von Christoph Bathelt
Als der Komantschenkrieger En Da von einer weißen Frau angesprochen wurde, konnte er kaum glauben, daß es sich um seine lange tot geglaubte Mutter handele: So sehr hatte sich Hermann Lehmann in die Lebenswelt der amerikanischen Ureinwohner eingefunden, seit er als zehnjähriger Junge 1870 von der elterlichen Farm in Texas von Mescalero-Apachen geraubt wurde, bei ihnen aufwuchs und von ihnen adoptiert wurde. Sein indianischer Name En Da bedeutete „weißer Junge“; mit einem weiteren entführten Knaben namens Adolph Korn konnte er sich auf Deutsch unterhalten. Im Laufe der Zeit akzeptierten ihn die Ureinwohner als einen der ihren; der Farmerjunge gewöhnte sich vollständig an das Leben in der Wildnis und wurde zu einem geschickten Krieger und Bisonjäger.
Hermann Lehmann – Deutscher, Apache und Komantsche
Aufgrund einer Stammesfehde schloß er sich sechs Jahre später den Komantschen an und durfte sich eine Familie aussuchen, die ihn aufnahm und ihm den Namen Montechena gab. Als sich die Gruppe 1877 nach den verlorenen Indianerkriegen in einem Reservat in der Nähe von Fort Sill, Oklahoma, niederließ, sprach sich die Existenz des „weißen Indianers“ herum – bis zu Lehmanns Mutter, die nie die Hoffnung aufgegeben hatte, ihren Sohn wiederzusehen. Sie traf auf Adolph Korn, der ihr von seinem ehemaligen Mitgefangenen erzählte, und nahm Kontakt zum Kommandanten von Fort Sill auf, der ihr eine Beschreibung von „Montechena“ gab.
Die folgende Begegnung am 12. Mai 1878 war nicht einfach: „Montechena“, dem die Indianer erzählt hatten, daß seine Familie ermordet worden sei, konnte sich weder auf Deutsch noch auf Englisch verständigen, und seine Mutter erkannte ihn nicht wieder. Nur aufgrund einer Narbe konnte sie ihn identifizieren.
Lehmann gewöhnte sich nur schwer wieder an das Leben in der „Zivilisation“. Es widerstrebte ihm, in einem Bett zu schlafen, immer wieder legte er Stammeskleidung an. Eine erste Ehe scheiterte, mit seiner zweiten Frau bekam er fünf Kinder und lebte mit ihr im „Indian Territory“, wo er als „Komantsche“ von der amerikanischen Regierung ein Stück Land erhalten hatte. 1926 zog er auf die Farm seines Bruders Willie nach Texas, wo er 1932 starb. Seine Autobiographie Neun Jahre bei den Indianern war ein großer Erfolg und gibt detaillierte Einblicke in das harte Leben der Ureinwohner, ihre Sitten und Gebräuche, Ernährung, Religion und Vorstellung von der Natur.
Johannes „Powder Face“ Hüttner – Indianerhäuptling in der DDR
„Weiße Indianer“ gab es auch ganz woanders, unter völlig anderen Umständen: bei den „Indianisten“ in der DDR. Als kleine freiheitliche Nische im sozialistischen Einheitsstaat erfreuten sie sich großer Beliebtheit.
Während die Kommunisten anfangs Karl May als „übel-sten literarischen Giftmischer“ und „Wegbereiter faschistischer Gesinnung“ bezeichneten, gelang es den Anhängern der indianischen Lebensweise, die „um ihr Überleben kämpfenden Indianer im Gesamtkomplex des antiimperialistischen Befreiungskampfes“ darzustellen. 1956 wurde in Radebeul die erste offizielle „FDJ Kulturgruppe für Indianistik Hiawatha“ registriert; ihr Leiter Johannes „Powder Face“ Hüttner wurde der erste Häuptling in der DDR. Jede Ortsgruppe mußte einen Antrag auf Zulassung beim Ministerium für Kultur, Sektor Volkskunst, stellen. Auch für den Bezug von Fellen und Pelzen für die liebevoll und detailliert gestaltete Kleidung sowie für Zelte mußte um Freigabescheine beim Rat des jeweiligen Kreises ersucht werden, und für die Abhaltung der Lager war eine Genehmigung der Polizei notwendig. Die Stasi beobachtete die Treffen mißtrauisch: „Bei den Indianerfreunden handelt es sich um eine übernational gesteuerte Vereinigung, über die sozialismusfeindliches Schriftgut eingeschleust wird“.
Das tat der Begeisterung der Indianisten allerdings keinen Abbruch: In ihrer Blütezeit existierten an rund sechzig Orten Indianergruppen, die sich bei Veranstaltungen mit bis zu tausend Teilnehmern trafen. Nach den westdeutschen Erfolgen der Winnetou-Streifen produzierte man auch in der DDR Indianerfilme; der Serbe Gojko Mitić wurde zum größten Filmstar des Landes. Cowboys waren in diesen Filmen die „Bösen“ und galten als Vertreter der Imperialisten; ihre Anhänger hatten es deutlich schwerer. Aber auch hierfür fand sich eine Lösung: Sie kamen als „Kulturgruppen zur Brauchtumspflege des amerikanischen Landproletariats“ zusammen.