von Ronald F. Schwarzer, Impresario, Waldgänger & Partisan der Schönheit
Kaum irgendetwas stimmt so traurig wie ungeliebte, abgelegte Kinder. Niemand mag sie, keiner schaut sie an, und niemand mag ihren Wert erkennen. Gerade so ergeht es der kaiserlichen Hofjagd- und Rüstkammer. Männlich wehrhafter Waffenschmuck und Militär ganz generell sind aus der Mode gekommen. Nichts Schönes, Heldisches darf dabei empfunden werden, und jedes Minimum an mannhafter Haltung muß ausgemerzt werden. Daß man der Polizei ihre Tellerkappen durch schlampige Baseballmützen ersetzt hat, steht dafür nur pars pro toto. Das Heeresgeschichtliche Museum ist ins Gerede gekommen, weil man dort – horribile dictu – Waffen ausstellt; und die Hofjagd- und Rüstkammer kommt nicht einmal mehr ins Gerede. Das beginnt schon damit, daß man sie in der Hofburg kaum findet. Kein Schild am Heldenplatz weist einem den Weg, nach umständlichem Herumfragen schickt man mich zum Weltmuseum, das einmal als Völkerkundemuseum österreichischen Forschergeist in wilden Landen nebst Dokumentation der jeweiligen Eingeborenen zeigte und heute im Betroffenheitskult virtuell auf den Knien rutscht. Im dortigen weitläufigen „Shop“ erfahre ich, daß ich in der Säulenhalle links mit dem Lift in den ersten Stock zu fahren habe, freilich nicht, ohne dafür ein Eintrittsbillet zu lösen.
Allein in dämmrigen Weiten
Die Ausgabe lohnt sich, denn ich habe nun die weitläufigen Räume ganz für mich alleine, durch die nur gelegentlich ein paar verschlafene Wärter tapsen. Verschlafen sein ist bei dem milden Dämmerlicht freilich keine Kunst, verhaltene Lichtführung taucht Räumen, und Vitrinen ins Nebulose, und als weiteres Attribut moderner Museumspräsentation finden sich die obligaten Objektbeschreibungen in kleiner Schrift hellgrau auf dunkelgrau. Daß der Besucher hier die bestdokumentierte und erlesenste höfische Rüstkammer der Abendländischen Welt vor sich hat, bleibt unbemerkt. Drei Corpora habsburgischer Sammlungen wurden im 19. Jahrhundert zusammengeführt. Alles beginnt mit der „Kaiserlichen Leibrüstkammer“, in der seit 1436 Ausrüstungsgegenstände – vor allem Harnische und Prunkwaffen des Herrschergeschlechtes und seines Gefolges – dokumentiert und verwahrt wurden. In der „Hofjagdkammer“ sammelten die Kaiser Jagd- und Sportwaffen.
Die bedeutendsten Zimelien freilich stammen aus der Collection Ferdinands von Tirol, der seine diplomatischen Verbindungen dazu nutzte, die Rüstungen der größten Kriegshelden seiner Zeit an sich zu ziehen. So kam zum Beispiel auch der Prunkharnisch Heinrichs III., König von Frankreich (1551 – 1589) in seinen Besitz, der den Habsburgern auf Grund ihrer Hilfe bei seiner nächtlichen Flucht aus Krakau im Finale seines Abenteuers als König von Polen verbunden war. Ferdinand von Tirol ist es auch, dem die Hofjagd- und Rüstkammer doch gelegentliche Besucher verdankt. Die sind dann Albaner, die sich in Orantenhaltung vor der Vitrine mit Schwert und Helm des größten ihrer Helden einfinden, des Türkenbezwingers Skanderbeg, die der Tiroler Fürst für seine Sammlung der Waffen der „125 viri illustri“ ergattern konnte. Inwieweit der Helm mit aufgesetztem Steinbock- oder Ziegenkopf im Schlachtgetümmel hilfreich war, vermag ich mir nicht vorzustellen.
Aber darauf kommt es bei Prunkrüstungen ohnedies nicht an. So bestellte der glückliche Großpapa Maximilian anno 1512 in der feinsten Innsbrucker Hofplattnerei bei Konrad Seusenhofer für sein zwölfjähriges Enkerl Karl einen Knaben-Faltenrockharnisch, der in Stahl textile niederländische Herrenbekleidung imitiert, zu der eben auch ein Faltenrock gehörte. Die Anschaffung war notwendig geworden, denn der kleine Karli war aus einem zuvor bestellten Kostümharnisch so schnell herausgewachsen, daß dieser gar nicht erst fertiggestellt wurde. Ein Faltenrockharnisch kann freilich noch weit extravaganter ausfallen, wie man an dem in Norddeutschland nach Innsbrucker Vorbild hergestellten Harnisch des Albrecht von Brandenburg sehen kann, der, ehemals Hochmeister des deutschen Ritterordens, der zölibatären Existenz überdrüssig bei seiner Hochzeit mit Dorothea von Dänemark 1526 zu recht auftrumpfen wollte. Von Kaiser Karl V zeigt die Sammlung freilich auch eine dezentere Rüstung und seine berühmte Löwensturmhaube, gefertigt in Mailand um 1541 mit seinem Wahlspruch „Plus Ultra“, die so unglücklich präsentiert ist, daß man sie tatsächlich kaum betrachten kann. Der Einfallsreichtum und die Extravaganz der Hofplattner läßt jedenfalls jeden noch so exzentrischen heutigen Designer alt aussehen.
Rüstung für den Geldritter von heute
Der freundliche Herr, den mir das Museum dankenswerterweise als Begleitung zur Verfügung stellte, hat gänzlich gar keine Ahnung, wie viele Rüstungen denn insgesamt die Sammlung berge und wie viele zur Schau gestellt seien. Gewiß, ich muß wieder kommen und eine Taschenlampe mitnehmen! Gerne hätte ich mich in die Sammlung eingelesen. Doch da sie praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit gehalten werden soll, findet sich im „Shop“ natürlich auch kein Führer durch die Sammlung, dafür aber ein Band mit zeitgeistigem Geschwafel des Modehistorikers Noah Harari. Dennoch gelingt es mir, Geld auszugeben. In der Sammlung fiel mir besonders der einzigartig farbig gestaltete Halbharnisch des Fürsten Nikolaus IV. Radziwill, Großmarschall von Litauen auf. Von dem gibt’s freilich keine Replik, dafür aber eine höchst geschmackvolle Krawatte im Dekor des Panzers: gleichsam die Rüstung für den Geldritter von heute.