Vom Brauch, in der kalten Jahreszeit ein Schwein zu schlachten
Miteinander arbeiten, miteinander feiern, das hält die Gemeinschaft im Dorf zusammen. Der noch vor einem halben Jahrhundert im Burgenland lebendige Brauch des häuslichen Sauabstechens ist ein Beispiel dafür.
Ein Beitrag von Erich Körner-Lakatos
Wobei das Wort Sautanz etwas irreführend ist: Im Regelfall tanzt weder die Sau – dazu bestünde für das Tier wahrlich kein Anlaß – noch tun es die Menschen, die nach getaner Schwerarbeit lieber an einem langen Tisch sitzen und sich an Speis’ und Trank gütlich tun.
Sautanz ist ganz einfach ein ruraler Dreiakter: Zuerst wird geschlachtet, daraufhin folgt die Verarbeitung der Fleischteile, den Schluß bildet der gemeinsame Schmaus, wobei hinsichtlich des dritten Aktes der Burgenländer seinen Hang zu deftiger Kost nicht verleugnet. Wer nimmt am Sautanz teil? Außer den Hausleuten, also dem Bauern, seiner Frau und den Kindern sind das Verwandte, Freunde und Nachbarn.
Denn viele fleißige Hände sind vonnöten, wenn es im Morgengrauen eines Wintertages losgeht.
Ein ruraler Dreiakter
Übrigens: Die kleinbäuerliche Struktur infolge des ungarischen Erbrechts (Hofteilung unter allen Söhnen) ist Grund dafür, daß Dienstboten wie Mägde und Knechte im Burgenland praktisch nicht anzutreffen sind. Die Ausnahme von der Regel sind Erntehelfer, etwa die Taglöhner bei der Weinlese und das Gesinde auf den hochadeligen Meierhöfen. Das Abstechen eines Schmalzschweines mit einem Gewicht von bis zu dreihundert Kilo ist Vorrecht des starken Geschlechts, mehrere kräftige Mannsbilder müssen anpacken, denn das Tier wehrt sich um sein Leben. Anschließend fängt man in einem Kübel das Blut auf.
Ausdauernd gerührt, mit Speckstücken und Semmelwürfeln versehen, in den gesäuberten Naturdarm gestopft und im Rohr gebraten, steht dann am Abend eine deftige Blunzen auf dem Tisch. Das Reinigen der Därme ist eine heikle Sache, die erfahrenen Bäuerinnen vorbehalten bleibt, weil man den Darm vorsichtig mit einem Kochlöffel wenden und gründlich mit heißem Wasser reinigen muß. Nicht minder wichtig ist das Auslassen des Schmalzes. Man schneidet den Filz, so nennt man das Fett unter der Haut des Tieres, grobwürfelig, dreht es durch die Fleischmaschine, dann läßt die Bäuerin das Fett aus.
Grammeln und Pogatscherln
Siebzig Kilo Schmalz müssen für das Jahr reichen. Die goldgelben Grammeln sind Grundlage für die traditionellen Pogatscherln. Die schönsten Fleischteile sind für das allseits bekannte Geselchte bestimmt. Das mit Salz, Knoblauch, Pfeffer und Koriander eingeriebene Fleisch beschwert man mit Steinen in einem Bottich. Nach vierzig Tagen wandert die Delikatesse zum Aufhängen in die Rauchfang-Selch. Die weniger edlen Teile des Schweines sind der Grundstock für allerlei Würste, die nach tagelanger Arbeit der Frauen als Brat-, Leber- oder Preßwurst auf dem Tisch stehen.
Rund um zehn Uhr erwacht bei den meisten der Appetit. Die Vormittagsjause besteht aus leicht verderblichen, freilich unglaublich köstlichen Sachen. Zum Beispiel aus gerösteter Leber, gebratenen Nierndln oder kurz überkochtem Speck. Feinspitze bevorzugen das Blut-Tommerl: Schweinsblut mit Mehl, geschnittener Zwiebel und zerdrücktem Knoblauch verrührt und in einem ausgefetteten Reindl im Ofen gebacken. Der Ofen ist selbstredend der traditionelle Sparherd, das heißt eine gemauerte Feuerstelle mit gußeiserner Platte, geschlossener Feuerung und Backrohr; daneben befindet sich das „Schiff“, die Wanne mit stets heißem Wasser.
Sauschädel als Zehent
Das Mittagessen fällt am Schlachttag aus, dafür ist keine Zeit, außerdem brauchen die Menschen den Appetit für den Abend. Doch um eine Nachmittagsjause kommt die Bäuerin nicht umhin. Wer sich hier Kaffee und Gugelhupf vorstellt, liegt falsch. Die Frau des Hauses stellt das sogenannte Pfandlfleisch auf den Tisch, darunter versteht man das am Rücken des Schweines angewachsene Fleisch, den sogenannten Fisch, dazu reicht man das Herz des Tieres.
Das Schicksal des Saukopfes variiert von Dorf zu Dorf. Dort, wo es noch eine Obrigkeit in Gestalt eines adeligen Grundherrn gibt, erhält der Herr Graf den Sauschädel als symbolischen Zehent. Meist schneidet sich der hohe Herr nur ein Gustostückerl wie zum Beispiel eine Scheibe vom Goderlspeck herunter und schickt den Rest samt ein paar Liter Wein mit Dank zurück. Mancherorts kriegt der Pfarrer den Sauschädel, die Köchin serviert Hochwürden dann das schmackhafte Kopffleisch mit Kren, das übrige verarbeitet sie zur Haussulz. Anderswo wiederum versuchen die Burschen des Dorfes, den Schädel zu stehlen; wenn das Unterfangen gelingt, muß sie der Bauer zum abendlichen Mahl einladen. Gewinner am Schlachttag sind jedenfalls die Buben, sie erhalten die Saublase und basteln daraus einen Fußball. Nicht zu vergessen die Katzen, die sich mit dem Gekröse davonmachen.
Gesegneten Appetit!
Am Abend dieses turbulenten Tages biegt sich der Tisch. Vor allem unterm Schweinsbraten mit knusprigen Schwarteln, den Stelzen und Blunzen, all das harrt seit dem späten Nachmittag im Backrohr der hungrigen Menschen. Dann der Augenblick, auf den alle warten: Nach dem Tischgebet wünscht der Bauer seinen Helfern einen gesegneten Appetit und bittet, auch dem Haustrunk tüchtig zuzusprechen. Was sich keiner zweimal sagen läßt…
