Buch des Monats

Cornelius von der Mühlen

Um es gleich zu Anfang zu sagen: Es ist keine leichte Kost! Auf 700 Seiten beschreibt der Kärntner Autor die Geschichte eines Historikers in Wien, der sich zur Aufgabe gesetzt hat, die unzähligen Schicksale der brutalen Vertreibungen von Volksdeutschen 1945 zu sammeln und zu dokumentieren. Verwoben wird das mit einer kleinen Romanze sowie der Situation von Volksgruppenorganisationen und der diesbezüglichen öffentlichen Meinung in Österreich.

Denn viele Jahrzehnte lang wurde das Thema Vertreibung nur mit spitzen Fingern behandelt, da es nicht ins zeitgeistige Gut-Böse-Schema der Medien paßte: Zwar trat z.B. die Bundesrepublik Deutschland bereits 1954 der „Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes“ bei, das Völkerstrafgesetzbuch exi­stiert allerdings erst seit 2002.
Die Handlung des Romans betrifft, wie aus dem Zusammenhang erkennbar wird, die Zeit der späten 1980er-Jahre, da häufiger die 1992 aufgelöste CSSR erwähnt wird, welche die brutalen ethnischen Säuberungen aufgrund der Beneš-Dekrete als „Folge der deutschen Besetzung“ simplifizierte. Dieses Narrativ hat sich leider auch bis heute bei vielen „linksdrehenden“ Politikern und Publizisten gehalten.

Die Protagonisten des Romans, allen voran der von der Sudetendeutschen Landsmannschaft angestellte Historiker Greinlinger, führen die Leser einfühlsam durch die tragische Geschichte der Sudetendeutschen, Donauschwaben, Deutsch-Untersteirer und Siebenbürger Sachsen. Der Autor schafft es, die Brutalität, die Entrechtung und das schmerzhafte Gefühl des Heimatverlustes fast hautnah erlebbar zu machen. Dabei überzeugt er nicht nur durch seine erzählerische Sensibilität, sondern auch durch eine detaillierte Recherche, die die historischen Fakten mit emotionaler Tiefe verbindet.

Besonders hervorzuheben ist die realitätsnahe Darstellung der Erinnerungsarbeit für die deutschen Heimatvertriebenen in der Nachkriegszeit. Peter Wassertheurer beleuchtet die Schwierigkeiten und den politischen Druck, denen diese Generation bei der Bewältigung ihres Traumas ausgesetzt war. Diese Thematik wird durch die Augen von Greinlinger auf eine beeindruckende Weise vermittelt, sodaß der Leser nicht nur mit den Opfern mitfühlt, sondern auch die Herausforderungen der Erinnerungskultur in der selbstgerechten, politisch korrekten Gegenwart nachvollziehen kann. Heute aber braucht mich die Heimat sollte daher nicht nur von Geschichtsinteressierten, sondern auch von einem breiten Publikum gelesen werden, um die Erinnerung an diese dunkle Periode lebendig zu halten – insbesondere von Kindern, Enkeln und Urenkeln all jener, die einst ihre Heimat im deutschen Osten hatten. Sie können so ihre Wurzeln besser kennenlernen.

Gleichzeitig stellt diese Form der Literatur die größte Herausforderung bei der Bewertung des Werkes dar: Der historisch Vorgebildete kennt die tatsächlichen Schilderungen dieser Verbrechen – so kommt z.B. das Massaker von Postelberg ausführlich im Roman vor – und benötigt die Fiktionalisierung eigentlich nicht. Unbedarfte oder Außenstehende wiederum könnten in dieser literarischen Form eine Verfälschung oder ein Ideologisieren sehen, was dem aller Ehren werten Anliegen des Autors natürlich zuwiderlaufen würde.

Während eine diesbezügliche Bewertung also offen bleiben muß, kann man insgesamt den Roman nicht nur als literarisches Werk, sondern auch als wichtiges Zeugnis für die Aufarbeitung der Geschichte und die Auseinandersetzung mit den Schrecken von Krieg, Vertreibung und Heimatverlust sehen. Namen, Orte, Regionen und Ereignisse, welche für die Erlebnisgeneration lebenslange Wunden bedeuteten, werden wieder in Erinnerung gerufen – so der Brünner Todesmarsch oder das Massaker von Aussig: Der Roman gibt die Brutalität, die Entrechtung, aber vor allem das Gefühl des Heimatverlustes hautnah wieder.

Bleibt also die Hoffnung – wieder einmal auf die Jugend gerichtet –, daß diese sich an das opus magnum heranwagt und dadurch Dinge erfahren möge, die auf diese Weise mit Sicherheit nicht im Schulunterricht behandelt werden. Aber vielleicht finden sich doch mutige Lehrer, die es wagen, sich gemeinsam mit ihren Schülern und diesem Werk der Vergangenheit des eigenen Volkes zu stellen – wünschenswert wäre es allemal!

Peter Wassertheurer
Heute aber braucht mich die Heimat. Greinlingers Todesmärsche durchs Sudetenland.
DS-Verlag 2022, 700 S., geb., € 27,90

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