Der Ostseeraum in der Frühen Neuzeit (1): Schwedens Aufstieg
Vor 300 Jahren endete mit dem Frieden zwischen Rußland und Schweden am 10. September 1721 der Nordische Krieg (1700-1721), in dem auch um das „Dominium maris Baltici“, also um die Herrschaft über das „Baltische Meer“, die Ostsee, gekämpft wurde. Angesichts dessen folgt hier ein Blick auf die politische Historie dieser konfliktreichen Region ab dem 16. Jahrhundert.
Ein Beitrag von Dr. Mario Kandil
In Schweden verdrängte Gustav I. Wasa mit finanzieller Hilfe Lübecks 1523 den letzten dänischen König, der der von 1397 bis 1523 existierenden Kalmarer Union – einer Vereinigung der Königreiche Dänemark, Norwegen und Schweden – vorstand, und trat im selben Jahr aus dieser Union aus. Auf einem Reichstag zum König gewählt, begründete Gustav Wasa gegen starke innere Widerstände den schwedischen Nationalstaat.
Nach Einführung der Reformation im Jahr 1527 zog er zwecks Lösung aus der finanziellen Abhängigkeit von Lübeck in Schweden das Kirchengut ein. Die Heirat Johanns III. (1568-1592) mit der polnisch-litauischen Prinzessin Katharina Jagiellonica, die die Schwester des polnischen Königs Sigismund II. war, begründete den katholischen Zweig des Hauses Wasa. Johanns Sohn, Sigismund III. (1587-1632 König von Polen, 1592 bis 1599 auch König von Schweden), wurde wegen seiner katholischen Politik 1599 von Schwedens Reichstag als König abgesetzt. Auf Karl IX. (1604-1611) folgte Gustav II. Adolf (1611-1632). Er erzielte seine Erfolge mit Hilfe des Adels und schuf das damals modernste Heer in Europa mit Wehrpflicht für Bauern.
Kampf um die Ostseeherrschaft
Der russische Zar Iwan IV. („der Schreckliche“, 1547-1584) eröffnete den Kampf um Livland, das den Schutz Polens erbat. Als Dänemarks König Friedrich II. (1559-1588) für seinen Bruder Magnus von Holstein die Bistümer Ösel und Kurland kaufte, griff Schweden ein.
Aus dem Zusammenbruch des Deutschen Ordens rettete Landmeister Wilhelm Ketteler Kurland unter polnische Hoheit, wodurch Polen mit Rußland in Konflikt geriet. Im Bündnis mit Dänemark führten Polen und die Hanse von 1563 bis 1570 den Dreikronenkrieg gegen Schweden, das letzten Endes Livland an die Hanse abgeben und Reparationen an diese bezahlen mußte. Polen und Rußland verglichen sich im Waffenstillstand von Jam Zapolski (1582), wobei die Russen auf Livland und Polozk verzichteten. Im Ringen um das „Dominium maris Baltici“ siegte Gustav Adolf von Schweden.
Er beendete im Frieden von Knäred mit Christian IV. von Dänemark (1588-1648) den Kalmarkrieg (1611-1613), den die norwegischen Lappmarken ausgelöst hatten. Dänemarks Unionspolitik scheiterte, und Rußland büßte im Frieden von Stolbowo mit Schweden (1617) seinen Zugang zur Ostsee ein. Hier wurde die schwedische Stellung als Großmacht im Ostseeraum begründet, und dazu eroberte Gustav Adolf 1621 auch noch Livland. Polen mußte dieses ebenso wie wichtige Häfen an Schweden im Waffenstillstand von Altmark (1629) abtreten. Frankreich hatte diesen eingefädelt, damit Schweden als Stellvertreter für den Kampf gegen das Haus Habsburg, Frankreichs Hauptgegner in Europa, die Hände frei bekam.
Nicht lange nach dem von Kardinal Richelieu (1585-1642), Frankreichs Erstem Minister, vermittelten polnisch-schwedischen Waffenstillstand landete Gustav II. Adolf 1630 auf Usedom – propagandistisch wegen des Schutzes der protestantischen Sache, doch primär zum Ausbau der Machtbasis Schwedens und zur Vergrößerung der schwedischen Ostseebesitzungen.
Schweden wird Großmacht
Der Schwede schloß 1631 in Bärwalde mit den Franzosen einen Subsidienvertrag ab. Als deren „Degen“ gegen die drohende habsburgische Hegemonie im Reich wie in Europa startete Gustav Adolf einen Siegeszug ohnegleichen: Er besiegte wiederholt die kaiserlichen Heere (am heftigsten in der Schlacht bei Breitenfeld, 17. September 1631) und drückte die katholische Partei an die Wand. In seiner großen Not rief Kaiser Ferdinand II. den von ihm erst im Sommer 1630 abberufenen Albrecht von Wallenstein (1583-1634) als Generalissimus mit unbeschränkter Vollmacht zurück, und dieser stoppte Gustav II. Adolf. In der unentschiedenen Schlacht bei Lützen (16. November 1632) fiel der Schwedenkönig.
Nach Gustav Adolfs Tod kam sein einziges Kind, die erst sechs Jahre junge Christina (1626-1689), auf den schwedischen Thron, auf dem sie bis zu ihrer Abdankung im Jahr 1654 blieb. Geleitet von seinem größten Staatsmann, dem Reichskanzler Axel Oxenstierna (1583-1654), stieg Schweden durch den Westfälischen Frieden (1648), der den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) beendete, und durch den Krieg gegen seinen Nachbarn und Rivalen Dänemark zur führenden Ostseevormacht auf. Es gewann Vorpommern mit Stettin und Rügen sowie Wismar, dazu das Herzogtum Bremen und Verden. Damit erhielt es die Kontrolle über die Mündungen von Weser, Elbe und Oder sowie Sitz und Stimme auf dem Reichstag, doch es fehlten ihm die wirtschaftlichen und finanziellen Mittel zu selbständiger Großmachtpolitik. Die natürlichen Feinde Schwedens waren Dänemark, Polen mit seinen dynastischen Thronansprüchen der dortigen Wasas, aber auch Brandenburg und später vor allem Rußland.
Nach Christinas durch ihren Übertritt zum katholischen Glauben motivierter Abdankung kam in Schweden 1654 das Haus Pfalz-Zweibrücken auf den Königsthron und verblieb dort bis 1720. Ein Cousin Christinas wurde als Karl X. Gustav neuer Monarch.
Der schwedisch-polnische Krieg
Der „nordische Alexander“ überfiel noch im selben Jahr 1654 das durch den Saporoger Kosakenaufstand geschwächte Polen, dessen König zu dieser Zeit Johann II. Kasimir (1648-1668) war. Daraus resultierte ein schwedisch-polnischer Krieg, der von 1654 bis 1660 dauerte. Nachdem die Schweden Krakau und Dünaburg besetzt hatten, siegten sie 1656 mit Hilfe Brandenburgs, das von dem „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelm regiert wurde. Dänemark, das ebenfalls mit Karl X. Gustav im Kampf stand, verlor im Frieden von Roskilde (1658) Südschweden an die Ostseevormacht dieser Zeit.
Um in Nordeuropa das Gleichgewicht erhalten zu können, zwangen die Seemächte England und die Niederlande 1660 Schweden zu dem Frieden von Oliva. In diesem zog der polnische König Johann Kasimir seine Ansprüche auf die Krone Schwedens zurück, die sein Vater Sigismund III. eingebüßt hatte. Parallel dazu erkannte er Schwedens seit den 1620er Jahren existierende Oberhoheit über Livland und über Riga ebenso an wie die Souveränität des brandenburgischen Herzogtums Preußen. 1661 schloß Schweden mit Rußland den Frieden von Kardis, der die Gebietsveränderungen des Friedens von Stolbowo 1617 bestätigte. Die Russen, die militärisch stark geschwächt waren, mußten alle Gebiete zurückgeben, die sie während des Kriegs mit Schweden 1656-1658 erobert hatten. Schweden stand nun auf dem Höhepunkt seiner Großmachtposition in der Frühen Neuzeit.
Abhängigkeit von Frankreich
Unter König Karl XI. (1660-1697) wurde Schweden vollständig von französischen Subsidien abhängig. 1675 fielen die Schweden in Brandenburg ein, wurden jedoch in der Schlacht bei Fehrbellin Ende Juni desselben Jahres vom brandenburgischen Heer schwer geschlagen, so daß sie den Rückzug antreten mußten und die Mark Brandenburg bis zum Friedensschluß nicht mehr bedrohen konnten.
Zur selben Zeit eröffnete Dänemark mit seinem Angriff einen neuerlichen Krieg gegen Schweden (1675-1679) und erkämpfte in der Kjöge-Bucht 1677 einen herausragenden Sieg. Aber durch die Intervention des mit den Schweden alliierten Franzosenkönigs Ludwig XIV. in den Friedensschlüssen von Lund 1679 (Dänemark) und St. Germain 1679 (Brandenburg) gab es keine schwedischen Verluste. Speziell für Brandenburg war das sehr bitter.
Absolutismus mit ausgeglichenen Bodenverhältnissen
Wie in Dänemark bereits 1665 geschehen, wurde 1682 auch in Schweden der Absolutismus (bei Einziehung des ausgegebenen Kronlands) eingeführt. Zwischen der Krone, der Aristokratie und den Freibauern entstand ein relativ ausgeglichen verteilter Bodenbesitz, während Heer und Flotte einer Reorganisation unterzogen wurden. Gegen die Auflösung ständischer Selbstverwaltung formierte sich in Livland 1694 eine Adelsopposition unter Reinhold von Patkul (1660-1707).
