Kalendarium Kandili (7)
von Mario Kandil
Das nahende 20. Jubiläum der Einführung des Euro am 1. Jänner 2002 nehmen die Betreiber dieses Projekts zum Anlaß, die einheitliche europäische Währung als Erfolgsgeschichte zu bejubeln. Von den Schattenseiten ist in all den Lobeshymnen freilich kaum die Rede.
Die Idee einer einheitlichen europäischen Währung, die den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) durch die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Marktes erleichtern sollte, wurde bereits 1970 im „Werner-Plan“ konkretisiert. Nach Einrichtung des Europäischen Währungssystems (EWS) mit der europäischen Währungseinheit ECU 1979 dauerte es bis zum „Delors-Bericht“ von 1988, bis das Euro-Projekt richtig ins Rollen kam. Im Rahmen der von der BRD erstrebten Wiedervereinigung verknüpfte der damalige französische Staatspräsident François Mitterand die Zustimmung Frankreichs zur Wiedervereinigung mit dem Ja des seinerzeitigen deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl zum Euro. Kohl stimmte ohne vorherige Konsultation des Bundesbankpräsidenten Hans Tietmeyer zu, und so kam es zu jenen drei Schritten, mit denen die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, an deren Ende der Euro stehen sollte, in die Tat umgesetzt wurde.
Hinsichtlich des Vertrags von Maastricht vom 7. Februar 1992, der die juristischen Grundlagen für die weitere Umsetzung schuf, schrieb im Pariser „Figaro“ dessen Chefredakteur Franz-Olivier Giesbert am 18. September 1992 in seinem Leitartikel den bekannten Satz „Maastricht, das ist der Versailler Vertrag ohne Krieg.“ 1919 gab es in Frankreich das Wort, der Deutsche werde alles bezahlen (franz.: „Le boche payera tout“). 1992 war diese Denkungsart immer noch in Mode, und bis in die Gegenwart hinein sollen die Deutschen von ihren europäischen „Freunden“ immer noch gezwungen werden, im Namen Europas und des Euro unzählige Milliarden zu verbrennen, damit andere Mitgliedsstaaten einen Dummen zur Hand haben, der ihre Schulden bezahlt.
Dabei sollte doch die Wirtschafts- und Währungsunion laut den Verträgen von Maastricht 1992 und Lissabon 2009 niemals eine Schulden- und Transferunion sein. Diese Bestimmung wurde jedoch in Anbetracht der griechischen Finanzkrise 2009/10 von den zentralistischen Eurokraten dreist abgeschafft, und so braucht sich niemand über die gegenwärtigen Zustände zu wundern. Von der damaligen Verheißung, der Euro würde „stark wie die Mark“ werden, blieb, wie sich immer deutlicher herausstellt, jedenfalls wenig übrig.
Über den Autor:
Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.