werfen und versuchen, daraus den Anfangsbuchstaben ihres Zukünftigen zu lesen.
Doch auch Männer und Frauen, Bauern und Knechte nutzen den Andreasabend für einen Blick in die Zukunft. Zum Beispiel beim traditionellen Blei- oder Wachsgießen, mit anschließender Deutung der so entstandenen Gebilde. Ein anderer Brauch ist das Einbacken von Scherzartikeln in Pfannkuchen. Auch so wird unter schallendem Gelächter das eine oder andere kommende Ereignis vorhergesagt.
Was wir heute mühevoll aus Horoskopen „von der Stange“ herauslesen wollen, wurde früher in ganz Deutschland und wird bis heute in Schlesien am Andreasabend durch „Befragung“ des Tagesheiligen zu ergründen versucht. Auch wenn die Trefferquote gleichermaßen gering sein mag – unterhaltsamer werden die in der Gemeinschaft gepflegten alten Bräuche allemal gewesen sein.