Kanzlerin Weidel?

Kaisers Zone (6)

von Benedikt Kaiser

Der eine Politikinteressierte verfolgt Wahlprognosen mit großem Interesse, der andere winkt ab und verweist auf die Flüchtigkeit entsprechender Zahlen. Obschon die Kritik einen Wahrheitskern enthält, kann man eines nicht abstreiten: Die Momentaufnahmen der demoskopischen Institute werden immer präziser.

In der Bundesrepublik Deutschland hat Ende 2022 eine dieser Umfragen für wahlkreisprognose.de bemerkenswerte Ergebnisse zutage gefördert: Stünde Alice Weidel (AfD) zur Direktwahl des Bundeskanzlers, gewönne sie die „neuen Bundesländer“! Weidel liegt mit 29 Prozent weit vor Kanzler Olaf Scholz (SPD; 23 %) und Friedrich Merz (CDU; 12 %). Im Westen hingegen läge Weidel mit 14 Prozent lediglich auf Rang drei, hinter Scholz (27 %) und Merz (19 %). Im Bundesschnitt unterstützen Weidel damit 17 Prozent aller Wahlberechtigten. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Der Osten der BRD ist aufgrund seiner Bevölkerungszahl „marginalisiert“. Gemäß „statista“ beträgt die Einwohnerzahl in Westdeutschland (inkl. Berlin) über 70 Millionen. In Ostdeutschland sind es nur knapp 12,5 Millionen.

Muß sich die AfD deshalb stärker auf den Westen fokussieren? Ich meine: Wenn es jemals eine „Wende“ in der BRD geben wird, geht sie von den „neuen Bundesländern“ aus und greift erst von dort auf den Westen über. Die AfD als Wahlformation einer „Mosaikrechten“ nimmt genau diese Rolle nun einmal im Osten ein, wo ein konstruktives Ineinandergreifen parlamentarischer und außerparlamentarischer Akteure überwiegt und Wahlergebnisse von über 25 Prozent die Regel sind. Nur dort erscheint es realpolitisch machbar, daß die AfD mit bald erreichten „30 Prozent plus“ den dominierenden Seniorpartner wird verkörpern können – falls es überhaupt Koalitionsoptionen gibt. 30 Prozent der Wählerstimmen in Sachsen oder Thüringen sind daher mehr „wert“ als die üblichen acht oder zehn Prozent in NRW oder Baden-Württemberg, auch wenn dort viele Millionen Menschen leben. Denn mit 30 Prozent plus kann man ein Bundesland mitgestalten: Man erinnere sich an die weitreichenden föderalen Spielräume, die man nutzen und kämpferisch ausweiten müßte, von der Sozial- und Kulturpolitik bis hin zur inneren Sicherheit. Wenn man also überhaupt auf Wahlen als Motor der Änderung setzt, heißt die Devise: Ostkurs!

Über den Autor:
Benedikt Kaiser, Jg. 1987, studierte an der Technischen Universität Chemnitz im Hauptfach Politikwissenschaft. Er arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Lektor und Publizist. Kaiser schreibt u.a. für Sezession (BRD), Kommentár (Ungarn) und Tekos (Belgien); für éléments und Nouvelle École (Frankreich) ist er deutscher Korrespondent.

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