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… hält Leib und Seele zusammen!

von Erich Körner-Lakatos

In Gesellschaft sollten sich halbwegs kultivierte Menschen – so eine alte Regel – weder über Geldsorgen, noch über Krankheiten oder gar über Politik unterhalten. Du lieber Gott! Wenn man sich daran halten wollte, worüber könnte der distinguierte Zeitgenosse dann eigentlich reden?

Darüber hinaus gibt es noch ein anderes, leicht snobistisches Vorurteil: Gebildete Menschen sprechen nicht über’s Essen. Doch in unseren Tagen hat dieses Gesprächsthema an Bedeutung und Verbreitung beträchtlich zugenommen. Vor allem hierzulande. Bei uns ist die in den 50er-Jahren im Norden Deutschlands grassierende sogenannte Freßwelle überhaupt nicht aufgefallen, weil der Österreicher – in erster Linie der Wiener, ein Phäake der Sonderklasse – seit jeher einem guten „Papperl“ mitnichten abhold ist. Nehmen wir Josef Weinheber, der 1935, somit in der Zeit der großen Wirtschaftskrise frohgemut formuliert: Zum Gabelfrühstück gönn ich mir / ein Tellerfleisch, ein Krügerl Bier / schieb an und ab ein Gollasch ein / kann freilich auch ein Bruckfleisch sein. Nach dem darauffolgenden reichlichen Mittagstisch gelü-stet es Weinheber auch am Nachmittag gleich wieder nach Fleischlichem: Zur Jausen geh ich in die Stadt / und schau, wer schöne Stelzen hat, / ein kaltes Ganserl, jung und frisch, / ein Alzerl Käs, ein Stückerl Fisch …

Tafelfreuden sind zum ernsthaften Gesprächsthema avanciert, durch dessen Erörterung man an seiner intellektuellen Reputation keinerlei Schaden mehr erleidet.

Kochen und Essen wird jetzt mit viel mehr Exaktheit und vernünftiger Überlegung betrieben. Früher hat man darüber wenig gesprochen, aber üppig getafelt. Jetzt ißt man weniger, vorsichtiger und maßvoller, was jedenfalls gesünder ist, redet aber mehr darüber. Insbesondere auf einschlägigen Veranstaltungen: In Wien verzeichnet noch jede Kochkunstausstellung begeisterte Aufnahme, weil man in der Stadt das Erfinden, die Zubereitung und das Servieren von Speisen seit je her mit künstlerischem Ehrgeiz, mit Grazie und mit Raffinement betreibt. Und wenn wir auch sonst sehr bescheiden sind, oft sogar viel zu bescheiden – darauf dürfen wir uns schon etwas einbilden: auf den hohen Rang, auf den weitreichenden Ruhm der Wiener Küche. Kein fremder Gast war jemals von einem Original Wiener Schnitzel, einem bodenständigen Backhuhn, unseren Apfelstrudeln oder Marillenknödeln enttäuscht. Selbst die bekannt kritischen Preußen nicht. Offenbar wird bei uns so gekocht, daß es den Essern aus aller Köche Ländern schmeckt: nicht zu primitiv, aber auch nicht krampfhaft raffiniert, nicht zu üppig, aber stets schmackhaft.

Zu solch kühnen Betrachtungen wird man angeregt, wenn man ein oder zwei Stunden lang in einer solchen Ausstellung verweilt. Soviel gibt es hier zu sehen, zu lernen und zu kosten. Auch Gratiskostproben, für die sich manche Besucher geradezu aufopfern, selbige entweder sofort dem Gaumen zuführen oder sich zumindest damit ihre Handtasche respektive die Taschen ihres Sakkos vollstopfen. Ein altes, völlig überlebtes Vorurteil besagt, daß einem die Speisen nur dann schmecken würden, wenn man ihre Zubereitung nicht gesehen habe. Das mag für etliche Wirtshäuser gelten, wo man besser den Blick von der Küche wendet. Eine kulinarische Messe ist hingegen ein Musterbeispiel für Sauberkeit und Akkuratesse, die Sie, mein Herr, heikel und anspruchsvoll, wie Sie mit zunehmenden Jahren zunehmend sind, unbedingt besuchen sollten. Aber veranlassen Sie auch Ihre bessere Hälfte zum Mitgehen, und wenn Sie eine heranwachsende Tochter haben, auch diese. Sollten sich die Damen unter nichtigen Vorwänden sträuben, dann bestehen Sie erst recht darauf, mit dem zeitgemäßen Argument: „Man ist nie zu jung, um noch kochen zu lernen.“

Falls Ihnen, gnädige Frau, nach dem Besuch wiederum das Wasser im Munde zusammenläuft und Sie die Zeit bis zur nächsten einschlägigen Messe irgendwie überbrücken wollen, dann rate ich Ihnen, ein Kochbuch aus der guten alten Zeit in die Hand zu nehmen und – nachdem Sie bereits im November für Ihre punktgenau gebratene Martinigans uneingeschränktes Lob geerntet haben – ein Weihnachtsessen vom Feinsten zu planen. Für die liebe Familie. Tja, was soll denn da auf dem Tisch vorzufinden sein? Etwas Bodenständiges wie zum Beispiel ein gebackener Karpfen aus dem Waldviertel samt Mayonnaisesalat? Ein Tafelspitz mit seinen traditionellen Beilagen: Rösterdäpfel, Schnittlauchsauce und Apfelkren? Oder, recht vertrauenerweckend-wienerisch, ein Backhuhn, das es bekanntlich liebt, mit weißen Papiermanschetten serviert zu werden in Gesellschaft einer Schüssel Häuptelsalat mit Ei. Gleich, wofür Sie sich entscheiden, Sie tragen damit wesentlich zu einem gelungenen Fest bei!

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