von Reinhild Bauer
Es ist wieder soweit. Viele stolze Gartenzwergbesitzer sind in ihren Wintervorbereitungen mit der schweren Aufgabe betraut, auch ihre Zwerge witterungsgeschützt zu verstauen. Die lustigen roten Zipfelmützen verschwinden aus den liebevoll gepflegten Gärten, was die langsam trister werdende Natur noch eine Nuance düsterer macht.
Obwohl Gartenzwerge keine rein deutsche Erscheinung, sondern in ganz Europa zu finden sind, haben sie weltweit den Ruf, typisch für uns zu sein. Wie kam es dazu, und warum hat unser Volk tatsächlich eine starke Verbindung zu Zwergen?
Die deutsche Sagen- und Märchenwelt kennt einen ganzen Reigen von namhaften Zwergengestalten, und auch in der germanischen Mythologie sind sie unentbehrlich – als übernatürliche Wesen mit enormen Kräften. Sie sind als kunstreiche Goldschmiede, Bewacher unterirdischer Schätze und in der Herstellung von Zauberwaffen tätig. Und nebenbei schreibt der Mythos ihnen noch besondere Weisheit und übermenschliches Wissen zu.
Aus der Antike und dem alten Rom ist bekannt, daß Figuren kleinwüchsiger Menschen als Bewacher in Gärten oder vor Haustüren gestellt wurden. In der ägyptischen Götterwelt gibt es den Zwerg „Bes“, der böse Dämonen vertreiben kann. Bereits von diesen ersten Zwergen weiß man, daß sie als Bergleute dargestellt wurden. Die rote Zipfelmütze geht auf die Bergbaumützen der Phryger in der heutigen Türkei zurück, die als Schutz vor Steinen einen ausgepolsterten Zipfel hatte, der mit der Signalfarbe Rot eingefärbt war.
Herrscher im Altertum begannen, sich kleinwüchsige Menschen als Hofnarren anzustellen, zum Zeitvertreib und um böse Mächte fernzuhalten. Diese Tradition setzte sich fort bis ins barocke Deutschland, und die Darstellung dieser Zwerge durch Maler und Bildhauer führte zu der Mode, Zwerge in Gärten aufzustellen. Bereits um 1500 tauchten die ersten Sandsteinzwerge bei uns auf, die als Vorläufer der Barockzwerge gelten. Zur Zeit des Barocks war es ein Statussymbol, sich im Schloßpark einen Zwergengarten einzurichten. Der älteste noch erhaltene dieser Gärten ist im Park des Schlosses Mirabell in Salzburg zu finden, wo 28 barocke Marmorzwerge standhaft den Jahrhunderten trotzen.
In den Thüringer Terrakottawerken begann die erste Massenproduktion der Gartenzwerge und machte sie mit diesem billigen Material für das Bürgertum zugänglich. Bis dahin waren Zwerge Luxusgüter und wohlhabenderen Leuten bzw. dem Adel vorbehalten. Diese wurden als Sonderaufträge in namhaften Porzellanmanufakturen in Meißen und Wien hergestellt. Einige wenige ließen ihre Gartenbewohner auch von Steinmetzen aus Marmor anfertigen.
Bis heute stammen die irdenen Zwerge aus dem Bundesland Thüringen, seit 1874 allerdings aus der Gartenzwergfabrik Griebel in Gräfenroda, von wo aus sie schnell den Siegeszug in die (klein-)bürgerlichen Vorgärten starteten. Deutschland und seine Kleingärten wären heute ohne Gartenzwerge – schätzungsweise 25 Millionen – nicht denkbar. Diese Tradition, seinen Garten zu schmücken, erfreut sich heute einer Beliebtheit, die dem Familienbetrieb in Gräfenroda – bereits in vierter Generation – zu Erfolg verhilft. Auch die Plastikgartenzwerge, die mittlerweile aus China angeschwemmt werden, können mit den traditionellen handbemalten Tonzwergen nicht konkurrieren.
In den 1990er-Jahren schließlich wurde die Figur des Gartenzwerges für politische Wahlkämpfe, Werbezwecke und Satireprojekte mißbraucht. Als Reaktion darauf gründete sich schließlich die Internationale Vereinigung zum Schutz der Gartenzwerge, und Zwergenwissenschaftler gründeten die Disziplin der Nanologie, welche sich auf wissenschaftlicher Ebene mit den kleinen Zipfelmützenkerlen befaßt. Als bekanntestes ironisches Kunstprojekt wiederum gilt die „Front zur Befreiung des Gartenzwerges“, deren Anhänger die Zwerge aus den Gärten stahlen und im Wald aussetzten. Und die weltweit größte Sammlung von Gartenzwergen besitzt Familie Eidenhammer aus Oberösterreich, die Haus und Hof mit 4.443 Zwergen bevölkert.