Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Lohnkluft

von Benedikt Kaiser

Kaisers Zone (24)

33 Jahre nach dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des bundesdeutschen Grundgesetzes, also der „Wiedervereinigung“ beider deutschen Staaten, trennen „Ost“ und „West“ weit mehr als nur Mentalitäten. In einigen Kolumnen für diese Zeitschrift habe ich bisher auf kulturelle und identitätspolitische Unterschiede zwischen „alten“ und „neuen“ Bundesländern hingewiesen. Man darf hierbei aber nicht über ökonomische bzw. materielle Aspekte hinweggehen. Auch diese prägen die heutige Sondersituation des nunmehrigen Ostdeutschlands, auch diese vertiefen aufs neue die Kluft zwischen „Wessis“ und „Ossis“ – auch wenn man eigentlich beide Begriffe als unzulässige Polemiken und lästige Überbleibsel der deutschen Teile verwerfen möchte.

Auf eine dieser ökonomischen Fragen verwies mit René Springer ein Bundestagspolitiker der Alternative für Deutschland (AfD) im August 2021. Der Brandenburger monierte, daß im Osten „Arbeit und Leistung […] auch über 30 Jahre nach der Wende noch immer deutlich schlechter honoriert“ würden als im Westen der BRD. Weiter kritisierte er: „Angesichts der gebrochenen Versprechen von guter Arbeit und fairen Löhnen braucht man sich überhaupt nicht zu wundern, daß das Vertrauen der Ostdeutschen in die Altparteien immer stärker bröckelt. Es braucht ein völliges Umdenken in der Wirtschafts- und Industriepolitik für strukturschwache Räume in Deutschland.“ Allein, dieses Umdenken fand in den vergangenen beiden Jahren nicht statt. Im Gegenteil: In diesem Zeitraum übernahm die „Ampel“-Koalition aus SPD, Grünen und FDP die Koalitionsgeschicke und verschärfte die Probleme der vorhergehenden „Großen Koalition“ aus SPD und CDU/CSU.

Im August 2023, zwei Jahre nach Springers zitierter Intervention, sieht es nun so aus: Das Statistische Bundesamt vermeldet, daß das Jahresbruttogehalt von Vollzeitbeschäftigten in Ostdeutschland durchschnittlich circa 13.000 Euro unter demjenigen in Westdeutschland liege. Liegt der durchschnittliche Westlohn im Jahresbrutto bei 58.085 Euro, beträgt er im Osten nur 45.070 Euro. Das heißt: Die Lohnkluft wuchs in den vergangenen Jahren, statt kleiner zu werden. 2021 lag die Differenz bei 12.173 Euro, 2020 bei 11.967.

Die einen schieben die Gründe für die wachsende Kluft auf Sonderzahlungen, die Westlohnempfänger nun einmal häufiger bekommen als ihre Ostkollegen. Aber selbst wenn es so ist: Macht das irgend etwas besser, mehr als drei Jahrzehnte nach dem 3. Oktober 1990? Andere wiederum heben höhere Lebenskosten nicht nur in München und Düsseldorf hervor. Das mag zutreffen. Dort lebt es sich teurer als in Chemnitz oder Schwerin. Aber auch im Westen gibt es strukturschwache und dadurch preiswertere Regionen – und im Osten mit Leipzig und Potsdam teure Großstädte im Aufschwung. Doch immerhin einige wenige Kommentatoren wiesen auf den eigentlichen Sündenfall hin, der bis heute die Lohnspreizung zementiert: Die Deindustrialisierung der „Zone“ ab 1990 durch Treuhandanstalt und Westkonzerne. An diesem „Trauma der Ostdeutschen“ (Jürgen Pohl) leidet man bis heute; das Problem wurde weder aufgearbeitet noch gelöst. Mit bekannten Folgen – ideell wie materiell.

Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.

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