Der getreue Eckart

Wo in den Untiefen der deutschen Geschichte liegen die Ursprünge der Figur des Eckarts, die bis heute als Figuration der Treue gilt?

von Julian Bauer

Die heute wohl bekannteste literarische Verarbeitung der Eckartgestalt bildet die Ballade Der getreue Eckart, die Johann Wolfgang von Goethe auf seiner Reise nach Teplitz im Jahre 1813 verfaßte, also relativ spät. Entgegen der verbreiteten Behauptung, daß das achtstrophige Gedicht Goethes eigentlich gar nichts mit dem Eckartmotiv zu tun habe – so wie es durch den großen Romantiker Ludwig Tieck in seiner Erzählung Der getreue Eckart und der Tannhäuser (1799) überliefert worden sei – muß eingewandt werden, daß Goethes Ballade wahrscheinlich gar nicht auf Tiecks romantischen Text rekurriert, sondern in Wirklichkeit auf einer Thüringer Sage beruht – also viel älteren Ursprungs ist. Auf dem Weg nach Teplitz reisten Goethe und sein Sekretär John nämlich durch das sächsische Eckartsberg; daraufhin dürfte der Sekretär eine „Geisterlegende“ erzählt haben, die Goethe in einem Brief an seinen Sohn als „Thüringerwaldmärchen“ bezeichnete. Diesen Sagenstoff hat Goethe wohl noch auf der Reise in die uns heute bekannte unheimliche Balladenform gegossen.

Nie versiegende Bierkrüge als überaus deutscher Lohn

Wie der Wortlaut der Erzählung des Sekretärs gelautet haben könnte, wissen wir nicht, aber diese dürfte der Sage Frau Holla und der treue Eckart, wie wir sie bei den Brüdern Grimm finden, wohl recht nahe sein. Sie handelt vom Dorf Schwarza in Thüringen, wo Frau Holle („Holla“) mit einem Geisterheer vorbeizieht; an der Spitze dieses Haufens geht der „treue Eckart“, um die Leute im Dorf zu warnen und vor Schaden zu bewahren. In der Dorfschenke hatten indes gerade ein paar Bauernjungen Bier geholt, das sie in Kannen nach Hause bringen wollten. Auf ihrem Heimweg können sich die überraschten Knaben vor dem unheimlichen Heer gerade noch in eine Gasse flüchten, doch Gespensterfrau-en („unterschiedene Weiber“) trinken aus ihren Kannen. Da kommt der treue Eckart und spricht zu ihnen, daß sie, indem sie still geblieben seien, richtig gehandelt hätten, denn sonst wären sie gestorben; und wenn sie niemandem etwas davon sagten, würden ihre Kannen niemals leer werden. Das geht einige Tage lang gut, doch es kommt wie es kommen muß: Die Bauernjungen können den Mund nicht halten und er-zählen ihren Eltern von der geisterhaften Begegnung – dar-aufhin versiegen die magischen Bierkrüge.

Bezüge auf  kelto-germanische Motive

Beinahe überflüssig zu erwähnen, daß die Geistersage über das Dorf Schwarza voller uralter Archetypen steckt, die bis in germanische Zeit zurückreichen; unzweifelhaft sehen wir in Hollas Geisterrotte die kelto-germanisch eingefärbte „wilde Jagd“ Wotans/Odins, die, meist in den Rauhnächten, über den Himmel zieht. Auch das Heer Odins kündigt Unglück, Kriege oder Seuchen an; Augenzeugen des heulenden und johlenden Geisterheeres sollen in manchen Überlieferungen gar mit dem Tod bestraft werden. Bei Goethe wird die Gestalt des Eckarts als Warner zum mahnenden und womöglich pädophilen Onkel umgedeutet; eine gänzlich unnötige Psychologisierung, die sicherlich nicht erst heutige Leser befremden dürfte. Die Bedeutungstiefe, welche die Sage mit ihren uralten Inhalten ohnehin besitzt, wurde dadurch jedenfalls nicht verstärkt.

Wir kennen die Geisterlegende aus Thüringen heutzutage aus den Sagen der Gebrüder Grimm, aber weder Goethe noch Tieck bezogen sich auf diese Sammlung, die erst 1816 erschien. Ludwig Tieck – einer der damals noch wenigen Kenner mittelalterlicher Literatur – bediente sich für seine zweiteilige Erzählung Der getreue Eckart und der Tannhäuser für den Eckartteil motivisch aus dem Nibelungenlied, wo der „burgundische“ König aus Verunsicherung seinen treuen Gefährten ermorden läßt, aber auch an Vorlagen, die selbst den Grimms nicht bekannt waren. Denn diese nennen im Kommentar Johannes Praetorius als Quelle – der manische Leipziger Märchensammler aus dem 17. Jh. war überhaupt die Hauptquelle der Brüder Grimm –, und dieser wiederum dürfte sich höchstwahrscheinlich auf Jörg Wickram, den ersten deutschen Romanautor mit eigenen erdachten Stoffen und sein Fastnachtsspiel Der trew Eckart von 1532 bezogen haben. Tatsächlich stammte Wickram aus dem Elsaß; Tieck nennt seinen feigen Herzog „Burgund“.

In welcher Weise oder welcher Überlieferung wir auch vom Eckart hören oder lesen, er tritt stets – im gefährlichen Gebirge oder als Vorhut eines Geisterheeres – als der Warner und Mahner vor drohendem Unheil auf. Und wir sind stolz darauf, daß unsere Zeitschrift genau dieser Aufgabe seit nunmehr 70 Jahren nachkommt.

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