„Ich will Frankreich den Großen Austausch und den großen Abstieg ersparen“
Seine erst 2021 begründete, konsequent identitätspolitische Bewegung zeigt bereits die zweithöchste Mitgliederzahl aller französischen Parteien; im Laufe seiner Kampagne galt er als Hauptkonkurrent von Marine Le Pen um den Einzug in die Stichwahl. Im Exklusivinterview mit ECKART-Schriftleiter Konrad Markward Weiß spricht der französische Publizist und Präsidentschaftskandidat Éric Zemmour wie immer Klartext.
Dieses Interview und viele weitere Beiträge zur Wahl finden Sie in der neuesten Ausgabe von DER ECKART.
DER ECKART: Monsieur Zemmour, Sie sind Kandidat bei den französischen Präsidentschaftswahlen und Chef von RECONQUÊTE! (dt. Rückeroberung, Anm. d. Red.) – wie entwickelt sich die Bewegung? Und wie finanzieren Sie Ihre Kampagne?
Die Bewegung entwickelt sich sehr gut und sehr schnell. RECONQUÊTE! wurde im Dezember 2021 bei einer Veranstaltung mit 10.000 Teilnehmern vorgestellt. Wir haben bereits 120.000 Mitglieder. Das ist einmalig in der Geschichte der Fünften Republik. Die Aktivisten von RECONQUÊTE! sind enorm engagiert, gehen von Tür zu Tür, verteilen auf Märkten Programme, hängen Plakate auf. In den sozialen Medien haben wir mit Abstand die stärkste Präsenz. Meine Kampagne wird durch Mitgliedsbeiträge und tausende Spender finanziert.
Ihre Kandidatur spaltet zwangsläufig die französische Rechte, was nicht ohne Risiko ist – z.B., daß keiner ihrer Kandidaten es in die Stichwahl schafft. Was hat Sie bewogen, trotzdem eine eigene Kandidatur zu wagen und nicht für die bereits etablierte Rechtspartei an den Start zu gehen?
Ich weiß nicht, was Sie unter „bereits etablierte Rechtspartei“ verstehen. Die Charakteristik der Rechten besteht seit langem darin, darauf verzichtet zu haben, das Programm, für das sie gewählt wurde, auch anzuwenden. Viele haben 2007 an Sarkozy geglaubt, aber er hat regiert wie ein Mann der Mitte. Die Probleme Frankreichs haben sich unter Sarkozy, Hollande und Macron fortgesetzt und verstärkt. Die Einwanderung nimmt immer mehr zu. Der Islamismus rückt vor. Was mich bewogen hat, ist, daß kein einziger rechter Politiker aufgestanden ist, um zu sagen, daß Frankreich, die französische Zivilisation, in tödlicher Gefahr sei und daß Frankreich Gefahr laufe, nicht mehr länger Frankreich zu sein. Marine Le Pen tritt zum dritten Mal bei Präsidentschaftswahlen an, jeder weiß, daß sie nicht gewinnen kann. Sie ist zur idealen Opponentin geworden, zum Alibi der Machthaber.
Welche Ihrer Positionen zur Zukunft Frankreichs macht DEN Unterschied gegenüber allen anderen Kandidaten aus, insbesondere den rechten? Kurz: Warum Zemmour?
Ich will Frankreich den „Großen Austausch“ und den großen Abstieg ersparen. Der „Große Austausch“ ist der sich beschleunigende Bevölkerungsaustausch; der große Abstieg der Niedergang Frankreichs – global, aber auch in Europa, z.B. gegenüber der BRD. Ich bin der einzige Kandidat, der die Einwanderung von außerhalb Europas beenden will. Ich will sie beenden, das heißt, daß es keinerlei Recht auf Einwanderung mehr geben wird, keinerlei Recht auf Familienzusammenführung, auf Asyl oder darauf, zum Studieren nach Frankreich zu kommen. Aufenthaltsgenehmigungen werden nur mehr von Fall zu Fall erteilt. Ich bin auch der Einzige, der aus dieser Wahl eine Frage unserer gesamten Zivilisation macht und nicht bloß mit einem Maßnahmenkatalog antritt – auch wenn mein Programm sehr umfassend und in sich schlüssig ist. Ich stelle diese Wahl in die Perspektive von Frankreichs nächsten 30 Jahren. Ich bin der Einzige, der die Migrationswelle aufhalten und die zunehmende Islamisierung Frankreichs verhindern kann.
Sie scheinen sich eher an urbane, bürgerliche, intellektuelle oder konservative Kreise zu richten, Marine Le Pen hingegen mehr an einfachere Schichten. Ist das zutreffend?
Ich richte mich an alle Franzosen, welchen Lebensstandards oder Bildungsgrades auch immer. Ich mache keinen Unterschied zwischen Franzosen und folge nicht der Logik sozialer Klassen, die eine Hinterlassenschaft des marxistischen Zugangs ist. Ich bin zur Rechten der Einzige, der alle Strömungen vereinen und Wähler aus dem Bürgertum ebenso überzeugen kann wie solche mit einfacherem Hintergrund.
Bietet ein unterschiedlicher Fokus nicht ein großes Potenzial für eine zukünftige Zusammenarbeit?
Mein Ziel ist, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen und die politische Landschaft zur Rechten neu aufzubauen. Ich will Schluß machen mit der machiavellistischen Strategie von Mitterrand, der den Front National (heute Rassemblement National bzw. RN, Anm. d. Red.) begünstigt hat, um die Rechte zu spalten, um zu verhindern, daß ein rechter Kandidat gewinnen und ein rechtes Programm umsetzen kann. Selbst wenn ein solcher gewinnt – wie Chirac oder Sarkozy – macht er keine rechte Politik und bleibt den linken Eliten unterworfen, die die politische Landschaft und die Medien beherrschen.
Oder denken Sie, daß ihre Bewegung den RN schlicht ersetzen wird?
Wir werden sehen. Das wird von den Präsidentschaftswahlen und denen zur Nationalversammlung abhängen.
Sie hatten den Mut, vom „Großen Austausch“ und insbesondere der Gefahr eines künftigen Bürgerkriegs in Frankreich zu sprechen. Können Sie den deutschsprachigen Lesern konkret erklären, was auf dem Spiel steht?
Der „Große Austausch“ ist keine politische Theorie, sondern ein realer Befund. Der Großteil derjenigen, die den Begriff verunglimpfen, hat das Buch nicht gelesen, das diesen Titel trägt. Wie der Erfinder dieses Begriffs, Renaud Camus, wiederholt erklärte, hat er den Austausch der französischen Bevölkerung lediglich konstatiert; das heißt den Austausch erst in Stadtvierteln, dann in Großstädten, dann in mittleren und zunehmend auch in Kleinstädten; den Austausch einer Bevölkerung französischer gegen eine nicht assimilierte Bevölkerung migrantischer Herkunft; mit einem stellenweisen Verschwinden der Bevölkerung französischer Herkunft und ihrem Ersatz durch eine häufig islamisierte Bevölkerung, die nach anderen Werten, Gesetzen und Bräuchen lebt.
Was den Bürgerkrieg betrifft, so gibt es diesen in gewisser Hinsicht schon, wenn Islamisten mörderische Anschläge wie in Paris oder Nizza verüben, aber auch isoliertere Attentate wie die Ermordung eines Priesters, von Polizisten oder eines Lehrers wie Samuel Paty. Ganz zu schweigen von all den Stadtvierteln, wo die französischen Gesetze keine Anwendung mehr finden, die schon jetzt fremde Enklaven in Frankreich sind. Untersuchungen zeigen, daß für die Mehrzahl der jungen Moslems die islamischen Gesetze, konkret die Scharia, über den französischen stehen. Das ist durchaus der Keim des Bürgerkrieges, denn die Scharia und die französischen Gesetze sind selbstverständlich unvereinbar.
Ich stelle fest, daß im Zuge der letzten Wahlen in der BRD die politische Klasse dieser Debatte aus dem Weg ging, obwohl die BRD von der Migrationsfrage ebenso betroffen ist wie wir. Vermutlich wegen des NS-Vermächtnisses und des Zweiten Weltkriegs ist es für die Deutschen noch immer zu heikel, diese Fragen in der politischen Debatte offen anzusprechen. Ich erinnere daran, daß Frau Merkel 2015 syrischen Migranten (in Wahrheit allen, die über die Mittel verfügten, zu kommen) die Tore Europas geöffnet hat, und weder nach der Meinung ihres Parlaments noch ihrer europäischen „Partner“ gefragt hat. Das Ergebnis für uns Franzosen waren die Attentate von Paris, insbesondere im Bataclan: 130 Tote und über 400 Verletzte. Praktisch alle der Täter sind mit dem Migrantenstrom gekommen.
Sie haben den enormen Zuwachs der Bevölkerung Frankreichs mit Wurzeln im Maghreb stark kritisiert – stammen aber selbst von dort. Ein Paradox?
Sie haben recht, meine Familie stammt aus dem Maghreb, mein Großvater sprach Arabisch. Aber der große Unterschied ist, daß wir uns an Frankreich assimiliert haben, daß wir also Frankreich angenommen, verinnerlicht, wertgeschätzt haben, seine Sprache, seine Geschichte, seine Kultur und seine Werte. Heute will sich ein großer Teil der aus dem Maghreb kommenden Migranten und manchmal sogar jener, die in Frankreich geboren sind, nicht mehr assimilieren. Und genau das ist das Problem. Deshalb findet sich die Assimilation im Herzen meines Programms. Es geht nicht nur darum, die außereuropäische Einwanderung zu beenden, sondern von den Franzosen ausländischer Herkunft zu verlangen, sich an Frankreich zu assimilieren.