Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

„Dreizehn deutsche Nobelpreisträger kamen aus Schlesien…“

Stephan Rauhut, BdV-Präsidiumsmitglied im Gespräch mit dem ECKART

Mit Stephan Rauhut hat die Landsmannschaft Schlesien in der Bundesrepublik Deutschland seit 2013 nicht nur einen gebürtigen Schlesier aus Görlitz an der Neiße, sondern auch einen leidenschaftlichen Europäer an ihrer Spitze. Ambitioniert steht er nicht nur generationen-, sondern auch länderübergreifend für ein zeitgemäßes Auftreten des Vertriebenenverbandes.

Der ECKART: Warum braucht man heute noch eine Landsmannschaft Schlesien in der Bundesrepublik Deutschland?

Stephan Rauhut: Schlesien ist, auch wenn der geographisch größte Teil heute zur Republik Polen gehört, weiterhin ein Teil gesamtdeutscher Kultur und Geschichte. Als Landsmannschaft Schlesien sind wir nicht nur die Vertretung der Schlesier und deren Nachkommen in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die Träger dieses gemeinsamen Kulturerbes.

Wie engagiert sich die Landsmannschaft Schlesien heutzutage in Polen?

Bereits seit Jahrzehnten bauen die Vertriebenen ein reges Netzwerk zu den heimatverbliebenen Deutschen sowie zu den nach 1945 hinzugekommenen Polen in Schlesien auf. Diese vielfältigen Kontakte helfen uns allen, zum gegenseitigen Verstehen beizutragen und Vorurteile, die durch die nationalistische und kommunistische Propaganda genährt wurden, abzubauen. Konkret sind wir sehr erfolgreich mit unseren normalerweise mehrmals im Jahr stattfindenden Studentenseminaren, die abwechselnd in Oberschlesien und im Haus Schlesien in Königswinter im Rheinland abgehalten werden. Zunächst vor allem mit Schülern und Studenten aus Oberschlesien, inzwischen auch mit jungen Menschen aus dem Westen.
Während unserer Bundesdelegiertenversammlung/Schlesischen Landesvertretung im Oktober vergangenen Jahres in Hannover wurde auf meine Initiative hin eine Beauftragte des Bundesvorstandes für die grenzüberschreitenden Aktivitäten berufen. Mit Silvia Koziolek-Beyer konnten wir eine oberschlesische Unternehmerin, die in West und Ost zu Hause ist, dafür gewinnen, noch besser die Verbindungen zu Oberschlesien und der schlesischen Lausitz zur Bundesspitze auszubauen und zu leben.

Was bedeutet Schlesien für Deutschland?

Deutschland in seiner Geschichte und seiner Kultur wäre ohne Schlesien und das gesamte historische Ostdeutschland nicht vorstellbar. Die heutige deutsche Sprache beispielsweise wurde während der Epoche des Barocks wesentlich von Schlesien aus beeinflußt. Das deutsche Nationalgefühl des 19. Jahrhundert hatte in wichtigen Teilen seine Wurzeln in Schlesien. Der Befreiungskrieg von der Napoleonischen Fremdherrschaft begann 1813 mit dem berühmten „Aufruf an mein Volk“ des preußischen Königs in Breslau. Das Hoheitszeichen der Bundeswehr, das Eiserne Kreuz, wurde in Breslau gestiftet und in Gleiwitz gegossen. Dreizehn deutsche Nobelpreisträger kamen aus Schlesien, soviel, wie aus keinem anderen deutschen Stamm.
Und nicht zu vergessen: Ein kleiner Teil der alten Provinz Schlesien, die schlesische Oberlausitz, befindet sich auch heute noch auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Die Menschen im Gebiet um Görlitz, Hoyerswerda oder Weißwasser durften sich während der „DDR“-Diktatur nicht offen zu ihrer schlesischen Identität bekennen, weshalb auch dreißig Jahre nach dem Mauerfall noch dafür gearbeitet werden muß, die kulturelle Identität Schlesiens zu bewahren und weiterzuentwickeln.

Wieviele Heimatgruppen, -stuben etc. gibt es im Jahr 2021 noch in der Bundesrepublik?

Eine genaue Zahl kann ich Ihnen gar nicht nennen. Es gibt noch unzählige Heimatgemeinschaften vieler Dörfer und Städte im Bundesgebiet, die nicht Mitglied der Schlesischen Landesvertretung in der Landsmannschaft Schlesien sind. In vielen landsmannschaftlichen Gruppen erreichen wir zunehmend die Enkel- und die Urenkelgeneration der Vertriebenen, die auf der Suche nach ihren Wurzeln sind. Darüber hinaus haben wir erstmals seit Jahren mit Tobias Schulz einen Jugendbeauftragten in den geschäftsführenden Bundesvorstand berufen, der bereits ein aktives, bundesweites Netzwerk junger Menschen aufgebaut hat und weiter aufbaut. Zu den Heimatstuben gibt es derzeit aus Niedersachsen, Hessen und vor allem durch die Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen sehr gute Initiativen, um die Heimatsammlungen zu erfassen, zu digitalisieren und sie letztlich somit in das Licht der Öffentlichkeit zurückzubringen.
Die Heimatstuben und Sammlungen gehören in die Kommunen im Westen, in denen die Heimatvertriebenen neue Wurzeln schlagen mußten.
Leider haben manche Kommunen das Bewußtsein für die Bedeutung dieser Sammlungen für einen wesentlichen Teil ihrer Bevölkerung aus den Augen verloren. Hier müssen Kommunalpolitiker aufmerksam gemacht, sensibilisiert und begeistert werden, ihren Beitrag zum Erhalt von Heimatstuben zu leisten.

Welche Prominenten schlesischer Abstammung können Sie nennen?

Schlesier – auch berühmte – trifft man überall. Der Modedesigner Guido Maria Kretschmer bekennt sich genauso zu seiner schlesischen Herkunft, wie Thomas Gottschalk, der mit seiner Mutter früher auch regelmäßig bei den Deutschlandtreffen der Schlesier dabei war. Die Ministerpräsidenten Weil, Haseloff oder Kretschmer (Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Sachsen) verbergen ihre schlesische Herkunft ebenfalls nicht. Sportbegeisterte kennen natürlich den Fußballer Miroslav Klose, der sehr engagiert in seiner alten Heimat ist, oder Josef Schmidt, in den 1960er Jahren weltbester Dreispringer.

Warum braucht es heute noch eine Organisation für Heimatvertriebene?

Ohne die Organisationen der Heimatvertriebenen und Aussiedler und deren Nachkommen, würde die Erinnerungskultur zu Flucht, Vertreibung und Deportation längst untergegangen sein. Die Landsmannschaften sind die Fackelträger ost- oder sudetendeutscher Kultur, die notwendig sind, um das Feuer der Identität und Kultur an die kommenden Generationen weiterzureichen.

Wie ist Schlesien im neuen Zentrum gegen Vertreibungen vertreten, das im Sommer in Berlin eingeweiht werden soll?

Wir kennen Teile der grundsätzlichen Konzeption, jedoch noch keine Einzelheiten der Ausstellung. Die Vertreibung der Deutschen soll der Schwerpunkt des Zentrums sein. Nach der Eröffnung werden wir uns die Ausstellung wohlwollend und kritisch ansehen, ob dieses Hauptziel erreicht wurde.

Wrocław oder Breslau? Wie sollten die Ortsnamen der ehemaligen Ostgebiete in Publikationen benannt werden?

Ich halte es hier mit dem früheren Breslauer Stadtpräsidenten(Oberbürgermeister) Rafal Dutkiewicz, der in einer bundesdeutschen Zeitung antwortete, wenn er deutsch spreche, sage er selbstverständlich „Breslau“, und wenn er polnisch spreche, dann sage er Wrocław. Ich hege den Traum, daß wir eines Tages in ganz Schlesien – auch dort, wo es keine ursprüngliche deutsche Bevölkerung mehr gibt – zweisprachige Ortstafeln haben werden. Das würde deutlich machen, welche reiche, jahrhundertealte Kultur in Mitteleuropa beinahe komplett untergegangen ist. Es trüge zum gemeinsamen europäischen Verständnis bei, denn Verständigung ist die Grundlage für Versöhnung und einen gemeinsamen europäischen, abendländischen Geist des Friedens.

Welche schlesischen Traditionen sind für Sie wichtig bzw. pflegen Sie persönlich noch?

In der Alltagskultur sind das natürlich bestimmte kulinarische Traditionen, wie, an Heilig Abend die Schlesischen Weißwürste zuzubereiten oder die schlesische Art, Klöße zu machen. vAuch bestimmte Dialektbegriffe oder Arten der Aussprache sind im Sprachgebrauch für manche herauszuhören.

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