Bundesdeutsche und österreichische „Flucht“ nach Paraguay
von Henning Huberty
Flughafen Silvio Petirossi, Asunción, Paraguay, 9:40 Uhr. Der Air-Europa-Flieger aus Madrid – die einzige Direktverbindung aus Europa ins Land am Paraná – ist gerade gelandet. Ein Drittel der Fluggäste ist hellen, mittel- bis nordeuropäischen Typs. Umgangssprache: meist Deutsch. Ältere Paare, junge Familien mit zwei oder drei Kindern. Wie Touristen sehen sie nicht aus. Was sollte auch einen Reisenden ausgerechnet in das einzige lateinamerikanische Binnenland – landschaftlich eintönig, flach, kulturgeschichtlich arm, wirtschaftlich unterentwickelt – ziehen? Hört man ihre Gesprächen, so geht es um endgültige Übersiedelung, Sondierung von Einwanderungsbedingungen oder den Besuch von Verwandten, die bereits ausgewandert sind. Geschäftsreisende oder Touristen im eigentlich Sinn: Fehlanzeige.
Das Thema „Masseneinwanderung“ – manche sagen auch „Umvolkung“ – ist bei einem tiefergehenden Gespräch über die Zukunft des deutschen Sprach- und Kulturraumes kaum zu umgehen. Jeder weiß darüber Bescheid, zumindest in Ansätzen. Anders ist es mit der Frage der Auswanderung aus der Bundesrepublik und aus Österreich. Wissensstand: kaum vorhanden. Dabei sind auch diese Zahlen beachtlich und eine weitere wichtige Komponente des „Bevölkerungsaustausches“ – um nicht von „Umvolkung“ sprechen zu müssen…
Ein- und Auswanderungsbilanz der BRD und Österreichs
Die Zahlen: In der BRD gab es in den letzten Jahren bei knapp 1,5 Millionen Zuwanderern jeweils etwa eine Million Auswanderer, jährlich somit einen Zuwanderungssaldo von knapp einer halben Million Menschen. Von der knappen Million an Auswanderern sind jährlich immerhin zwei- bis dreihunderttausend Deutsche. Tendenz: steigend. In Österreich ist die Lage – unter Beachtung der Gesamtbevölkerungszahl – ähnlich, der Anteil der eigenen Staatsbürger an den Auswanderern aber geringer. So zählte man 2021 bei insgesamt 102.000 Auswanderern 17.000 auswandernde Österreicher. Eingewandert sind in diesem Jahr 154.000 Personen, so daß sich eine Nettoeinwanderungszahl von etwa 52.000 Personen ergibt – Illegale jeweils nicht eingerechnet.
Ziel der bundesdeutschen und der österreichischen Auswanderer ist wenig überraschend in erster Linie das jeweilige deutschsprachige Ausland, danach kommen die „Klassiker“ USA, Australien und andere. Weit hinten in der Statistik, aber mit wachsenden Zahlen, findet sich das kleine Land an den Flüssen Parana und Paraguay. 1.297 deutsche Staatsbürger sind 2021 dorthin ausgewandert, nur 305 von dort zurückgekehrt. Für Österreich liegen dazu keine genauen Zahlen vor, sie dürften aber im Verhältnis den bundesdeutschen entsprechen.
Viele unabhängig, quer, alternativ, familien- oder einfach heimatbewußt Denkende verzweifeln an der Entwicklung ihrer Heimat und sehen dort für sich und ihre Kinder keine Zukunft mehr. Masseneinwanderung aus der dritten Welt, immer engere bürokratische Kontrolle des Normalbürgers, Unsicherheit und Kriminalität, politisch korrektes Zwangsvokabular, Gender- und Klimareligion, LGBTQIA+-Vergötzung, Aufgehen des Nationalstaates im „sanften Monster Brüssel“, mediale und künstlerische „Gleichschaltung“ waren die bisherigen „Dauerbrenner“. 2020 hat dann zusätzlich den „Coronastaat“ oder – wie viele Auswanderer es empfinden – die „Coronadiktatur“ gebracht.
Paraguay, ein Land mit sieben Millionen Einwohnern auf einer Fläche fast so groß wie die BRD und Österreich zusammen, verspricht der „wilde Süden“ für Mitteleuropäer zu sein. Platz ohne Ende, billiges Land, bis vor kurzem keinerlei Einkommenssteuer – inzwischen beträgt sie gerade einmal 10%, pauschal, unter Abzug aller persönlichen Aufwendungen von der Bemessungsgrundlage. Abseits von allen Verkehrsströmen. Freundliche, nicht aggressive, wenig ambitionierte und geschäftstüchtige Einwohner; politische und wirtschaftliche Stabilität, mit Ausnahme des Grenzgebietes zu Brasilien passable Sicherheit. Dazu kommt noch die weltweit einzigartige Möglichkeit, weitgehend autonome Gemeinschaften („Kolonien“) zu gründen.
Die große Freiheit im fernen Land – ewig junger Traum mit langer Tradition
Das Ideal selbstverwalteter Kolonien im fremden, fernen und subtropischen Land hat schon im 19. Jahrhundert Deutsche nach Paraguay geführt, die dort ihre alternativen Lebens- und Freiheitsmodelle verwirklichen wollten. Pionier war 1886 Friedrich Nietzsches Schwager Bernhard Förster, der gemeinsam mit seiner Gattin Elisabeth die Kolonie „Nueva Germania“ gründete. Im „Neuen Germanien“ sollte ein Labor für die Entwicklung des wahren, unvermischten und freien „arisch-germanischen“ Menschen entstehen. Das Projekt und die Ideen Försters scheiterten, Förster nahm sich das Leben, die Siedlung aber überlebte. Heute sind von den 4.500 Einwohnern rund 1.000 Nachfahren der „germanischen“ Siedler. Die deutsche Sprache haben sie zumindest teilweise bewahrt, die „Rassenreinheit“ – an der schon Förster verzweifelte – hingegen nicht.
Um 1900 kamen deutschstämmige Siedler aus dem Süden Brasiliens ins Land und gründeten die Kolonie „Hohenau“. Daraus wurde die größte deutsche Siedlung Paraguays mit heute etwa 15.000 Einwohnern. Umgangssprache ist längst Spanisch, die deutschen Traditionen, das Identitätsbewußtsein und grundlegende Kenntnisse der früheren Muttersprache überlebten aber.
1920 war das Gründungsjahr von “Independencia“. Vor allem aus dem Rheinland kommend ließen sich hier Bauernkolonisten nieder, die 1928 sogar den Weinbau ins subtropische Paraguay brachten und diesen bis heute pflegen – wenn auch nur mehr in bescheidenem Ausmaß und unter großen Schwierigkeiten. Wer einen wirklich raren Tropfen vergorenen Rebensaftes kosten will, kann den Hof von Herrn Veith im Westen von Independencia besuchen. In vierter Einwanderergeneration ist dort Deutsch die Mutter- und Haussprache, zumindest der „Rote“ kommt auch an die Qualitäten in der fernen Heimat heran. Nach Jahren des Niederganges gibt es in der Kolonie wieder starken deutsch-österreichischen Zuzug – Schule, Genossenschaft, Sport- und Kulturvereine haben eine Zukunft.
Deutschstämmige Mennoniten als unfreiwillige Weltenbummler
Ebenfalls seit 1920 ist die bis heute größte geschlossene deutschstämmige Einwanderergruppe ins Land gekommen: die Mennoniten. Diese sogenannten „Wiedertäufer“ haben eine hunderte Jahre dauernde Wanderung durch weite Teile der Welt hinter sich und kommen nur aus einem Grund: um ihren Glauben, ihre Überzeugungen und Überlieferungen und ihre angestammte Lebensweise zu bewahren. Aus ihrer deutschen Heimat ist ein Teil von ihnen bis nach Rußland geflüchtet und hat dort große, plattdeutsch sprechende Bauernkolonien gebildet. Nach Einführung der Wehrpflicht im Zarenreich zog ein Teil der strikt pazifistischen Mennoniten nach Kanada, von wo sie nach Verbot ihrer deutschen Sprache in Folge des Ersten Weltkrieges wieder weiterwandern mußten.
So gelangten sie bis ins entlegene Paraguay, wo sie ein Netz von autarken Agrarsiedlungen errichteten und zur landwirtschaftlich führenden Gemeinschaft wurden. 1927 gründeten sie „Menno“, 1930 „Fernheim“, 1947 – für besonders traditionelle Flüchtlinge aus der im stalinistischen Rußland verbliebenen Restgruppe – „Neuland“, ihre bisher letzte große Kolonie von heute insgesamt 17.
Bernhard Försters Ideal der Rassenreinheit haben sie bis heute gelebt. Geheiratet wird – auch um den Preis einiger genetischer Defekte – unter den knapp 20.000 Mennoniten nur innerhalb der eigenen Gemeinschaft. Zumindest bisher. Inzwischen gibt es unter den bis heute weitgehend blonden und sehr hellhäutigen Getreuen des protestantischen Reformators Menno Simons in Südamerika wie auch unter ihren nordamerikanischen Glaubensbrüdern, den Amischen, starke Aufweichungstendenzen.
Gescheitert sind in Paraguay etwa zwei Drittel aller Siedlungs- und Kolonienprojekte, so in neuerer Zeit die von einem rußlanddeutschen Brüderpaar für Rußlanddeutsche gegründete Kolonie „Neufeld“. Die den von der BRD enttäuschten Aussiedlern gemachten Versprechen einer autarken und profitablen Landwirtschaft auf Grundstücken von jeweils vier Hektar waren nicht einzuhalten, das Gesamtprojekt ging in Konkurs, Gründer Nikolai Neufeld wurde in Deutschland wegen Betrugs verurteilt, die hunderten Siedler, die keine Eigentumstitel besaßen, standen vor dem Nichts. Ob daran wirklich Neufeld oder paraguayanische Anwälte der Siedler die Hauptschuld trugen, ist bis heute nicht völlig geklärt. Viele Siedler sind unter schwierigsten Umständen geblieben, heute geht es mit dem reorganisierten und in „Reinland“ umbenannten Projekt wieder aufwärts – auch Dank neuer „Flüchtlinge“ vor Merkel, Scholz, Baerbock oder Nehammer.
Seit Lockdown, Maske und Impfpflicht erfahren die Siedlungsprojekte einen Zustrom, den sie kaum bewältigen können.
Das trifft auch auf das vor fünf Jahren von einem Wiener Steuerberater ins Leben gerufene „Grüne Paradies“ („El Paraiso Verde“) zu. Nach einem eher matten Start kann sich das „Paradies“ kaum der fast ausschließlich deutsch-österreichisch-schweizerischen Zuwanderer erwehren. Die ehemalige Rinderfarm, drei Autostunden von der Hauptstadt entfernt, gleicht einer einzigen Baustelle. Auch ohne den formalen Status einer „Kolonie“, der laut Betreiber angestrebt wird, entspricht der abgelegene Fleck im regenreichen Süden Paraguays offenbar dem Auswanderertraum im Jahr 2022: dem Traum vom neuen, freien Leben, nach eigenen Vorstellungen, in einer Gemeinschaft
Gleichgesinnter.
Die alte Heimat verliert – wie schon zu Zeiten Bernhard Försters – unabhängige, freidenkende und mutige Menschen. Ersetzt werden sie durch „Schutzsuchende“ vor Krieg, Diskriminierung und Klimawandel sowie ihren „Familiennachzugsberechtigten“. Für die die Heimat beherrschenden Eliten ein – fast – perfekter Lauf der Dinge …