von Caroline Sommerfeld
Mir begegnete unlängst ein freundlicher älterer Herr am Bahnhof eines niederösterreichischen Dorfes, der mit mir plauderte und zum Abschied sagte: „Net mißverstehn, aber Sie schau‘n aus wie die Amish people, das interessiert mich total, nächstes Jahr flieg i nach Amerika, die schau i mir an!“ Was für einen Anblick hatte ich ihm geboten? Nun ja, einen bodenlangen Trachtenrock, blitzblau mit Blumenstreifen, ein gewöhnliches graues Leiberl, schwarze Strumpfhosen und flache Lederhalbschuhe. Der Eindruck kam wahrscheinlich durch jenes Kleidungsstück zustande, das ein sprachfreudiger Freund als „den Kopfsack“ zu bezeichnen pflegt: ein Hauberl aus dunkelgrauem Stoff, das aussieht wie ein locker gebundenes Kopftuch ohne Zipfel.
Es handelt sich bei dem, was ich am liebsten trage, nicht um eine „Tracht“ im Kernsinne des Wortes, also laut aktuellem Duden die „für eine bestimmte Volksgruppe o. Ä. oder bestimmte Berufsgruppe typische Kleidung: bunte, bäuerliche, ländliche Tiroler Trachten“. Ich stamme weder aus einer Gegend, in der eine bestimmte Volkstracht bis heute an Festen oder zu bestimmten Anlässen üblich ist, noch wüßte ich, woher genau die meisten meiner getragenen Kleidungsstücke regional stammen. Eher paßt meine Tracht also allgemein in die Definition aus Kluges Etymologischem Wörterbuch, nämlich „das Tragen und Getragenwerden, dann die Art, sich (seine Kleider) zu tragen“.
Flohmärkte als Fundgrube für die ganz persönliche Tracht
Ich trage mich gern altmodisch, zusammengewürfelt, und ja – das meiste sind wirklich getragene Kleidungsstücke, das, was man „second hand“ nennt. Auf Flohmärkten – besonders ergiebig sind Pfarr- und sonstige karitative Flohmärkte, weil hier oft alte Leute ihre Schätze hinbringen oder jüngere die Verlassenschaften ihrer Eltern und Großeltern abgeben – und in solchen Geschäften, die in jeder Großstadt professionell Gebrauchtkleidung für Entwicklungshilfe verkaufen, werde ich fast immer fündig. Trachten- und Karoröcke, Blümchen- und Rüschenblusen, Hauben, Walkjanker und Strickjacken, Schnürschuhe, Damenregenschirme, Lodenmantel und Übergangspaletot – mein Gewand ist mit der Zeit zusammengekommen, geplant war dabei fast nichts.
Ungeplant war auch der Dachbodenfund schlechthin: In unserem Wiener Mehrparteienhaus wurde vor ein paar Jahren der Dachboden aus feuerschutzpolizeilichen Gründen geräumt. Die Hausbesorgerin forderte alle Mieter auf, ihre Sachen von dort zu entfernen. Ich fragte, wem die alten Truhen eigentlich gehörten, und da sie niemanden wußte und mir die Erlaubnis gab, machte ich mich darüber her. Darin vieles Mottenzerfressene, aber auch baumwollene Frauenkleider aus den 30er- bis 40er-Jahren! Vier davon habe ich heute noch, sie passen mir genau. In einem ist ein Schildchen eingenäht mit dem Namen „Dietlind v. Mörl“ – ich suchte im Netz danach, die Vorbesitzerin oder gar Schneiderin dieses vortrefflichen Reformkleides scheint jedenfalls keine Berühmtheit gewesen zu sein.
„Tradwives“ im 50er-Jahre-Chic, „Völkis“ mit Zopftracht und verschleierte Christinnen
Ich bin wahrscheinlich nicht allein mit meinem Flohmarktfaible. Oder die gesetzten Damen und jungen Mädels „aus dem Milieu“ haben mehr Geld, um echte Trachtenmodengeschäfte aufzusuchen; eines in Niederösterreich wirbt mit dem hervorragenden Reklamespruch „Trachten Sie nach dem Original!“. Denn in allen drei Untermilieus der Rechten, die mir bekannt sind, finden sich weiblicherseits Röcke, Blusen, Strickjacken; bei den Männern an Festtagen Lederhosen, öfters Janker und Hüte. Bei den Patrioten, denjenigen „neuen Rechten“ mit Modebewußtsein, worunter auch die in den USA entstandene Frauenbewegung „trad wives“ (traditionelle Ehefrauen) fällt, gehören Röcke und überhaupt betont weibliche, aber züchtige Kleidung zum Stil. „Tradwives“ tendieren oft zu 50er-Jahre-Chic: taillierte Kleider mit und ohne Schürze, Haarschleifen, Haarreifen und Retrofarbtöne.
An das patriotische grenzen das völkische oder bündische Milieu und das traditionell-christliche an. Die gar nicht unbedingt abschätzig von den anderen so genannten „Völkis“ pflegen eine entschiedene Vorliebe für die Zopftracht: Bei den kleinen Mädchen sind Flechtzöpfe nicht wegzudenken, aber auch heiratsfähige Mädel und ältere Frauen schmücken sich mit teilweise sehr kunstvollen, bei den Germanen mit kultischer Bedeutung versehenen Flechtfrisuren. Manchmal ist die Grenze zum Mittelaltermarktstil fließend, denn es dominieren leinene, helle Kleider mit Gürteln und Miedern sowie Fibeln, Broschen und Amuletten. Die Freude an Selbstgenähtem und auch -gestricktem ist offensichtlich groß.
Traditionelle Christen weiblichen Geschlechts tragen allesamt Kleider und Röcke. Der Faltenrock ist oft zu sehen, dazu blickdichte Strumpfhosen, flache Pumps oder Stiefeletten. Mäntel unterschiedlicher klassischer Schnittformen gehören auch dazu, bei Familien mit vielen Töchtern auch gern mehrmals dasselbe Modell in verschiedenen Größen. Während der Heiligen Messe tragen einige Frauen – längst nicht alle, weil es im deutschen Sprachraum keine Tradition hat – die sogenannte „Mantilla“, ein dreieckiges Spitzenkopftuch. Jungfrauen in Weiß, Witwen in Schwarz, die anderen Frauen wählen beliebige damenhafte Kopfbedeckungen oder Mantillen in einer der beiden Farben. Ein kirchliches Hochfest, vor allem eines mit einer Prozession, fördert dort geradezu eine Trachtenmodenschau zutage.
Wir haben es dabei allerdings nur in ländlichen Regionen Österreichs und überdies nur selten mit wirklich regionaler Volkstracht zu tun. Denn das Gesamtphänomen „rechtes Milieu“ ist nun einmal, auch wenn man es in unseren Kreisen nicht gern hört, nach außen hin auch zu einem Gutteil „Lifestyle“. Das bedeutet, daß man sich bewußt eine ästhetische Nische aussucht und – eben konservativ-traditionell bis reaktionär – zurückgreift auf Stilelemente früherer Jahrzehnte und Epochen, somit eine Art „kultureller Wiederaneignung“ betreibt.
Damenhafte Kleidung läßt die Frau als Frau erkennbar sein.
Doch anders als bei allen anderen Subkulturkleidermoden hat der Rückgriff auf altmodische Damenbekleidung einen tieferen Sinn. Der vordergründig sichtbarste Aspekt ist auf jeden Fall die Weiblichkeit: Damenhafte Kleidung läßt die Frau als Frau erkennbar sein, im klaren Unterschied zum Mann und zum Kind, zu Arbeitskluft und funktionalem Sportdreß. Dabei legen alle traditionellen Milieus Wert auf geziemende Damenbekleidung, am ehesten findet man bei den Patriotinnen Ausreißer in Richtung Minirock, Schminke und Stöckelschuhe. Dies liegt vermutlich daran, daß bei einigen der Slogan „Bikini statt Burka“ Programm ist, also westliche Freizügigkeit als zu verteidigender Wert gilt. In der Kleidung die Hochschätzung der Jungfräulichkeit, der Ehe und Mutterschaft sowie der Greisinnenwürde zum Ausdruck zu bringen, zeugt indes von tieferem geistigem Wissen.
Am wichtigsten jedoch ist meiner Ansicht nach der Kontrast, auch wenn man ihn zunächst für oberflächlich halten könnte. Denn warum falle ich auf, als wäre ich eine Amische? Traditionell gekleidete Frauen sind in der Öffentlichkeit in der absoluten Minderheit. Natürlich gibt es in fast allen Milieus auch Kleider, Röcke und femininen Chic – die Emanzenlatzhose oder die geschlechtsauslöschende Gewandung der woken Jugend mit Hochwasserhosen, 80er-Jahre-Sweatshirt, Riesenbrille und „Vokuhila“-Frisur sind als Merkmale soziologischer Nischen zu betrachten. Was aber ausgestorben ist und nur noch vom Flohmarkt, geerbt oder selbstgenäht zu haben ist, sind bestimmte Kleidungsstücke als solche. Dazu zählen eben lange Trachtenröcke, gewisse Hauben- und Hutschnitte, Strickjacken, Mieder, Schürzen, Schultertücher. Und selbst wenn man gewisse Anziehsachen (wie etwa Puffärmelblusen mit Stickerei) als „Retromode“ eine Saison lang plötzlich überall bei den globalisierten Handelsketten findet, fehlt etwas. Das, was fehlt, läßt sich als ein Paradoxon beschreiben: Die Traditionalistin ist in gewisser Weise Individualistin. Denn es gibt keine Verbindlichkeit mehr, die in allen früheren Zeiten die weibliche Tracht für ein bestimmtes Alter, eine bestimmte Region oder Volksgruppe oder einen bestimmten Stand auszeichnete.
Unsereine ist darauf angewiesen, sich ihre Tracht selbst zu erfinden, zusammenzusuchen und Kombinationen und Kreationen auszuprobieren. Und damit dann in der Öffentlichkeit aufzufallen – eine junge Dame schrieb in einem rechten Forum kürzlich, in der Stadt Tracht zu tragen, sei doch „freakig“. Das ist es bestimmt, wenn damit „sonderlich“ im Vergleich zur Massengesellschaft gemeint ist, eben: der Kontrast. Das ist es bestimmt nicht, wenn damit selbstdarstellungssüchtig oder provokativ gemeint ist – denn traditionelle, geziemende Damenbekleidung sollte das Allernatürlichste von der Welt sein.