Zeitgeistige Zwerge vermögen den Meister nicht zu vereinnahmen
Zum 250. Geburtstag des wahrscheinlich größten Tondichters aller Zeiten huldigte man Ludwig van Beethoven (1770-1827) zeitgemäß: nicht mit heißem Herzen, nicht demütig, nicht in überströmender Dankbarkeit, sondern als „Megastar“, als „Weltbürger“ als „deutschen Migranten“.
Ein Kommentar von Dr. Reinhard Starkl
Eine politisch instrumentalisierte Huldigung also, die man den Verantwortlichen jedoch nicht übelnehmen darf. Denn wie anders sollte sich die Gegenwart einem Giganten innerlich anzunähern versuchen, der alle Maßstäbe des gegenwärtigen Seelenlebens sprengt, sie invertiert oder belächelt. Wie sollten Zwerge dem Riesen eine Krone aufs majestätische Haupt drücken, wenn sie es nicht zu sich herabziehen dürfen?
„Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ waren Worte, die den jungen Beethoven begeisterten. Aber seine wunderbare „Eroica“ hat er später nicht den Parlamentariern (genauer: den Mitgliedern des Konvents) gewidmet, sondern (zunächst ) dem Eroberer Napoleon, dem Maßlosen, dem großen Neuerer und Herrenmenschen.
Archaische Schöpferkraft
Beethoven kennt keine maßgeschneiderte Gleichheit. Seine Musik ist die lebendige Antithese zum Christentum mit all seinen säkularisierten Fassungen. Wo in den stürmenden Passagen der Pathetique, der Mondscheinsonate, der Appassionata lebt geduckte Demut, Angstfrömmigkeit? Wo in den glühenden Klangfarben seiner Symphonien lebt die allein seligmachende asketische Dürftigkeit des Priesters? Wo das bequeme Eintauchen in die breitmäulige Geschwätzigkeit des Pöbels?
Elitärer Individualismus
All diese Ingredienzien unserer Zeit fehlen vollkommen in Beethovens Werk. Ganz im Gegenteil: Jede Zeile Beethovenscher Musik ist individuell elitär. Sie ist Ausdruck der Überhebung nicht nur über andere Menschen, sondern auch über das Schicksal – ja, über die Götter hinaus. Und wenn der Meister in seiner 9. Symphonie Schillers „Ode an die Freude“ vertont, dann sieht er im Satz „alle Menschen werden Brüder“ nicht etwa die durch Kastrierung der Begabten hervorgerufene Angleichung an den Pöbel – im Einklang mit dem heutigen Gleichheitsbegriff –, sondern vielmehr die Aufhebung der Knechtung der Begabung durch privilegierte Nullen. Soviel zum Mißverständnis der Gegenwart.
Kühne Rhythmik und farbige Instrumentierung
Da sich Beethovens Werk in diesem Rahmen nicht einmal skizzenhaft würdigen läßt, möchte ich auf eine gedrängte Darstellung verzichten und nur einige spezielle Besonderheiten kurz herausheben: Zunächst gehört er zu den emotionalsten Komponisten. Hier wird er nur selten von einem der nachfolgenden Romantiker erreicht oder übertroffen (wie etwa von Tschaikowsky und Wagner). Daneben schwelgt Beethoven in Naturbildern leuchtender Schönheit, seine Instrumentierung ist farbig, die Rhythmik kühn. Nie stellt er die Form oder den Effekt über die musikalische Aussage (wie beispielweise Liszt), jede glänzend virtuose Passage besitzt gleichzeitig einen hohen musikalischen Gehalt.
Technisch und musikalisch gleichermaßen anspruchsvoll
Das wird vor allem bei den Klavierkonzerten deutlich. Sie sind technisch und musikalisch gleichermaßen anspruchsvoll und höchst effektvoll. Die alles auf die Spitze treibende nachfolgende Romantik kann sie nicht übertrumpfen, weder musikalisch noch im Hinblick auf den virtuosen Glanz. (Man vergleiche beispielweise die beiden Klavierkonzerte der Tastenlöwen Chopin und Liszt mit den Beethoven-Konzerten in c-moll und Es-Dur.) Die Universalität Beethovenscher Kunst ist bedrückend übermenschlich. Niemand schrieb je großartigere, tiefere Symphonien als er. Niemand schrieb je eine der „Mondscheinsonate“ oder der „Appassionata“ gleichkommende Klaviersonate. Niemand schrieb je so mitreißende Klavierkonzerte, niemand brachte je ein besseres Violinkonzert zu Papier. Alleine bei Oper und Kammermusik kann man anderer Ansicht sein.
Unvergleichliche Meisterschaft
Diese Meisterschaft wird noch unbegreiflicher, wenn man bedenkt, daß Beethoven das Komponieren nicht so leicht fiel wie z.B. Mozart. Während der Letztgenannte seine Kompositionen in kürzester Zeit aufs Papier warf, vollkommen bereits beim ersten Niederschreiben und später keine Note mehr änderte, quälte sich Beethoven mit einem Werk oft über viele Jahre hinweg. Er änderte und änderte, verwarf und setzte neu an, ähnlich wie der sagenhafte Schmied Wieland sein Meisterschwert Mimung immer wieder zerfeilte und neu erschuf. Ein verzehrender Prozeß, der eine künstlerische Redlichkeit verdeutlicht, die heute bizarr erscheint. Beethoven verdient die Liebe der besten Deutschen, denn er hat ihr Seelenleben dominant mitgestaltet.
