von Caroline Sommerfeld
Die Abiturquote in der BRD ist von 6 % im Jahre 1960 auf fast die Hälfte aller Schulabsolventen im Jahre 2020 gestiegen. Die Tendenz steigt noch immer, die meisten Eltern verlangen von ihren Kindern, daß sie ein Gymnasium oder in Österreich alternativ eine andere höhere Lehranstalt besuchen, um danach zu studieren. Alles strebt nach einer sogenannten „Höherqualifikation“, die in einer „Informationsgesellschaft“ allein angemessen zu sein scheint. Wenn aber mehr als die Hälfte eines Jahrgangs schließlich im Büro vor dem Rechner zu sitzen kommen, wer baut dann noch Häuser und Autos, bewirtschaftet Äcker, verlegt Leitungen, repariert Entzweigegangenes, stellt edle Einzelstücke her?
Eltern wollen das Beste für ihr Kind, und ihnen wird suggeriert, ohne Abitur bzw. Matura wäre dieses unerreichbar. Jugendliche zieht es zum Geld, ansonsten wissen sie meist schlicht nicht, was sie später werden wollen – außer dem berühmt-berüchtigten „irgendwas mit Medien“. Sie wissen dies weder nach acht oder neun Jahren Schule, noch mit der Hochschulreife. Und was sie an einer staatlichen allgemeinbildenden mittleren oder höheren Schule gelernt haben ist – Ideologie.
Die jungen Leute haben Ideologie gelernt – statt Geschicklichkeit, Geduld, Glauben und Geschichtsbewußtsein.
Sie haben gelernt, daß die Menschen früher arm waren und hart mit den Händen arbeiten mußten, wozu wir heute den Computer haben, mit dem eine ungeahnte digitale und KI-Zukunft vor uns liegt. Sie haben womöglich eine „Tablet“-Klasse besucht, wissen, daß der Planet stirbt, sie die „letzte Generation“ sind, und sie verachten oft alles Traditionelle. Die jungen Leute haben Ideologie gelernt statt Geschicklichkeit, Geduld, Glauben und Geschichtsbewußtsein, wozu auch der Stolz auf die Überlieferung alter Berufe und den Familienbetrieb gehört.
Das mag nun verallgemeinert sein und gerade am Land nicht auf die ganze Generation zutreffen. Aber es herrscht der unerbittliche Trend zum Gymnasium, zum immer stärker verschulten „Studium für alle“, zum Büro- und Dienstleistungssektor, und schließlich zu sogenannten „bullshit jobs“ – also etwa Private-Equity-Manager, Kommunikationskoordinatorin, Finanzstratege oder Investmentbankerin. Aber diese „Jobs“ schaffen keinen gesellschaftlichen Mehrwert, sie sind oft nutzlos und meistens trotzdem gut bezahlt. Doch auch am Land wird der Bauernsohn lieber Steuerberater, statt den Hof zu übernehmen, und die Tochter studiert eher Migrationspädagogik an der FH, als die Tischlerei der Eltern weiterzuführen.
Es treffen also zwei Phänomene aufeinander: die ideologische Abkehr vom Bodenständigen und die im Schulsystem paradoxerweise abtrainierten Kulturtechniken. Walter Tschischka, Präsident der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald faßte unlängst die Situation so zusammen: „Mit Schulabsolventen, die auf dem Niveau der vierten Klasse stehengeblieben sind, kann das Handwerk nichts anfangen.“ Die eine Hälfte der Schüler wird zu perfekt funktionierenden Systemlingen ausgebildet, die andere Hälfte lernt gar nichts mehr. Ich beobachtete Berufschüler im Überlandbus, die sehr wohl Deutsch als Muttersprache sprachen, aber keinen ganzen Satz herausbrachten, sich sodann über ihr digitales Endgerät beugten und im schönsten Sommer in Fleecejacken, langen schwarzen Hosen und Mützen dasaßen – diese Kinder haben in fünfzehn Jahren kein Sprachgefühl, kein Weltgefühl und kein Körpergefühl entwickeln dürfen.
Die einen wollen, die anderen können kein Handwerk mehr erlernen.
Laut dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) gibt es in der BRD mehr als 150.000 unbesetzte Stellen im Handwerk, in Österreich sieht es ähnlich aus. Mit Sicherheit helfen dagegen keine PISA-Schulkampagnen und „Job-Offensiven“ für „klimarelevante Green Jobs im Handwerk“. Der Hund liegt tiefer begraben. Es liegt für nachdenkliche, traditionsverhaftete Eltern nahe, ihren Nachwuchs gerade nicht den staatlichen Ideologieanstalten anzuvertrauen. Je eher raus aus der Systemlingszuchtanstalt, desto besser! Da liegt dann in der Tat eine Lehre nahe, und wer noch elementare Sekundärtugenden mitbringt, wird dort mit Handkuß genommen. Unter den Lehrberufen gibt es wiederum solche, die weder hauptsächlich Bildschirm- noch dauernde Hygiene- und Normeinhaltungsschulungen beinhalten. Je älter und „abseitiger“ der Handwerksberuf, desto wahrscheinlicher ist es, daß sich unter den Lehrlingen auch intelligente, ein wenig sonderliche Jugendliche finden, die zumindest ganz genau wissen, was sie nicht wollen. Meine älteren Burschen haben – aus ihrerseits völlig unideologischen Gründen – Koch und Gärtner gelernt, der jüngste wird Drechsler. Und die Mutter ist hochzufrieden damit!
Über die Autorin:
Caroline Sommerfeld, geboren 1975 in Norddeutschland, studierte in Rostock Philosophie und Germanistik. Promotion dortselbst 2004 mit einer Arbeit zu Kants Ethik. Seit siebzehn Jahren lebt Sommerfeld mit ihrer Familie in Wien. Sie schreibt regelmäßig für die Zeitschrift Sezession und hat etliche Bücher veröffentlicht (Mit Linken leben 2017, Wir erziehen 2019, Vorlesen 2019, Selbstrettung. Unsere Siebensachen 2020, Versuch über den Riß 2021, Volkstod – Volksauferstehung 2021).