Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Ulf Geppert
Inschrift an einem Haus in Oberbergern in der Wachau/Niederösterreich

Zur Sperrstund’ läuft das Deutschlandlied

von Ludwig Bogdan

Erinnerungen eines Zeitzeugen

1941 in einer christlich-sozialen Familie geboren wuchs ich in einem Dorf in der Nähe von Wien auf. 1945 hatte die Rote Armee für kurze Zeit in unserem Ort Station gemacht und uns nach heutiger Sprachregelung „befreit“. Eine Frau aus dem Ort wurde erschossen, ein sehr anständiger kommunistischer Ortsbewohner zum Bürgermeister gemacht. Vergewaltigungen mögen vorgekommen sein, aber davon wurde uns Kindern nichts berichtet. Ein paar verstreute Wehrmachtssoldaten wurden gefangen und auf einem Acker außerhalb des Ortes erschossen. Die Russen hatten ihnen erlaubt, meiner Mutter ihre Namen und Adressen in Norddeutschland mitzuteilen, damit sie die Angehörigen benachrichtigen könne.

Als Volksschüler, aber auch später ist mir eine kulturelle Loslösung aus einer gesamtdeutschen, nicht nationalsozialistischen Kohäsion kaum wahrnehmbar gewesen. Der Begriff „Befreiung“ ist jedenfalls in der Bevölkerung nicht vorgekommen und wäre höchstens mit Heiterkeit quittiert worden. Die üblichen Bezeichnungen waren „Umbruch“ für den Anschluß und „Zusammenbruch“ für das Kriegsende 1945 – Begriffe ohne wesentliche emotionale Aufladung und von Menschen jeder politischen Couleur gebraucht. Die Bewohner der heutigen Bundesrepublik waren die „Reichsdeutschen“ aus dem „Reich“ so wie auch vor 1938, die zahlreichen, meist nur durchziehenden Flüchtlinge waren „Volksdeutsche“.

Zufällige Beobachtungen aus dem Alltag mögen doch auch kennzeichnende Stimmungen wiedergeben. Als 1966 die Bundesrepublik Deutschland bei der Fußballweltmeisterschaft England im Endspiel durch ein bestenfalls fragwürdiges Gegentor unterlag, traf ich auf einige männliche Ortsbewohner, die das Wirtshaus aufsuchten, da es „zu Hause nicht auszuhalten ist, weil die Weiber dort flennen“.

„Hier ist Deutschland, Sie Würstchen!“

Als Studenten besuchten wir oft das Café Glacis in der Nähe der Universität, wo auch Beamte vom Minoritenplatz einkehrten. Ein soignierter, gebildeter alter Herr, der dort gerne dem Wein zusprach und oft das „Altreich“ pries, beschied einem Beamten, der ihn aufforderte, doch nach Deutschland zu gehen, wenn es ihm dort so gefalle: „Hier ist Deutschland, Sie Würstchen!“

Das sind Miszellen, die systematisch vielleicht nichts beweisen, aber doch zeigen, daß die kulturell sezessionistische öffentliche Arbeit, die vor allem auch von der Presse betrieben wurde, nicht leicht Erfolg hatte, was auch mit dem Niveau zusammenhängen mag: Hugo Portisch schrieb in den späten Sechzigerjahren, daß die österreichischen Skierfolge Katalysatoren der Nationswerdung seien.

„Nach Deutschland exportieren mir nix, da führ ma’s nur ausse“

Noch aus den frühen Siebzigerjahren berichtete mir ein Studienfreund aus seiner heimatlichen Bezirksstadt in Ober­österreich: Im Kaffeehaus der Stadt erklang zur Sperrstunde stets das Deutschlandlied aus der Musikbox, intoniert von einer Blaskapelle, worauf sich alle Anwesenden erhoben, gleich welcher politischer Gesinnung. Oder: Im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit nahm ich an einem Betriebsbesuch einer Linzer Maschinenfabrik teil. Der Prokurist der Firma wurde zu den Exportmärkten befragt, insbesondere, ob man auch viel nach Deutschland exportiere: „Nach Deutschland exportieren mir nix, da führ ma’s nur ausse“, war die vielsagende Antwort.

Beitrag teilen

Facebook
X
Email
Telegram
Print
WhatsApp