Bosnigl
Der von vielen Menschen angestrebte Promi-Status hat auch seine Schattenseiten. Hier soll weniger von Unannehmlichkeiten wie der Belästigung durch Autogrammjäger (Schreiben’S bitt’schön: Für Frau Mitzi Wawerl) die Rede sein, sondern von einer todernsten Angelegenheit.
Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Promi, sind immer wieder in den ORF-Seitenblicken zu sehen und erhalten eines schönen Tages einen Anruf. Die Bitte des Journalisten klingt unverfänglich: Man wolle ein ausführliches Gespräch mit ihnen führen. Ein wenig gebauchpinselt sagen Sie zu. Der Reporter ist dann überaus höflich, nimmt sich Zeit für dieses und jenes. Bloß ist danach im Periodikum von alledem nichts zu lesen. Jetzt beginnt es Ihnen zu dämmern: Der Zeitungsfritze hat Stoff für meinen Nachruf gesammelt!
Einer, der sich mit solchen verdeckten Recherchen einen Namen macht, ist ein gewisser Alden Whitman, Leiter der Nekrolog-Redaktion eines Blattes in Neu-York. Für ihn ist das Nachrufeschreiben die Krönung der Laufbahn in der schreibenden Zunft.
Eine erstklassige Zeitung hat stets eine Unmenge von Nachrufen im Stehsatz, die Länge richtet sich nach der Bedeutung des Dahingeschiedenen. Eines ist freilich unter keinen Umständen möglich: das Lesen seines eigenen Nachrufes. Prominente, die mit Nachdruck und, so wird gemunkelt, ein paar Scheinchen ihre Neugier stillen wollen, sind bisher immer abgeblitzt. Bloß Whitman gönnt sich dieses Privileg: Als er die Augen schließt, erscheint ein Nachruf auf ihn. Vom Meister höchstselbst formuliert, mutmaßen die Kollegen.
Ab und zu wird, um dem Fortschritt der Technik Genüge zu tun, das Nachruf-Interview mit der Kamera begleitet und die Aufnahme gleich nach dem Tod ins Netz gestellt. Zum Beispiel beim Humoristen Art Buchwald. Der begibt sich eines schönen Tages in ein Sterbehospiz, weil nach Meinung der Ärzte sein Ableben unmittelbar bevorstehe. Falscher Alarm, wie sich herausstellt. Der vermeintlich Todgeweihte kehrt nach einem halben Jahr in sein Haus zurück, läßt aber zur Sicherheit seinen Abschied auf Video anfertigen. Am Beginn wird er seinem Ruf als Spaßvogel mehr als gerecht, wenn er meint: „Hi, ich bin Art Buchwald, und ich bin gerade gestorben…“
Erinnern Sie sich noch an den Preisträger des Jahres 2012 für Zivilcourage? Es handelt sich um eine Dame: Petra Seibert, Leiterin des Sankt Nikola Gymnasiums in Passau. Die Frau Direktorin traut sich was. Sie untersagt nämlich ihren Schülern das schnoddrig-flapsige Hallo – neben dem dümmlichen Halloween, den blauen Hosen und dem Kaugummi einer der zweifelhaften Importe aus Amerika, die uns auf das Primitivniveau jenseits des Atlantiks hinunterziehen wollen – sowie das preußische Tschüß, vor allem gegenüber den Lehrern. In Bayern sei es Brauch, Grüß Gott und Auf Wiedersehen zu sagen, meinetwegen auch Guten Tag.
Grund für die Maßnahme ist es, der herrschenden laissez-faire-Pädagogik entgegenzutreten. Eine derartige Erziehung wird von den 68ern gezielt gefördert, um damit die Gesellschaft zu zersetzen. Der Jugend müsse, so Seibert ganz altmodisch, mehr Respekt vor Autoritätspersonen vermittelt werden. Die Grundbegriffe der Höflichkeit, das Wissen, wie man seinen Mitmenschen gegenübertritt, ein Mindestmaß an Selbstdisziplin, all das gehöre zur kulturellen Grundausstattung.
Dies wirke sich auch im weiteren Leben vorteilhaft aus, etwa dann, wenn sich der Schulabgänger um eine Arbeitsstelle bewerbe. Manch‘ Personalchef treffe nämlich schon nach der vermeintlich freundlichen Begrüßung mit einem Hallo seine Entscheidung. Der Stellenwerber werde davon brieflich verständigt… Die Endstation lautet nicht selten: Hartz IV. Ob der Langzeitarbeitslose seine in der sozialen Hängematte dahindösenden Kumpane mit einem Hallo erfreuen kann, sei dahingestellt.
Wie nicht anders zu erwarten, ist im 12er-Jahr und auch danach der Großteil der Hauptstrommedien mit einer Mischung aus Hohn und Mitleid über Frau Seibert hergefallen. Politisch korrekte Heuchler, ausgestattet mit absolutem Gehör für‘s Graswachsen, sahen bereits einen neuen Faschismus heraufdämmern. Doch die schweigende Mehrheit in Deutschland steht hinter der akkuraten Schuldirektorin. Endlich ist da jemand, der sagt, was Sache ist. Auch an dieser Stelle sei Frau Seibert – spät, aber umso herzlicher! – gedankt.
Also ganz unter uns: Als Wiener hat man es schwer, sich über eine Lenin-Statue im deutschen Gelsenkirchen (allein der Name der Stadt läßt es als wenig ratsam erscheinen, dort im Sommer auch nur einen Abend im Freien zu verweilen) zu echauffieren. Ist doch mitten in Wien, in der Schönbrunner Schloßstraße, an der Fassade des Hauses Numero 30 eine Stalin-Gedenktafel angebracht. In jenem Haus hielt sich Josef Stalin anno 1913 ein paar Wochen auf.
Grund genug für die KPÖ, im Jahre 1949 eine Tafel anzubringen – durch den damaligen roten Bürgermeister Theodor Körner.
Später, als Stalin in Rußland nicht mehr en vogue war, bitten sowjetische Politiker (Nikita Chruschtschow, Edward Schewardnadse) darum, die Tafel zu entfernen. Was Österreich unter Berufung auf den Staatsvertrag von Wien (1955) ablehnt. Ätsch!
Wenden wir uns nun Gelsenkirchen zu. Dort möchte das politische Kleinstlebewesen MLPD (Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands) dem Arbeiterführer Wladimir Iljitsch Lenin posthum einen Gefallen tun und eine leicht überlebensgroße Statue (2,15 m) aus Gußeisen auf öffentlichem Grund – direkt vor der Parteizentrale – aufstellen.
Lenin ist Vorbild für das, was die Marxisten-Leninisten vorhaben: Die Arbeiterklasse muß nach dem Sturz der Diktatur des internationalen Finanzkapitals und der Eroberung der Staatsmacht … die Diktatur des Proletariats errichten. Na bravo!
Die Stadtverwaltung ist gegen die Statue, weil damit der Blick auf ein denkmalgeschütztes Sparkassengebäude verstellt würde. Das Argument zieht nicht, die Stadtväter blitzen deswegen vor Gericht ab, daraufhin jubelt die „Parteivorsitzende“, die sich Gabi Fechtner schreibt.
Vielleicht zu früh, denn der SPD-Oberbürgermeister Frank Baranowski geht, bockig wie er ist, in die nächste Instanz. Andererseits: Aus gewöhnlich gut informierten Justizkreisen ist zu hören, der Richter des Berufungssenats wolle sich keine Scherereien einhandeln und sei folglich geneigt, der Frontfrau der Marxisten-Leninisten recht zu geben. Quasi nach dem Motto „Für Gabi tu ich alles“.
Es gibt einen Zusammenhang zwischen Lebenserwartung und Stockwerkslage der Wohnung. Die Bewohner der oberen Stockwerke leben im Schnitt länger als ihre Nachbarn im Parterre. Wer hoch oben wohnt, hat meist nicht nur die bessere Aussicht als der Nachbar weiter unten, er kann diese auch länger genießen. Das fanden vor einiger Zeit Forscher an der Uni Bern heraus.
Menschen, die in einer Erdgeschoßwohnung leben (ganz zu schweigen von jenen Unglücklichen, die im Souterrain hausen, wo die Fensterunterkante sich in einer Ebene mit dem Gehsteig befindet), haben ein um 22 Prozent höheres Risiko, an Lungenkrebs zu sterben als diejenigen, die im achten Stockwerk logieren. Naheliegend: Selbst der Feinstaub gehorcht den Gesetzen der Schwerkraft. Schon ein Blick auf die nach unten hin stärker verrußten Hauswände bei Straßenkreuzungen bringt diesen Befund ans Tageslicht. Tja, eine derart einfache Erklärung können die Forscher natürlich nicht gelten lassen, denn die Sozialwissenschaft sucht immer und überall nach sogenannten kontra-intuitiven Ergebnissen, also nach solchen, die dem Hausverstand widersprechen.
Das gesunde Empfinden des einfachen Bürgers ist sozusagen der natürliche Feind des Soziologen.
Die Schlußfolgerung der Berner Forscher geht vielmehr dahin, daß höhernorts die betuchten Zeitgenossen wohnen.
Sapperlot! Otto Normalverbraucher hätte doch glatt vermutet, Millionäre, schrullig wie sie sind, würden eher in Kellerwohnungen residieren, während das Sozialamt seine Klientel in zugigen Dachappartements unterbringt, wo es im Sommer kaum auszuhalten, dafür aber im Winter bitterkalt ist.
Doch wer hoch hinauf will, kann tief fallen. Laut unseren Forschern verüben Bewohner höherer Stockwerke vermehrt Selbstmord durch Hinunterspringen. Und zwar rund zweieinhalbmal so oft wie Lebensmüde, deren Wohnung sich auf Straßenniveau befindet.
Bei letzterer ist diese Methode der Selbstentleibung ja ein wenig unpraktisch. Die Berner Soziologen haben, gewissenhaft wie sie eben sind, noch eines herausgefunden: Lebensmüde Parterrebewohner bevorzugen das Erhängen.
Wie sagten schon unsere Großväter? Wenn alle Strick‘ reißen, häng‘ ich mich auf.
Scio, nescio. So weiß ich zum Beispiel nicht, wie ich diese Satire beginnen soll, damit Sie atemlos weiterlesen. Freilich, der Einstieg mit einem lateinischen Zitat macht sich ganz gut, deutet auf eine humanistische Ader des Schreibers hin, welcher sich (wie im vorliegenden Fall) redlich bemüht, einen Artikel zu verfassen, der in seiner eloquenten und kurzweilig geschriebenen Art ohne weiteres als Essay durchgehen könnte.
In der Sache selbst haben wir es diesmal mit einer sperrigen Materie zu tun, die in der Sprache der Typographen Halbgeviertstrich heißt. Der Durchschnittsbürger sagt dazu salopp Gedankenstrich. Wobei dieser bitte nicht mit dem Bindestrich verwechselt werden möge, das wäre ein Fehler, der jeden Schulmeist- er an den Rand des Schlaganfalls brächte.
Weil diese Kolumne sich nicht nur den Ruf erworben hat, mit Reaktionären jeglicher Couleur unter einer Decke zu stecken, sondern auch den Zeitgeist strikt zu verneinen, kann ich nicht umhin, den Halbgeviertstrich anzuklagen:
J’accuse!, um Emile Zola hier ins Spiel zu bringen. Denn der Gedankenstrich, der wie weiland die Kessler-Zwillinge stets im Doppel auftritt, zerstört in letzter Zeit den Lese- und Gedankenfluß bei der Lektüre von Texten aller Art. Krethi samt plethi glauben, damit ihren schlichten Ausführungen eine besondere Note geben zu müssen. Anstatt wie bisher einfach Beistriche zu setzen oder Klammern zu machen, werden pausenlos Parenthesen eingeschoben und zwischen den beiden Gedankenstrichen mehr oder minder triviale Auslassungen getätigt. Vor dreißig Jahren beklagte Hans Weigel die zunehmende Verhausmeisterung der deutschen Sprache. Dabei konnte der gute Mann noch keinen Tau vom Binnen-I oder gar von der gender-sensiblen Schreibweise (mit Unterstrich, z.B. Idiot_in) haben. Erlauben Sie, geneigter Leser, daß ich jetzt meine Satire in gedanklicher Höchstform zur Vollendung peitsche und dekretiere: Soll die Parenthese den Esprit des Schreibers widerspiegeln, dann möge sie als geistreiche Zwischenbemerkung höchst sparsam verwendet werden!
Dies ist die Geschichte des Sigismund S., eines Tirolers, der in Vorarlberg lebt. Eines Tages entdeckt er ein Graffiti: „Wozu Tierversuche? Es gibt doch Tiroler!“ Sigi rastet aus. Der Amtsarzt verfrachtet ihn in die Valduna. Für alle, die zwar nicht hinter dem Mond, aber doch hinter dem Arlberg zu Hause sind: Die Valduna ist eine psychiatrische Anstalt.
Der aus Innsbruck gebürtige Sigi S. ist ein Durchschnittstyp. Ein Gamsbart bedeckt notdürftig sein schon etwas schlaffes Kinn. Am Hinterkopf hält ein Gummiring das schüttere, zu einem Pferdeschwanz gebundene Haar zusammen. Der Beschäftigungslose lebt von der Mindestsicherung, verköstigt sich nur mit Fleisch und Alkohol. Denn er, der Antifaschist, wolle sich vom Abstinenzler und Vegetarier Adolf Hitler abgrenzen. In der Valduna kommt Sigi in ein Mehrbettzimmer, dann in den Isolierraum. Grund: Aus Protest gegen die zwangsweise Abnahme eines noch halbvollen Fünfliter-Kanisters Inländer-Rum organisiert Sigi in der ersten Nacht eine Aktion, die er „Bettnässen gegen Rechts“ nennt und der sich die Zimmergenossen freudig anschließen.
Der Patient bekommt bald Besuch von einem Bezirksrichter, der festzustellen hat, ob die Anhaltung rechtmäßig sei. Sigi S. ersucht um Veröffentlichung des Protokolls.
„Herr Rat, ich bin ein Opfer der Gesellschaft, werde ständig verspottet. Unlängst protestiere ich im Gasthaus gegen das Zigeuner-Kotelett auf der Speis’karte, fordere ein Ende der Diskriminierung. Was macht der Wirt? Er meint mit höhnischem Grinsen: Soll ich es vielleicht auf Roma- und Sinti-Braten ändern? Dann wachelt er mit dem Ochsenziemer, erteilt mir Lokalverbot. Oder: Vor Jahren schicke ich einen Brief an den ORF, der im Landesstudio Steiermark einen Mann beschäftigt, der sich Neger schreibt. Mein Vorschlag, dem Armen eine Namensänderung zu bezahlen, ist bis heute nicht beantwortet worden.“
Ende gut, alles gut: Unser Patient darf die Valduna verlassen. Im Gerichtsbeschluß heißt es sinngemäß, Sigismund S. habe völlig normale Ansichten.