Das „kleine Wien“ wird auch zu einem „kleinen Silicon Valley“
Temeswar, eine Stadt, in der die Donauschwaben bis zum Zweiten Weltkrieg die größte ethnische Gruppe stellten, hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Die Stadt mausert sich nach Hermannstadt nun auch zum Vorzeigestädtchen für Touristen. Sehr viele heruntergekommene Gebäude wurden renoviert, bei anderen ist die Sanierung noch in vollem Gange. Seit letztem Jahr hat Temeswar mit Dominic Fritz auch einen deutschen Bürgermeister.
Eine Reportage von Marc A. Reithofer
Immerhin soll Temeswar (früher Temeschburg), Rumänisch Timișoara, dieses Jahr Kulturhauptstadt Europas werden, zusammen mit der zweitgrößten Stadt Serbiens: Novi Sad. Unter den Gebäuden, die gerade eine Gesichtsmaske aus Gerüst und Bauplane tragen, befindet sich auch jener klassizistische Prachtbau, der die höheren Stufen des deutschsprachigen Nikolaus-Lenau-Lyzeums beherbergt. Das Gebäude, in dem die unteren Klassen unterrichtet werden, befindet sich direkt am Platz der Vereinigung, der Piața Unirii. Dominiert wird jener älteste Platz der Stadt jedoch vom langen Barockpalast und dem Dom zu Temeswar, weshalb er im Volksmund auch die Bezeichnung Piața Domului, zu Deutsch: Domplatz, trägt. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich das Serbische Bischofsheim sowie die Serbisch-Orthodoxe Kathedrale, die mit ihren eleganten Zwiebeltürmchen fast bayrisch anmutet.
Deutsche noch 2,25 Prozent
Obwohl die Deutschen in Temeswar noch einen Bevölkerungsanteil von 2,25 Prozent stellen und ihre Zahl in Stadt und Umland vom deutschen Konsulat mit 10.000 beziffert wird, entstammt die Mehrzahl der Schüler des nach dem Biedermeier-Schriftsteller Nikolaus Lenau (1802–1850) benannten Gymnasiums heute einem rumänischsprachigen Elternhaus. Über die Jahrzehnte hat sich deshalb eine schultypische Zweitsprache entwickelt, die weder mit Hochdeutsch noch dem Dialekt der Banater Schwaben identisch ist. In der Forschung wird die von Schülern wie Lehrern gesprochene Variante als „Lenaudeutsch“ bezeichnet.
Adam Müller-Guttenbrunn
Gleich neben dem botanischen Park der Stadt befindet sich das Adam Müller-Guttenbrunn-Altenheim Temeschburg, das von der Adam Müller-Guttenbrunn-Stiftung getragen wird und neben einem sozialen auch einen kulturellen Bereich umfaßt. Müller-Guttenbrunn (1852–1923), der Namensgeber des Altenheims, gilt als Hauptvertreter der Literatur der Donauschwaben und ist damit natürlich eine zentrale Identifikationsfigur für die letzten Banater Schwaben. Nach ihm ist auch das Theoretische Lyzeum in Arad benannt.
Schwaben sind eigentlich Franken
Müller-Guttenbrunns 1913 erschienenes Hauptwerk, ein Roman mit dem Titel „Der große Schwabenzug“, behandelt die Einwanderung der südwestdeutschen Donauländer im 18. Jahrhundert. Doch so wenig, wie es sich bei den Siebenbürger Sachsen um Sachsen handelte, so wenig handelte es sich bei den Donauschwaben um Schwaben im eigentlichen Sinne. Der Dialekt der Banater Schwaben gehört vielmehr dem fränkischen Sprachzweig an, was sich auch an Müller-Guttenbrunns Dichtung erkennen läßt. Zu erwähnen ist mit Blick auf das deutsche Kulturerbe in Temeswar selbstverständlich noch das Deutsche Staatstheater, das 1953 wiedereröffnet wurde, nachdem es 1899 im Zuge zunehmender Magyarisierung geschlossen worden war. Den Theatersaal mit 100 Plätzen teilt sich das deutsche Berufsensemble heute mit dem Ungarischen Staatstheater. Wie manch anderes Gebäude ist auch das Nationaltheater und Opernhaus an der Piața Victoriei, in dessen rechtem Flügel sich das Deutsche Staatstheater befindet, derzeit in ein Baugerüst gehüllt. Daß bei der Stadtverschönerung jede Menge EU-Gelder zum Einsatz kommen, ist kein Geheimnis.
Götze des Konsumismus
Mit der neu errichteten Iulius Town, die als Stadt in der Stadt bezeichnet wird, wurde dem Konsumismus in Rumänien ein Denkmal gesetzt. Möchte man zu Fuß zum riesigen Einkaufszentrum gelangen, muß man einen penibel gepflegten Park durchqueren und wird dabei von allen Seiten mit Musik beschallt, die aus wasserdichten Boxen dicht über dem Erdboden dröhnt. 450 Geschäfte und 40 Fast-Food-Restaurants beherbergt das Einkaufszentrum, außerdem ein Schwimmbad und das größte Fitneßstudio Rumäniens. Die Mietpreise explodieren, die Arbeitslosenquote liegt bei nur einem Prozent, was auch an den Industriehallen der Autozulieferer liegt, die sich dort angesiedelt haben.
