von Benedikt Kaiser
Als das heutige Ostdeutschland noch „die Zone“ war und als DDR firmierte, war der sogenannte Ostwitz ein authentisches „Volksvergnügen“ – so bezeichnet Peter Jacobs (Jg. 1938) den Umgang mit Witzen im untergegangenen deutschen Teilstaat. Rund um den 1. Juli, dem Internationalen Tag des Witzes – was es nicht alles gibt –, gewährte Jacobs der Zeitung nd (ehemals: neues deutschland) ein kurzweiliges Interview, in dem er über den Ostwitz als jahrzehntelang ausgeprägte Sondergattung des deutschen Humors sinnierte. Der „typische Ostwitz“, so Jacobs, war eine „eher heitere als zynische und bitterböse Auseinandersetzung mit den Widersprüchlichkeiten der DDR-Gesellschaft“. Aber: Auch das Heitere war den Herrschenden ein Dorn im Auge, da es ihre Legitimität zu unterminieren verstand. Jacobs eigener Sohn verlor seinen Schulplatz an der „EOS“, also an der Erweiterten Oberschule für das Anbringen eines Witzes auf schulischem Lehrmaterial.
Peter Jacobs hat nun eine Auswahl ostdeutscher Witze zusammengestellt. Sein Büchlein Der Ostwitz. Ein deutsches Sittenbild (Berlin 2023) taugt als vergnügliche Sommerlektüre, wenngleich die Themen, die in Witzen verarbeitet werden, naturgemäß eine historisch-ernste Komponente aufweisen. Die Mangelversorgung wurde beispielsweise vom DDR-Bürger wie folgt verarbeitet: „Ohne Eier, ohne Schinken, ohne Wurst und ohne Speck – und das bißchen Marmelade fressen die Russen auch noch weg.“ Nicht nur Rußland als „großer Bruder“ fand Aufnahme in Witze, sondern auch die eigene omnipräsente Obrigkeit, vergegenständlicht in der Staatssicherheit, also der „Stasi“, unter ihrem gefürchteten und verachteten Chef Erich Mielke. Doppelbödig-beißend fällt der Witz aus: „Mielke als Gastredner auf dem Schriftstellerkongreß: ‚Wir im Ministerium für Staatssicherheit verfolgen aufmerksam die Literatur in unserer Republik.‘“ Lustiger hingegen dieser etwas längere Kalauer: „Ein Mann bewirbt sich um eine Lehrstelle für den Beruf des Aufklärers (bei der Stasi): ‚Wir nehmen nicht jeden‘, bescheidet ihm Mielke, ‚vorher machen wir eine Talentprobe.‘ Der Kandidat wird in den Palast der Republik geschickt, wo die Volkskammer tagt. ‚Einer der Abgeordneten ist ein Agent. Den mußt du herausfinden.‘ Der Bewerber setzt sich an den Monitor, noch steht die Pause gar nicht an, schon meldet er in die Normannenstraße: ‚Der Gesuchte sitzt dritte Reihe rechts, ganz außen.‘ ‚Fantastisch‘, staunt Mielke. ‚Wie hast du das so schnell erkannt?‘ ‚Ich habe mich an einem Lehrsatz Lenins orientiert: Der Klassenfeind schläft nicht.‘“
Erst nach dem Anschluß der DDR an die BRD realisierten viele Bürger, daß sie in vielerlei Hinsicht vom Regen in die Traufe geraten waren. Aus diesem Grund rettete sich der DDR-Ostwitz auch in die neue Zeit: „Restaurant am Brandenburger Tor. ‚Herr Ober, welchen Wein empfehlen Sie zum Jahrestag der Deutschen Einheit?‘ ‚Kommt ganz darauf an, mein Herr.‘ ‚Worauf?‘ ‚Wollen Sie feiern oder vergessen?‘“.
Abseits dieser Witze, die bei Peter Jacobs auf 120 unterhaltsamen Seiten gesammelt sind, stellt sich natürlich automatisch die Frage nach dem politischen BRD-Witz. Oft beschränkt sich dieser auf optische Zuschreibungen und sprachliche Patzer von Grünen-Politikerinnen. Kommt da noch mehr? Es wäre zu wünschen. Denn Lachen ist, auch wenn dies besonders „nüchterne“ Geister nicht wahrnehmen wollen, eine regelrechte Waffe im alltäglichen Meinungskampf. Der linksliberale serbische Polit-Influencer Srđa Popović sprach gar vom „Lachtivismus“ (aus Lachen und Aktivismus) als Instrument gegen die Herrschenden. Und auch Hans-Hermann Hoppe, Vordenker eines strikten Libertarismus’, erkannte in der Waffe des Lachens einen wirksamen Hebel in der Auseinandersetzung mit den tonangebenden Eliten des Westens. Er ging sogar so weit, das Lachen über die Regierung als maximal effektiv zu beschreiben: Wenn Politiker „Objekt der Verachtung und Ziel allen Spotts“ würden, träumte Hoppe, wäre man der „Entlarvung“ und „Entweihung“ der Regierenden näher gerückt.
Einzuschränken bleibt freilich – und auch das lehrt der historische Ostwitz –, daß man Witze nicht künstlich kreieren und geplant zirkulieren lassen könne. Derlei entsteht im Volk und wird ebendort durch Mundpropaganda weitergetragen – oder eben nicht.
Benedikt Kaiser
Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.