Entsatzschlacht von Wien 1683, Frans Geffels
Wikimedia Commons, Badisches Landesmuseum

Besuch aus dem Orient

von Albert von Pethö

Über farbenprächtiges Kriegsgeschehen, geschickte Personalpolitik und über Vergleiche

Es gab Zeiten, da Europas Staaten noch nicht im Dienste fremder Interessen von jenseits des Atlantiks ferngesteuert wurden, da unser Kontinent noch aus eigenständig handelnden Mächten bestand, selbstbewußt eigenen Zielen folgend. Freilich waren auch damals nicht alle Phasen unserer Geschichte ohne Probleme. Immer wieder wurden solche etwa durch Besucher aus dem Osten bzw. Orient hervorgerufen – von „Gefahr aus dem Orient“ zu schreiben, würde vom hiesigen „Verfassungsschutz“ wohl nicht goutiert werden – als da waren: Hunnen, Awaren, Magyaren, Mongolen.

1683 – „Friede dem, der gehorcht“

Und so war es auch im lieblichen Jahr 1683, als sich die zu heiterem Festgelage gekommenen Streiter unter dem türkischen Halbmond vor die damals bereits mit starken Basteien ausgebaute Stadtmauer Wiens lagerten. Man gedachte wohl, sich hier häuslich niederzulassen. Das Angebot, das des Sultans Großwesir und Feldherr Kara Mustafa nach seiner prachtvoll gestalteten Ankunft durch einen seiner Delibaschis der Stadt unterbreiten ließ, versprach im Falle der sofortigen Übergabe Schonung und gute Behandlung von Bevölkerung und Garnison, im Fall von Widerstand aber das Gemetzel – „so werden wir euch erstürmen und alles, vom Kleinsten bis zum Größten, über die Klinge springen lassen (…). Friede dem, der gehorcht“. So also die nach allen Regeln mohammedanischer Etikette ergangene Kapitulationsaufforderung, die übrigens keiner Antwort gewürdigt wurde. Die wenig höfliche Abweisung hatte Wiens Kaiserlicher Stadtkommandant zu verantworten, Feldzeugmeister Ernst-Rüdiger Graf Starhemberg. Wien sei damals nur durch ganz unwahrscheinliches Glück der Inbesitznahme durch die Türken entgangen, wie heutzutage gerne kolportiert wird. Die derzeit tonangebende politische Kaste möchte ja frühere Siege kleingeredet und das alte Österreich schlechtgemacht sehen. Es gilt, unvorteilhafte Vergleiche mit der Vergangenheit zu vermeiden. Vermutlich aber hätte Glück alleine kaum geholfen, wäre Starhemberg nicht überdies ein brillanter Militär und unnachgiebiger Charakter gewesen. Auch wurden von ihm auf den Festungsmauern Wiens rechtzeitig viele Kanonen plaziert.

Die Türken waren hierorts bereits früh unangenehm aufgefallen.

Nach der Schlacht auf dem Amselfeld konnten sie sich in weiten Bereichen des Balkans festsetzen; 1453 war dann auch noch das Christliche Konstantinopel, letzter Rest des Byzantinischen Reiches, von ihnen erobert worden. Ab dieser zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts sind Türkeneinfälle auf Habsburgisches Gebiet historisch gut belegt. Zunächst ein Vorstoß bis Laibach; dann verheeren sie die Untersteiermark; 1473 sind weite Teile Kärntens betroffen; dann nahezu in Jahresabfolge schwere Einbrüche in Krain und wieder der Steiermark und wieder Kärnten und wieder der Steiermark bis in den Salzburgischen Lungau. Es entfaltet sich üppig das heitere Spiel von Raub, Verheerung, Mord, Versklavung; letztere gerne schon in Gestalt der „Knabenlese“. Kaiser Maximilian I. richtet dann erste Ansätze einer dauerhaften Türkenabwehr ein, eine kleine Vorwegnahme der späteren Militärgrenze.

Intensiver „bewaffneter Dialog“

Mit Regierungsantritt von Sultan Suleiman dem Prächtigen, bedauerlicher Weise äußerst befähigt und lange regierend, intensiviert sich der bewaffnete Dialog mit den Türken. 1526 vernichten sie in der Schlacht von Mohács die Streitkräfte Ungarns; König Ludwig und ein erheblicher Teil seines Adels fallen; Zehntausende gehen in die Sklaverei; ein Großteil des Landes darf sich dann etwa eineinhalb Jahrhunderte lang türkischer Herrschaft erfreuen. Allerdings sind mittlerweile die Habsburger zur Weltmacht aufgestiegen, weshalb sie sich zunächst die nordwestlichen Teile ihres Ungarischen Erbes sichern können, und weswegen der Türken prächtiger Sultan dann auch 1529 überrascht feststellen muß, daß die geplante Einnahme von Wien trotz großen Aufwandes nicht gelingen wolle. Rund 150 Jahre später versucht man es dann nochmals.

Kaiser im Jahr 1683 ist Leopold I. (1640–1658–1705), einer der Habsburger mit besonders ausgeprägter Unterlippe. Ihm wird tiefe Frömmigkeit, hoher Kunstsinn und große Entschlußlosigkeit nachgesagt; letzteres könnte man vielleicht auch als bedachtsame Vorsicht interpretieren. Was momentan eher aus dem Blick geraten sein dürfte, ist Leopolds ausgezeichnete Hand bei der Auswahl des Personals. Nicht nur Starhembergs Berufung ist Leopolds Entscheidung, ebenso auch die Betrauung des Herzogs Karl von Lothringen mit dem Kommando über die Kaiserlichen bewaffneten Kräfte; und nicht zu vergessen auch die Aufnahme des Prinzen Eugen von Savoyen als Habsburgischer Offizier. Eugen ist jener kleine und häßliche Mann, der sich schon bald, und zur geringen Freude von Türken und Franzosen, als der bedeutendste militärische Kopf seiner Zeit und als einer ihrer bedeutendsten Staatsmänner erweisen wird. Die Brustharnische Starhembergs wie Eugens sind im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien zu sehen.

Mit dem Kreuz in der Hand ins Kampfgetümmel

Unter der fanatischen Geistlichkeit, die Leopold I. umgibt, ist der Kapuzinermönch Marco d’Aviano für das Geschehen von 1683 einigermaßen von Bedeutung. Er ist nicht nur fanatisch und wundertätig und als vertrauter Berater des Kaisers hoch angesehen, sondern auch ein guter Diplomat. Als solcher hat er nach dem endlich abgeschlossenen Versammeln der Entsatzarmee aus weiten Teilen Mitteleuropas seinen Anteil am Zustandekommen einer erfolgversprechenden Koalitionskriegsführung. Und er begleitet diese recht uneinheitlich gefügten Entsatzstreitkräfte als Päpstlicher Legat und nach Zelebration der Feldmesse auf dem Kahlenberg dann auch mit dem Kreuz in der Hand in das Kampfgeschehen. Das ist nicht so unwahrscheinlich, wie das angesichts eines häufig modernistisch-windelweich-maingestreamten Klerus’ heutzutage aussieht; Habsburgische Feldkapläne haben so etwas immer wieder gemacht. Das Grab Marco d’Avianos finden wir in der Kapuzinerkirche in Wien.

Wir wollen, ungeachtet aktueller Denkvorgaben, an der welthistorischen Bedeutung der am 12. September 1683 ausgefochtenen Entsatzschlacht vor Wien festhalten.

Der Dank für den errungenen Sieg gilt vorzugsweise dem Gegenstück zu Starhemberg, dem militärisch ebenfalls ausgesprochen talentierten Karl von Lothringen, der als Kaiserlicher Befehlshaber mit sicherem Blick die Grunddispositionen des Feldzuges entwirft, überdies alle anderen Kommandeure auf diese Dispositionen festzulegen versteht und der dann bescheiden zur Seite tritt, als der sehr selbstbewußte König Jan III. Sobieski von Polen als der Ranghöhere den nominellen Oberbefehl übernimmt. Aber der Sieg von 1683 hat viele Väter. Auch Sobieski, nicht zu Unrecht selbstbewußt, ist sehr zu danken; er bewerkstelligt es, seine Truppen über große Distanz rechtzeitig bis vor Wien zu führen und sie dann taktisch gekonnt zum Einsatz zu bringen, darunter die vermutlich beste Kavallerie im damaligen Europa, schwere Panzerreiter mit langen Lanzen und mit Flügeldekoration am Rücken. Die Polnische Reiterei trägt wesentlich zum Zusammenbruch der türkischen Linien bei. Das rote Wien verweigert, so hört man, die Aufstellung eines aus Spenden schon finanzierten Reiterdenkmals für den Polenkönig am Kahlenberg. Auch Papst Innozenz XI. (1611–1676–1689) soll erwähnt sein, glaubensstark und kein politischer Naivling. Er sieht klar die Bedrohung Europas durch das Osmanische Reich und dessen immer wieder aufflammende Expansionspolitik und leitet schon früh Gegenmaßnahmen ein, worunter dann auch die Förderung der Bündnisvereinbarungen zwischen dem Kaiser und dem Polenkönig fällt. Der Papst, an sich überaus sparsam, wird dieses Bündnis mit erheblichen Summen unterstützen. Anläßlich des Sieges vor Wien erklärt Innozenz den 12. September zum Marienfeiertag.

Denkt man an heutige Verhältnisse, ist man erstaunt über die außerordentliche Kompetenz, Courage und Standfestigkeit der damaligen Verantwortlichen.

Die Schlacht beginnt in der Früh am linken Flügel mit dem Vorrücken Kaiserlicher und Sächsischer Truppen gegen Nußdorf; nach harten Kämpfen wird der Feind gegen Heiligenstadt zurückgedrängt. Es folgt, die Abhänge vom Leopolds- und Kahlenberg hinunter durch die Weingärten, das ganze Zentrum des Heeres, Richtung Sievering, von Artillerie unterstützt. Allmählich treten auch die Polnischen Kontingente, die einen schwierigen Aufmarsch am rechten Flügel zu bewältigen haben, von Neuwaldegg her in den Kampf. Ein großer türkischer Gegenangriff scheitert. Am späten Nachmittag durchbrechen schließlich die Polnischen Reiter das Zentrum der gegnerischen Linien, die Türken beginnen, während letzte Versuche der Abwehr scheitern, mit der Flucht vom Schlachtfeld.

Es sei noch angemerkt, daß Kaiser Leopold nicht nur wirklich fromm, sondern auch – war ein Entschluß einmal gefaßt – wirklich beharrlich sein konnte; auch das trug durchaus dazu bei, Wien aus ungünstiger Lage zu befreien. Denkt man an heutige Verhältnisse, ist man erstaunt über die außerordentliche Kompetenz, Courage und Standfe­stigkeit der damaligen Verantwortlichen; gewiß auf beiden Seiten. Vergleiche, man merkt es immer wieder, sind sehr erhellend, auch wenn gewisse Zirkel sie gerne als „unkorrekt“ verbieten würden.

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