Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

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Die „Rückgabe“ außereuropäischer Kunstwerke – ein ideologischer Feldzug auf Kosten der Kunst

Das herrschende Narrativ zur Rückgabe außereuropäischer Kunstwerke hält einer näheren Überprüfung nicht stand

von Dr. Michael Engelbert.

Nach heutigen Maßstäben beruhte die koloniale Herrschaft durch Europäer in anderen Weltteilen in bestimmten Regionen und zu gewissen Zeiten auf Ausbeutung, Unterdrückung und Rassismus. Kaum jemand von uns Zeitgenossen möchte als Täter oder Opfer Teil solcher kolonialen Herrschaft sein. Aus Abscheu, aber auch aus Unkenntnis der Kolonialzeit hat sich ein mächtiges Narrativ zur Rückgabe außereuropäischer Kunstwerke aufgeschwungen. Befeuert wird es durch die Diskurse über Raubkunst im Zweiten Weltkrieg und die Benachteiligung von Afro-Amerikanern in den USA.
Ohne Übertreibung lautet diese Erzählung: „Vor Ankunft der Weißen lebten „edle Wilde“ in einem gerechten Naturzustand – ohne Krieg und Sklaverei. Sie schufen wertvolle Kunstwerke und bewahrten diese sorgsam auf. Dann wurden sie von „white men“ kolonisiert, die Kunstwerke wurden ihnen geraubt und sollen nun Generationen später an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben werden.“

Alle Aspekte dieser Erzählung kann man in der historischen Literatur in einzelnen Fällen bestätigt, in vielen anderen widerlegt finden. Kolonialgeschichte ist deshalb so faszinierend, weil sie vielseitig ist und sich dynamisch änderte. Trotzdem dominiert eine plump verallgemeinernde, ideologische Version der Kolonialzeit die Medien vollständig und die Politik weitgehend. Schon der Begriff „Rückgabe“ unterwirft sich dieser Sichtweise. Der folgende Artikel soll zum Nachlesen und Nachdenken anregen.

Europäische Museen bewahren Kunstwerke über Generationen hinweg – gerade diese einzigartige Leistung wird ihnen zum Vorwurf gemacht

Das europäische Museum beruht auf Grundlagen, die in anderen Kulturen nie vorhanden waren: einer Unterscheidung zwischen Original und Kopie und einer Achtung des Künstlers; daraus folgt eine Kultur des Bewahrens; vor allem aber eine Kultur der forschenden Neugierde, die sich anderen Völkern und Zeiten zuwendet, um Fragen an sich selbst zu beantworten.

Weltweit wurden Kultgegenstände häufig für einen bestimmten Ritus geschaffen und danach weggeworfen, Alltagsgegenständen erging es ebenso. Erst durch die Musealisierung in Europa wurde ein rasches Verrotten in den Tropen verhindert.
Ein Beispiel ist die sogenannte „Federkrone des Moctezuma“ im Wiener Kunsthistorischen Museum. Wäre sie nicht in der frühen Neuzeit nach Österreich verbracht worden, wäre sie ebenso vermodert wie alle anderen Federkronen jener Zeit. Nachdem sich in Mexiko jahrhundertelang niemand dafür interessiert hat, wird sie nun vehement eingefordert.

In vielen Regionen der Erde gibt es schlicht nicht die kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen, um Kunstgegenstände jahrhundertelang aufzubewahren. So übergab das British Museum 1950 Benin-Bronzen an Nigeria, 2021 wurden dieselben Metallarbeiten erneut „zurück“ erstattet. Zwischenzeitlich waren sie am Kunstmarkt verhökert worden. Wie lange sie in Nigeria bleiben, ist offen, wer die in mehreren Landesteilen wütenden Bürgerkriege gewinnt, ebenfalls.

Es ist eben nicht mit der „Ausbildung von Konservatoren“ getan, wie die fachlich unbedarfte deutsche Kulturstaatsministerin Claudia Roth (eine eifrige Kämpferin für politisch korrekten Kunstgütertransfer) meint. Selbst in China, einer echten Hochkultur mit jeder Menge Geld und einheimischen Fachleuten, werden baufällige Altstadtviertel oder Teile der großen Mauer einfach durch Betonkopien ersetzt. Original und Kopie werden dort anders bewertet.
In vielen ehemaligen Kolonien sind die von Europäern im 19. Jahrhundert gegründeten Museen und ethnologischen Sammlungen verwahrlost, zerstört oder verkauft. Nur aus eurozentrischer Sicht ist es ein Skandal, daß das afrikanische kulturelle Erbe in Afrika nicht besser gepflegt wird. Will man afrikanischen Völkern auf Augenhöhe begegnen, muß man diese Verachtung für die eigene Kulturgeschichte schlicht akzeptieren.
Ohne jegliches Interesse an afrikanischer Kunst rollt trotzdem eine Welle von Rückgaben in Richtung Afrika an. Richtig wäre es, Kunstgegenstände, die in Europa sicher verwahrt werden, nur in wenigen, verschmerzbaren Exemplaren in konservatorische Hochrisikogebiete zu verschenken.

Museen sind immer zentrale Sammlungen – daraus wird ausschließlich im kolonialen Kontext ein Skandal gemacht

Auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene kam es stets zur Verbringung von musealen Gegenständen aus der Fläche in zentrale Museen, um sie konservieren, erforschen und präsentieren zu können. Dabei bewegen sich die Kunstwerke stets in Richtung der Zentren von Macht und Reichtum – nicht immer gemäß Recht und Moral.

Beute zu machen war jahrhundertelang selbstverständlich. Auch Napoleon ließ systematisch Kunstwerke in deutschen Landen plündern und nach Paris schaffen. Nach der damaligen Auslöschung des Erzstifts Salzburg als Reichsfürstentum kamen seine Goldschmiedearbeiten nach Florenz, seine Handschriften nach München und Paris und seine Gemäldesammlung kam nach Wien. Sie sind dort bist heute – und niemand fordert eine Rochade hunderttausender Kunstgegenstände innerhalb Europas.

Nicht anders sollte es im Verhältnis zwischen europäischen Museen und außereuropäischer Kunst sein. Die Zentralisierung hat hier den Vorteil, daß nur so außereuropäische Kulturen international sichtbar und vergleichbar werden. Wären baktrische Kunstwerke nicht nach Europa verbracht worden, wären sie heute in Afghanistan zerstört oder nur unter Lebensgefahr zu besichtigen. Das gleiche gilt für die Kunst von Meroe im sudanesischen Teil Nubiens. Jeder kann in Berlin einen bleibenden Eindruck dieser ägyptischen Kunst aus Schwarzafrika bekommen. Wo sonst?

Kunst wird von menschlichem Unrecht durch die Jahrhunderte begleitet – trotzdem werden willkürlich einzelne Erwerbsvorgänge dämonisiert

Viele große Kunstwerke sind nur geschaffen worden, weil vorher Ressourcen gewaltsam angesammelt wurden. Schon die Künstler haben häufig unter Zwang oder gegen ungerechte Entlohnung gearbeitet.

Der Guß der Benin-Bronzen wurde von einem bis heute mitregierenden Herrscherhaus befohlen, das jahrhundertelang in großem Stil Sklaven jagte, verkaufte und mit den dadurch erlangten Mitteln weitere Völker in grausamen Kriegen versklavte. Auch die eigenen Untertanen lebten in brutalster Ausbeutung, Menschenopfer waren üblich. Die Benin-Bronzen waren nie unschuldig, an ihnen klebte immer schon Blut! Eine Schenkung an ein Palastmuseum dieses Königshauses stellt nur für denjenigen eine moralische Sühne dar, der Afrikanern eine eigene politische Geschichte und eigene historische Verbrechen abspricht.

Nach der Schaffung eines Kunstwerks kam es laufend zu Eigentümerwechseln. Oft waren diese nach heutigen Maßstäben unrechtmäßig. Oft aber auch im kolonialen Kontext durch einen Austausch von Ware gegen Geld geprägt. Es ist ein unverschämtes Vorurteil gegenüber Afrikanern, sie seien zu einfältig gewesen, den Markt für afrikanische Kunst geschäftstüchtig zu beliefern. Wahr ist vielmehr, daß rasch und in großem Stil für europäische Interessenten gefertigt wurde.

In der Geschichte von Kunstwerken ist seinen Schöpfern und Zwischeneigentümern also häufig Unrecht widerfahren. Es gibt damit immer nachgeborene Gruppen, die sich auf einen ehemaligen Eigentümer berufen können. Die vehementen Rückforderungen erfolgen aber selten l’art pour l’art, sondern vor allem aus finanziellen Interessen.

Eine „Rückgabe“ setzt eine Identität von ursprünglichem und neuem Eigentümer voraus – das sind aber häufig aberwitzige Konstruktionen

Auf Anhieb erkennt man drei fragwürdige Voraussetzungen für die Rückgabe „geraubter“ Kunst:
Erstens gehören damit Künstler und Kunstgegenstände ungefragt Nationen oder Volksgruppen an, die quasi ewige Ansprüche auf Künstler und ihre Werke haben. Von denselben Meinungsmachern wird aber bestritten, daß Nationen mehr seien als die gerade zufällig in einem Gebiet lebenden Menschen.
Zweitens müssen diese Nationen oder Volksgruppen als Kollektiv moralische Schuld auf sich laden oder Unrecht erleiden und dieses jahrhundertelang „speichern“ können. Nur so macht es Sinn, von Wiedergutmachung zu sprechen.

Drittens werden die heute in der westlichen Welt aktuell gültigen moralischen oder juristischen Regeln in andere Kulturen und Zeiten projiziert und die damals lebenden Menschen danach beurteilt. Nur so gelangt man zu moralischen Urteilen, die man dann entrüstet vergangenen Jahrhunderten vorhalten kann. Der sogenannte „Schatz des Priamos“ wurde in Troja von einem bronzezeitlichen Volk geschaffen, das nicht mehr existiert. Jedenfalls war es weder griechisch, noch türkisch, deutsch oder russisch. Alle diese Nationen erheben aber Ansprüche darauf. Wem sprechen die Moralapostel nun das Eigentum daran zu?

Koloniale Unterdrückung und die Rückgabe von Kunst wird von herrschenden Eliten mißbraucht – außerhalb und innerhalb Europas

China ist das Paradebeispiel, wie koloniales Unrecht um 1900 gezielt mißbraucht wird, um eine viel brutalere und länger andauernde Unterdrückung der Chinesen durch die kommunistische Partei zu rechtfertigen. Eine „Rückgabe“ zur moralischen Wiedergutmachung setzt aber voraus, daß der Empfänger selber moralische Mindeststandards erfüllt. Wie kann man einem totalitären Regime, das hunderttausende Menschen in Konzentrationslagern hält, einen Propagandaerfolg durch „Rückgabe“ der seit Jahren geforderten Tierkreiszeichenfiguren aus dem Alten Sommerpalast in Peking wünschen?
Ein weniger krasses Beispiel: Portugiesische Seefahrer errichteten an markanten Punkten Herrschaftszeichen aus Stein. Ein solcher „padrão“ fand sich auch im heutigen Namibia und wurde von der deutschen Kolonialverwaltung nach Berlin verbracht. Die heute herrschende Elite Namibias stammt aus dem Volk der Owambos. Sie hat sich 2014 (geschmackloserweise von nordkoreanischen Arbeitssklaven) ein bezugsfertiges Museum der nationalen Unabhängigkeit bauen lassen. Hier wird nun die Kolonialgeschichte für die Legitimation der eigenen Herrschaft instrumentalisiert. Dafür wünschte man den originalen padrão als Trophäe aus Berlin – und hat ihn bekommen.

Aber auch in Europa dient die Rückgabe von Kunst ideologischer Machtausübung: Die eigene nationale Geschichte soll in allen konservativen Aspekten als unmoralisch dargestellt werden. Die Zone von Sprechverboten wird damit rechts der Mitte ausgeweitet, die Rassismuskeule ersetzt die Lupe des Kunsthistorikers. Dies dient einerseits der eigenen moralischen Überhöhung, andererseits einer Reihe von materiellen und ideologischen Forderungen. Diese reichen von Unterwerfungsgesten über Entschädigungszahlungen bis hin zur Besetzung von Lehrstühlen.
Um die Frage, wie man durch Kunstwerke das Leben möglichst vieler Menschen bereichern könne, geht es dabei kaum. Gehört nicht wahre Kunst der ganzen Welt und sollte gemeinsam bewahrt, erforscht und bewundert werden? Demnach sollten auch in Ländern mit massiven Entwicklungsrückständen Kunstwerke zugänglich sein, eigene und europäische. Eine Wanderausstellung gotischer Sakralkunst in Afrika samt pädagogischem Programm würde hunderttausende Afrikaner mehr berühren, als die „tausendundeinte“ Benin-Bronze, die gerade in Deutschland in Transportkisten verpackt wird.

Über den Autor:
Dr. Michael Engelbert hat als Jurist und Historiker in und über Lateinamerika und China gearbeitet und Afrika nördlich und südlich der Sahara bereist.

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