Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Ostpreußen – weites, flaches, stilles Land, damals wie heute
Erik Lehnert

Deutsch in Ostpreußen heute

Der inzwischen 30 Jahre alte Verein „Ostseebrücke e.V.“ ist im heutigen russischen Oblast Kaliningrad tätig, dem ehemaligen Nordostpreußen mit der Hauptstadt Königsberg. Als humanitärer und technischer Hilfsverein für überwiegend Rußlanddeutsche gegründet liegt sein Schwerpunkt heute im Bereich der Förderung der deutschen Sprache. Mit zurzeit zwölf russischen Lehrern, die Deutsch an zehn verschiedenen Orten unterrichten, werden etwa 150 Personen in ihren Sprachkenntnissen gefördert. Das Spektrum reicht von Kindern mit elementaren Sprachkenntnissen bis zu Erwachsenen, die Deutsch aus beruflichen Gründen erlernen wollen. Die Lehrkräfte treffen einander mehrmals jährlich zum Gespräch und zur Weiterbildung. Die Schüler nehmen regelmäßig an Schulolympiaden teil sowie an Ausschreibungen von Sprachwettbewerben des Deutschen Konsulats und des Goethe-Instituts. Einige Lehrkräfte haben mit ihren Sprachschülern auch kleine Theaterstücke bei Kulturveranstaltungen der nationalen Volksgruppen sehr erfolgreich aufgeführt.

Da unser Sprachunterricht ohne Leistungsvorgabe angeboten wird, ist die Begeisterung der Schüler, durch Spaß und Freude die deutsche Sprache zu erlernen, sehr ausgeprägt. Leider ist der Deutschunterricht allgemein seit Jahren zurückgegangen. War sonst die erste Fremdsprache an den Schulen Deutsch, so ist es jetzt Englisch – und als Zweitsprache wird Deutsch bei oft hohem Leistungsdruck an den Schulen nicht weiter gelehrt. Außerdem ist die Motivation der Schüler zurückgegangen – durch die fehlenden Austauschprogramme mit deutschen Partnerschulen seit der Coronapandemie sowie dem Überfall auf die Ukraine.
Seit vielen Jahren unterstützt die „Ostseebrücke“ auch eine Kinderfreizeit für etwa 25 Buben und Mädchen aus sozial schwachen Familien an der baltischen Ostseeküste. Während dieser Tage mit Spiel und Spaß am Strand wird auch die deutsche Sprache unterrichtet. Bis 2020 förderten wir auch den Kulturaustausch, indem wir der Gesangsgruppe „Cantabile“ aus Tilsit/Sowjets halfen, im deutschsprachigen Raum Konzerte zu geben. Die „Ostseebrücke“ hat in den Jahren ihres Bestehens mehrere andere, im ehemaligen Ostpreußen aktive Vereine integriert und führt in Teilen deren Aufgabe heute noch weiter. Besonders sind die Pflege eines Denkmals zur Erinnerung an den preußischen Reformer Theodor von Schön und die Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft hervorzuheben. Vereinzelt wird auch noch Unterstützung im sozialen Bereich geleistet.

Reisen ins russische Ostpreußen sind seit dem Sommer 2022 wieder mit dem Auto möglich, und der Erhalt eines Visums ist unproblematisch. Seit 2020 sind Ausländer in Königsberg/Kaliningrad seltener zu sehen, zurzeit handelt es sich überwiegend um Rußlanddeutsche, die Familienangehörige besuchen. Russische Bürger können seit Februar 2022 nur sehr eingeschränkt nach Deutschland reisen. Was einem unmittelbar auffällt, wenn man die Grenze zwischen Polen und Rußland überquert, also vom südlichen ins nördliche Ostpreußen gelangt, ist ein sofortiger Wechsel der umliegenden Kulturlandschaft: fast keine Einzelgehöfte oder Häuser mehr, die Lindenalleen fehlen, überall sehr ausgedehnte landwirtschaftliche Flächen, teils kilometerweit in Verwilderung übergegangen. Viele Häuser und auch Dörfer sind verwahrlost, oft nur mehr Ruinen, und vieles ist fachlich und organisatorisch mangelhaft. Dann sieht man aber auch sehr viele neue Häuser, schöne Ortschaften, und die Straßen sowie andere Infrastrukturen sind in den letzten Jahren auf
einen nie dagewesenen Qualitätsstand gebracht worden.

Die gegenwärtige wirtschaftliche Situation ist leider sehr angespannt, und die Kaufkraft der arbeitenden Bevölkerung sinkt deutlich. In den Geschäften ist trotz des Embargos noch vieles zu haben, aber Preis bzw. Wertigkeit der Produkte haben sich sehr negativ entwickelt. Viele Gesprächspartner schieben die Ursache dafür generell auf den Westen, besonders auf die USA und neuerdings auch auf Deutschland, die Rußland würden schwächen wollen. Eine selbstkritische Betrachtung des eigenen Landes findet selten statt, auch keine Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Bei Gesprächen fällt auf, daß Gesprächspartner entweder alles Gegenwärtige unterstützen bzw. verteidigen, selbst das menschliche Leid in einem Krieg, oder mit ihrer Wortwahl in Anwesenheit anderer Personen sehr zurückhaltend sind, da sie Angst vor Zuträgern der Geheimdienste haben. Die Medien – hier vor allem Fernsehen und Radio – senden fast nur noch Regierungspropaganda. An Hausgiebeln in den Städten finden sich riesige Porträts von vor Ort getöteten Weltkriegshelden. Die Straßen sind mit unzähligen militärischen und nationalen Flaggen bestückt. Zahlreiche Plakate werben für den Dienst bei den Sicherheitskräften. Bei den Feiern zum Schulbeginn am 1. September konnte man etliche Offiziere zur Begrüßung der Schüler sehen, und viele Kinder waren in Kadettenuniformen verschiedener Waffengattungen gekleidet. Einen besonders bedrückenden Eindruck machen auch riesige Plakate mit Fotos und Namen junger, im Gebiet geborener Soldaten, die im jetzigen Krieg die Heimat als Helden verteidigt haben. Wurden sonst Denkmäler gesetzt für die gefallenen Eroberer Ostpreußens oder für verdienstvolle Bewohner des Gebietes in sowjetischer Zeit – wie den Kosmonauten Leonow –, so sind es heute Mahnmale für die eigenen Kinder, die diesen Boden mit ihrem Blut zu russischem Territorium machen sollen.

Zu sowjetischer Zeit war den Menschen im nördlichen Ostpreußen alles Deutsche gleichgültig bzw. galt ohnehin als dem Untergang geweiht. Zu Beginn der 90er-Jahre änderte sich die Situation: Alles Deutsche bekam plötzlich einen hohen Stellenwert, da es in diesem eroberten Gebiet ja eine Geschichte vor der Sowjetzeit gab, derer man jetzt überdrüssig war. Vielfach wurden deutsche Schriftzüge auf Hauswänden nachgemalt, Denkmäler und Gebäude nach dem Original wiederhergestellt und Geschäfte und Restaurants mit historisch klingenden Namen eröffnet. In den Zeitungen waren ständig Berichte über die Historie und die vielen Kontakte zu den wiedergekommenen Deutschen zu lesen. Die staatlichen Ämter schwankten stark zwischen Zusammenarbeit und Warnung vor einer Regermanisierung. Vor ca. 15 Jahren fand all das langsam sein Ende mit dem Wenigerwerden der alten ostpreußischen Heimwehtouristen. Die deutsche Vergangenheit wurde jetzt als Teil des Gebietes Kaliningrad akzeptiert, was auch heute an vielen Informationstafeln für Touristen zu sehen ist. Mehrere offizielle Museen und viele private Sammlungen haben die deutsche Epoche als einen oder sogar einzigen Schwerpunkt in ihrer Ausstellung.

Für die Sowjetunion war Ostpreußen okkupiertes Gebiet mit einer bis 1948 deportierten einheimischen Bevölkerung und einer Neubesiedelung mit Menschen aus der UdSSR. Die wenigen Deutschen, die als Kinder oder als Ehepartner – meist russischer Offiziere – im Gebiet bleiben konnten, durften sich erst nach der Wende wieder zu ihrer wahren Identität bekennen. Ein Gespräch mit einem alten Herren, der als sogenanntes „Wolfskind“ in seiner Heimat geblieben war, war sehr berührend; erst 1990 konnte er seine Familie in Deutschland wiedersehen. Der Zuzug von Rußlanddeutschen in den folgenden Jahren war der Anlaß für die Gründung von Hilfsvereinen und den Aufbau von evangelischen Gemeinden vor Ort. Heute muß die Evangelische Kirche sich „Agentenorganisation“ nennen lassen und hat einen sehr schweren Stand. Inzwischen sind Zahlreiche dieser Rußlanddeutschen als Übersiedler nach Deutschland weitergezogen, da die wirtschaftlichen Gegebenheiten hier aussichtsreicher sind. Die verbliebenen ca. 10.000 Rußlanddeutschen haben, oft mit deutscher Unterstützung, Wurzeln geschlagen und vielfach handwerkliche oder landwirtschaftliche Betriebe gegründet.

Der Verein „Ostseebrücke“ hat sich über die Jahre der gesellschaftlichen Entwicklung angepaßt und versucht nun – auch mit Unterstützung des ADKV aus Österreich –, trotz aller Probleme im russischen Ostpreußen im Sinne der Völkerverständigung zu wirken.

Bankverbindung für Spenden:
Ostseebrücke e. V.
IBAN: DE 52 2102 0007 0090 7172 28
BIC: GENODEF1KIL

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