Zweifelhafte Kunst und architektonisches Juwel in nächster Nähe
Seit Jahr und Tag stauen sich die Massen vor dem Hundertwasserhaus. Die eher mittel- mäßige Sehenswürdigkeit in Wien-Landstraße hat die Anschrift Löwengasse 41-43. Fast unmittelbar daneben, nur durch ein Wohnhaus getrennt, befindet sich – vom Massentourismus unbeachtet – ein bauliches Juwel, das Palais des Beaux Arts, ein Spitzenwerk der Gebrüder Josef und Anton Drexler, die um 1900 als Architekten in der Wertschätzung verständiger Zeitgenossen gleich nach Fellner & Helmer rangieren.
Ein Beitrag von Erich Körner-Lakatos
Die Brüder Drexler orientieren sich an den vorhandenen Strömungen in der Architektur: Zuerst am strengen Historismus mit seinem Palastschema der italienischen Renaissance, dann mit wenigen Projekten am Späthistorismus, einige Zeit lang am Sezessionismus, schließlich am Jugendstil mit neubiedermeierlichen und neubarocken Elementen. Der Einfluß des Kunsthandwerks der Wiener Werkstätten ist nicht zu übersehen. Kurz vor 1900 erfährt die Drexlersche Architektur eine überaus starke Prägung durch den frühen Otto Wagner. Beispielhaft sei hier die Verwendung des Lorbeers als Dekorationselement genannt. Blattkränze und Blattgehänge nebst Scheibenelementen und Ziervasen werden fixer Bestandteil ihres dekorativen Repertoires, der Volutengiebel dient als krönendes Abschlußelement von Fenster- und Türöffnungen sowie für Erker. Nun zum Gipfel des Drexlerschen Schaffens, dem 1909 erbauten Palais des Beaux Arts in der Löwengasse 47 und 47A, Ecke Paracelsusgasse 11. Der ausführende Baumeister hieß Felix Sauer.
Späthistorische Stilelemente und französischer Jugendstil
Architektonisch dominiert ein gelenkartig eingeschobener Eckturm. Er dient als verbindendes Scharnier beider Straßentrakte, seine Monumentalität wird durch großzügige Kastenerker abgefangen, deren Eigenheit es ist, daß sie nicht wie üblich rechtwinklig, sondern vielmehr trapezförmig sind, um den Lichteinfall zu verbessern. Der Turm ist flankiert von Frauenfiguren, die einen Globus in ihren Händen halten. Hier werden späthistorische Stilelemente mit Dekorationsmotiven des französischen Jugendstils, der Art Nouveau, verflochten.
Barockisierende Turmaufbauten
Viele kunstgeschichtlich Bewanderte meinen, die eher zurückhaltende florale Ornamentik lehne sich eher an den belgischen Jugendstil an.
In erster Linie die seitlichen Balkone sowie die barockisierenden Turmaufbauten bewirken eine glamouröse Gliederung der Fassade. Die Putzoberfläche orientiert sich am Münchener Vorbild, genauer gesagt, an der Schule des Martin Dülfer. Im Inneren des Hauses befinden sich ein reich ausgestattetes Vestibül mit blumenverziertem Stuck, desgleichen Reliefs von Frauenfiguren im Stiegenhaus. Leider sind die ursprünglich im runden Vestibül in große Wandfelder eingelassenen Modeillustrationen nicht mehr vorhanden.
Ursprünglich Modezentrum
Die anfängliche Benennung des Hauses lautet Chic Parisien, es ist als Modezentrum gedacht und dient einem Modejournalverlag desselben Namens als Quartier. Bauherr Arnold Bachwitz ist als Betriebsgründer und Hauptaktionär gleichsam der Eigentümer des Anwesens. Er läßt das Haus auch deswegen errichten, um in den neuen Räumlichkeiten die Redaktionen seines Verlagsimperiums Chic Parisien Bachwitz AG zu bündeln. Zeitweise gehen hier mehr als 300 seiner Angestellten ein und aus.
International erfolgreicher Verlag
Bald erweist sich das Palais als zu klein, und im Frühjahr 1920 übersiedelt die Redaktion der recht aufwendig produzierten Zeitschrift „Moderne Welt – Kunst, Literatur, Mode“ in den Anbau Paracelsusgasse 9. Leicht sarkastisch heißt es in der ersten Ausgabe vom Oktober 1918 in der zwanzig Seiten starken Modebeilage aus der Feder der Emma Aloisia von Allesch: „Enger wird die Welt mit jedem Schritt. Da wir leider in keiner Hinsicht große Sprünge machen können, ist es wohl nur in der Ordnung, daß uns die Mode 1918 den engen Rock wieder schenkt.“ Die Chic Parisien Bachwitz AG befaßt sich mit Modethemen. Der Verlag, dessen Kollektion rund 50 Zeitschriften (teilweise in dreisprachigen Ausgaben) umfaßt, ist mit seinen Magazinen selbst in Paris und New York präsent, 95 Prozent der Auflagen (diese bewegen sich zwischen schmalen 1.300 und ansehnlichen 60.000 Stück) gehen ins Ausland. Das Geschäft läuft gut: Nicole Kinsky schreibt in ihrem Standardwerk „Hausfrau, Mutter und Gesellschaftsdame“ (1994) über Frauenzeitschriften in der Ersten Republik, die Auflage von „Moderne Welt – Kunst, Literatur, Mode“ habe sich pro Auflage von 6.000 im Jahre 1923 auf 35.000 in den Jahren 1930 und 1931 gesteigert.
Zweiten Weltkrieg heil überstanden
1938 endet die Verlagstätigkeit. Während des Zweiten Weltkriegs ist das Luft-Gaukommando XVII im Haus untergebracht. Heute beherbergt es zwei Botschaften, Firmenbüros und eine Anzahl luxuriöser Privatwohnungen. Das Palais des Beaux Arts hat nichts von seinem Glanz eingebüßt. Schade, daß es nur Wenigen vergönnt ist, den architektonischen Wert des Juwels zu ermessen.
