Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Südtiroler Schützenbund

Es leb’ der Schütze froh und frei!

von Michael Demanega

Die Zweiteilung Tirols nach dem Ersten Weltkrieg wirkte nicht nur auf das Land Tirol selbst, sondern ebenso auf das Tiroler Schützenwesen prägend. Mit dem Landlibell von 1511, das Kaiser Maximilian den Tirolern aus machtpolitischen Gründen gewährte, war den Tiroler Schützen grundsätzlich die Verpflichtung gegeben, das eigene Land zu verteidigen, womit andererseits die politischen Freiheiten einer Selbstverwaltung zusammenhingen. Daraus entstand die Kultivierung des Schützenwesens, die im Tiroler Freiheitskampf von 1809 ihren Höhepunkt erreichte.

Für das Tiroler Schützenwesen im südlichen Tirol sollte sich durch die Fremdbestimmung eine permanente Verpflichtung ergeben, aktiv für die eigene Identität und für die Unabhängigkeit des Landes einzutreten. War diese Haltung bis in die 1990er-Jahre hinein noch im Sinne der offiziellen Südtirolpolitik, wandelte sich das Bild in der Folge entscheidend.

Der Kampf für Autonomie und Selbstbestimmung jedenfalls sollte die Südtiroler Politik nach dem Zweiten Weltkrieg prägen. Zwar war der italienische Faschismus offiziell aus der Welt geschafft, doch setzte das demokratische Nachkriegsitalien die Italianisierungspolitik unverblümt und unter dem Deckmantel des Rechtsstaates fort. Am 19. Mai 1945 schrieb die Südtiroler Volkspartei (SVP) an die alliierte Militärregierung: „Die durch die faschistische Partei und Regierung geschaffenen Zustände wurden nicht abgeschafft (…), sondern wiederhergestellt und verschärft“.

Zum Verständnis der Konflikte um Südtirol ist eine Auseinandersetzung mit dem italienischen Nationalismus unumgänglich.

Der deutsche Historiker Altgeld skizziert dazu ein interessantes Bild. Der radikale Nationalismus Italiens stützte sich nach Altgeld im wesentlichen auf drei Strömungen: erstens auf die junge künstlerische und literarische Elite, also auf eine Bewegung von rechts; zum anderen habe sich der italienische Nationalismus durch linke Bewegungen, nämlich aus dem Irredentismus oder Risorgimento-Nationalismus Mazzinis und Garibaldis gespeist. Mazzini hatte wohlgemerkt bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Brennergrenze beansprucht und folglich den Angriff auf nichtitalienische Territorien legitimiert. Wer auch heute noch durch Italien reist und sich die Kultstätten und Heiligtümer des Risorgimentos ansieht, der weiß, welche Breitenwirkung diese Strömung entwickelte. Drittens habe sich der italienische Nationalismus aus einer konservativen und antisozialistischen Elite gespeist, die sich allerdings seit dem Ersten Weltkrieg zunehmend an die beiden anderen Strömungen anpaßte.

Ohne Verständnis für diese Strömungen des italienischen Nationalismus ist italienische Innenpolitik mit Blick auf Südtirol bis heute nicht zu verstehen. Auch und vor allem hinsichtlich der neuen Regierung Meloni, die zwar aggressiver gegen Südtirol auftritt, deren Nationalismus sich in Bezug auf Südtirol allerdings wenig von den vorangehenden Regierungen unterscheidet – allenfalls in der Wortwahl.

Südtirol war im demokratischen Nachkriegsitalien einem Kampf um elementare Minderheitenrechte ausgesetzt, der im Südtiroler Freiheitskampf und im Zweiten Autonomiestatut 1972 mündete.

Daß die entsprechenden Anschläge für die Südtirolautonomie wesentlich gewesen seien, bekannte Landeshauptmann Silvius Magnago in seiner Schrift 30 Jahre Pariser Vertrag. Italien selbst war immer nur so weit nachzugeben bereit, wie dies der internationale Druck erforderte.

Die Zeit nach dem Zweiten Autonomiestatut war vom Kampf um weitere Zuständigkeiten geprägt, der 1992 mit der internationalen Streitbeilegung enden sollte. Ab 1992 war für Österreich die Südtirolpolitik weitgehend beendet, das Vaterland konzentrierte sich nur noch auf eine relative Schutzmachtfunktion.
In Südtirol selbst waren öffentliche Bauprogramme und Steuerumverteilungen anscheinend wichtiger als alles andere. Das „vereinte Tirol“ war zunehmend ein Kassenschlager für Sonntagsreden. Das Gewissen erleichterte man sich durch hehre Hoffnungen auf das „vereinte Europa“. Zwischen „Volk in Not“ und „italienischer Vorzeigeprovinz“ ließ es sich vorzüglich hin- und herschwenken. Selbst politische Bündnisse mit italienischen Staatsparteien waren kein Tabu mehr.
Daß die mangelnde politische Substanz in Südtirol politische und vorpolitische Gegenkräfte weckt, liegt auf der Hand. Irgendwann im Jahr 2008 war die Südtiroler Mehrheitspartei als „Sammelpartei“ in Frage gestellt. Als sich die Politiker dies- und jenseits des Brenners beim Landesfestumzug 2009 in Innsbruck im Schulterklopfen üben wollten, war es für die politische Klasse eine „unglaubliche“ Provokation, daß die Südtiroler Schützen selbstverständlich zur politischen Landeseinheit ermahnten.

Um 2010 setzte die bewußte politische Stigmatisierung der Südtiroler Schützen ein.

Immer dann, wenn diese von nun an im südlichen Tirol für ihre Rechte und für historische Gerechtigkeit auftreten sollten, deklarierten die windigen politischen Strategen dies als „ethnisches Zündeln“, „Scharfmachen“ oder „Aktionen einiger weniger Ewiggestriger“. Wenn auf der anderen Seite Alpini einen Angriffskrieg gegen Österreich und Südtirol feierten, wenn faschistische Relikte in Südtirol renoviert und hochglanzpoliert oder faschistische Orts- und Straßennamen verteidigt werden, herrscht Schweigen: lieber keinen italienischen Aufschrei riskieren.

In einer derartigen Konstellation hat sich die Rolle des Südtiroler Schützenbundes wesentlich verändert. Für die offizielle Landespolitik nimmt der Schützenbund zunehmend die Rolle eines lästigen Anhängsels ein. Am liebsten wäre ihr ohnehin eine folkloristische Attrappe, die sich bei offiziellen Besuchen in die erste Reihe stellen läßt, bei der italienischen Staatshymne habtachtsteht und der Landespolitik gefällige bunte Fotos verschafft.

Wenn die Südtiroler Landesregierung von „territorialer“ statt „ethnischer“ Autonomie spricht, gehen italienische Träume von einer Einebnung der Südtirolautonomie nahezu in Erfüllung.

Daß der Südtiroler Landeshauptmann die Ergebnisse eines basisdemokratischen Autonomiekonvents klammheimlich schubladisiert, weil ihm die Ergebnisse nicht gefallen – zu viel Unabhängigkeit, zu wenig territorialer Provinzialismus –, spricht Bände. Daß sich eine solche Politik händeringend gegen die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler wehrt, ist aus diesem Blickwinkel heraus nachvollziehbar. Unzählige Südtiroler und „Neu-Südtiroler“ verfügen über mehrfache Staatsbürgerschaften, auch die Italiener. Daß dieses universelle Prinzip, das der Befriedung dient, genau in Südtirol zum Problem werden sollte, ist politisch fadenscheinig und wurde durch genau jene Medien populistisch befeuert, die ansonsten angeblich gegen Populismus seien.

Der Südtiroler Schützenbund stellt sich indessen breiter auf. Mit der Aktivgruppe „iatz!“ (südtirolerisch für „jetzt!“) sollen politische Visionen für Südtirol auch mit den Italienern im Land debattiert werden. Daß mit der Rückgliederung zu Österreich, dem Ausbau der Autonomie zu einer Vollautonomie und der Eigenstaatlichkeit gleich mehrere Lösungen inhaltlich ausgearbeitet werden, entspricht diesem offenen Ansatz, bei dem alle mitgenommen werden sollen, die es wollen. Mit dem bloßen Blick zurück sind die Herausforderungen von morgen nämlich kaum zu bewältigen. Und selbst in der Variante einer Rückgliederung zu Österreich müßte sich Südtirol völkerrechtlich immer zunächst unabhängig erklären, zum eigenen staatlichen Gebilde werden und in der Folge Aufnahmegespräche führen.

Indessen dominiert zunehmend ein neuer Pragmatismus: wesentlich sei eine Zukunft in Unabhängigkeit, in welcher Variante auch immer. Die Unabhängigkeit auszuschlagen, weil nicht die historisch „gerechteste“ Variante die Überhand gewinnt, nährt Befindlichkeiten, die man sich heute in Südtirol nicht mehr leisten kann und will

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