Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Über Flüsse und Menschen

von Sven Schiszler

Über Flüsse läßt sich gut sinnieren. Berühmt das Sprachbild, das dem Vorsokratiker Heraklit von Ephesos zugeschrieben wird: „Du kannst nicht zweimal in den gleichen Fluß steigen.“ – damit nicht weniger als die ständige, ja sekündliche Veränderung fast aller in und um uns befindlichen Dinge postulierend. Kein beruhigender Gedanke für einen konservativen Menschen, der das Allzeitgültige, das über die Zeiten hinfort Beständige, das Unveräußerliche zu greifen trachtet, um es zur Grundlage seines Denkens und Handelns zu machen. Die Schlußfolgerung, die aus Heraklits Feststellung zu ziehen ist: Das einzig Beständige ist die Veränderung. „Ewiges ist nicht auf Erden/ als der Wandel, als die Flucht“, formulierte zweieinhalbtausend Jahre später Hermann Hesse. Der Fluß, ein Sinnbild irdischer Vergänglichkeit.

In der Schule lernten wir, daß alte Hochkulturen vor allem Flußkulturen waren. Ägypten, ein Geschenk des Nils; Mesopotamien eine entwickelte Zivilisation zwischen Euphrat und Tigris; ebenso bedeutsam und von seinen Anrainern zumindest teilweise als heilig betrachtet: der Indus. Nicht minder bedeutsam – als Verkehrsweg und Möglichkeit zur Bewässerung größerer Anbauflächen, was wiederum die Voraussetzung einer zahlreichen Bevölkerung war: der Gelbe Fluß in China. Der Fluß, Urgrund menschlicher Zivilisation und Kultur: Er gibt Wasser für Mensch, Tier und Äcker und speist mit Fischen seine Anrainer.

Andere Flüsse wiederum schrieben Weltliteraturgeschichte. Michail Scholochows monumentaler Roman Der stille Don setzte den Kosaken, die über Jahrhunderte an seinem Ufer siedelten und in die Zeitenstrudel des Ersten Weltkrieges und des Russischen Bürgerkrieges gerissen wurden, ein ebenso beeindruckendes wie lesenswertes literarisches Denkmal, für das er 1965 mit dem Literaturnobelpreis geadelt wurde. Ein Leben ohne „Väterchen Don“ war im Selbstverständnis der Kosaken gar nicht denkbar.

Und was wären die Abenteuer Huckleberry Finns ohne den Mississippi? Auch in Mark Twains Werk ist der Fluß nicht nur zufällige geographische Kulisse, sondern vielmehr ein Symbol – ein Gegenort zur einengenden Gesellschaft, ein Fluchtort, Gestalt gewordener Aufbruch in ein freies, unbändiges Leben. Und Deutschland, Österreich? Ja, selbstverständlich haben wir im Fach berühmte Flüsse etwas anzubieten.

Rhein und Donau sind die Majestäten der europäischen Flußgeographie.

Unbestritten sind dies die höchstfrequentierten und bedeutsamsten Verkehrswege Europas, auf denen jährlich Millionen Tonnen an Gütern und abertausende Personen transportiert werden. Darüber hinaus natürlich auch kühler, nasser Grund, aus dem mythologische Stoffe gehoben wurden. Man denke an den Schatz der Nibelungen, den Hagen von Tronje im Rhein versenkte. Oder an die Loreley, jene sagenhafte Gestalt, die auf einem Felsen im Rhein sitzt und Schiffer durch betörenden Gesang um den Verstand bringt und ins Verderben stürzt. Spätere Generationen – Stichwort Romantik – sahen im Rhein und den ihn säumenden Landschaften eine deutsche Seelenlandschaft verkörpert, sperriger gesagt eine Projektionsfläche deutscher Identität, in der mythologische, naturromantische, kulturelle und politische Motive in unterschiedlicher Gewichtung ineinander flossen.

Der Donau hingegen – bekanntermaßen nicht von den Alpen in die Nordsee, sondern von ebendort nach Osten sich krümmend und ins Schwarze Meer mündend – kommt zwar auch ein identitätsstiftendes Element zu, aber ihr Weg durch insgesamt zehn verschiedene Länder und unterschiedliche Kulturlandschaften macht sie zudem zum Inbegriff eines völkerverbindenden europäischen Flusses. Von Donaueschingen windet sie sich in unterschiedlichster Form über 2.850 Kilometer bis hinunter an die rumänische Schwarzmeerküste und ist damit nach der Wolga der zweitlängste Fluß in Europa. 2.655 Kilometer sind schiffbar und dienten von alters her als Wasserweg. Zwangsläufig denkt man an die tausenden deutschen Kolonisten, die sich über die Donau auf einen beschwerlichen Weg in eine ungewisse Zukunft gemacht haben.

Die über weite Strecken erhaltenen einstigen Treppelwege dienen heute als Rad- oder Wanderwege, die zu Radwanderungen entlang dieser alten europäischen Wasserstraße einladen. Glaubt man den Zahlen der via donau Österreichischen Wasserstraßengesellschaft sind es jährlich über 900.000 Radfahrer, die die Strecke Passau-Preßburg befahren.

Da ist es, das beständige Moment: Die Zeiten mögen sich ändern, die Donau aber wird immer Menschen aus West und Ost miteinander verbinden. Gut so!

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