Postkarte 1772 des Deutschen Schulvereins

Als man sich auf Weihnachten noch freuen konnte (3)

***ECKART-Adventkalender***

Eine Weihnachtsgeschichte von Konrad Windisch

Und so war das: Stehenbleiben und mit Entgegenkommenden, oft Fremden, plaudern. All diese dummen, alten, überholten Rituale machen wie zum Beispiel Wunschbriefe schreiben, die dann von irgendeinem Engel abgeholt werden. Oder mit ein paar Schilling in der Tasche ein Weihnachtsgeschenk für die Freundin auswählen, später dann, als die Kindheit vorbei war. Das Geschenk auswählen. Nach vielen Gesichtspunkten, nicht nur – aber natürlich auch – nach der vorhandenen Barschaft. Die Sorgen der Erwachsenen mitspüren, wenn auch nicht mitwissen und glücklich sein, wenn plötzlich Freude da war.

Ich denke oft daran, wenn ich jetzt mit einem Zettel durch die Straßen fahre, um zwischendurch noch ein paar Geschenke zu erledigen, vorgeschriebene, gewünschte, notwendige. Abgehakt, erledigt. „Bitte gleich festlich einpacken?” „Ja, bitte. ” „Du armes Schwein”, denke ich. Ich denke auch oft daran, wenn mir junge Leute erzählen, sie würden sich einmal „richtige Weihnachten leisten”. Ich denke daran, daß ich großartige Erwachsene um mich gehabt haben muß. Denn ich denke noch oft und voll Sehnsucht an diese Weihnachtszeit.

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Der Heilige Abend. Die Freude begann mit dem Erwachen, denn alle waren zu Hause. Die Großmutter und die Tante und der Onkel. Vater kam später, der hatte noch mit dem Christkind zu sprechen. Und wieder hatten alle Zeit – das ist es nämlich! Der Weihnachtsspaziergang – je nach Wetter lang oder kurz und besonders lang bei Schnee. Einmal, da fand ich im Park auf einem Zweig einen Faden Lametta. Den hatte ein Engel verloren! Zu Mittag gab es nur eine Suppe, aber niemand rannte herum und kochte, reinigte, räumte weg. Es war alles ruhig und die Tür zum Zimmer verschlossen. Und alles saß um den Tisch, es war warm – und die Freude war im Raum.

Sicher – bei vielen, vielen Kindern wird es heute genauso sein. Sicher – alles ist verklärt in der Kindheit. Und doch – es gibt Unterschiede. Zum Beispiel: das wichtigste Gespräch am ersten Schultag nach Weihnachten war natürlich „Was hat dir das Christkindl gebracht?”, oder später „Was hast du bekommen?” Aber nie sagte der eine zum anderen am letzten Schultag vor Weihnachten: „Ich bekomme zu Weihnachten …” Nie. Hören Sie doch Ihren Kindern zu. Viele wissen alles. Zuviele.

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Es ist etwas Gutes um das Wissen und etwas Schönes um das Glaubenkönnen. Meine Großmutter war fromm, eigenartig fromm fand ich, als ich selbst nicht mehr fromm war. Sie teilte ihre paar Groschen, die sie erübrigen konnte, auf die Sammelbüchsen der verschiedenen Heiligen in der Kirche auf. Fünf Groschen für den Hl. Antonius und zehn Groschen für die Hl. Elisabeth und so weiter. Manchmal bekam auch der Hl. Thaddäus etwas, nicht zu oft, denn der war der Namenspatron der Kirche und bekam sowieso viel. Zu Weihnachten bekam der Hl. Josef immer am meisten, weil er die meisten Sorgen um diese Zeit hatte. Mit der Familie und so. Aber ja, lachen Sie nur. Es ist ja auch lächerlich, wir lachten alle. Nur – wie meine Großmutter ihre paar Groschen bei der Statue des Hl. Josef in den Blechtopf warf und warum sie es zu Weihnachten tat – ich finde es ganz großartig. Ich liebe sie heute noch und nicht nur deswegen.

In meiner Kindheit gab es eigentlich nur einmal „reiche Weihnachten”, das heißt solche mit vielen Geschenken. Das war in dem Jahr, als mein Vater nicht mehr arbeitslos und noch nicht im Krieg war. Es gab nur ein solches Fest und einen besonders schönen Baum und eine Tafel und eine Burg und einen kleinen Schreibtisch und eine Trommel und eine aufziehbare Eisenbahn und einen Karpfen. Unglaublich viele Geschenke gab es da, viel mehr als zu den Weihnachten vorher oder nachher. Aber alle Weihnachten meiner Kindheit waren reich. Tief innen reich.

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“Als man sich auf Weihnachten noch freuen konnte”, Teil 2 – HIER weiterlesen.

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