Kalendarium Kandili (6)
von Mario Kandil
Er polarisierte und tut dies bis heute, und besonders für viele Deutsche aus den Ostgebieten ist er weiter ein rotes Ruch: der am 18. Dezember 1913 in Lübeck als Herbert Ernst Karl Frahm geborene Willy Brandt. Die Linke hingegen verklärte ihn schon zu seinen Lebzeiten als „Lichtgestalt“ und Aushängeschild eines „besseren“ Deutschlands.
Daß Willy Brandt – so hatte ursprünglich nur sein Kampfname gelautet – nach der Emigration nach Norwegen dort gegen sein Heimatland agierte, blieb für viele national gesinnte Deutsche stets Verrat. Dieser wurde ihm immer wieder vorgehalten, als er nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nach Deutschland zurückgekehrt und bei der Berliner SPD in die Politik eingestiegen war. Daß Brandt als Informant des US-Militärgeheimdienstes CIC tätig war, ebnete ihm nicht gerade unwesentlich den Weg ins Amt des regierenden Bürgermeisters von West-Berlin. Als solcher aber erwarb sich Brandt im Abwehrkampf gegen den Sowjetkommunismus rasch den Ruf eines „kalten Kriegers“.
Brandt hatte aber bundespolitische Ambitionen und trat 1961 und 1965 als Kanzlerkandidat der SPD an. Doch er scheiterte, und auch 1969 schaffte er es nur deshalb ins Bundeskanzleramt, weil die FDP sich auf die Seite der SPD schlug. Mit dem Vorsatz – von dem in unseren Tagen nicht nur bei den „Sozis“ kaum noch etwas übriggeblieben ist –, „mehr Demokratie wagen“ zu wollen, stellte Brandts sozial-liberale Koalition den westdeutschen Teilstaat vielfach auf den Kopf und schuf wesentliche Grundlagen für die Zustände in der heutigen Berliner Republik.
Mit seiner und Walter Scheels „Neuer Ostpolitik“ gab Brandt die deutschen Ostgebiete auf, ohne für diesen Verzicht etwas Konkretes einzuhandeln – alle Versuche, dies zu beschönigen, können nicht darüber hinwegtäuschen. Die Verleihung des Friedensnobelpreises an Brandt 1971 stieß denn auch in der BRD auf teils heftige Kritik. 1974 trat er dann wegen der Guillaume-Affäre als Kanzler zurück.
Danach machte Brandt seinem Amtsnachfolger Helmut Schmidt das Leben schwer und betätigte sich verstärkt außerhalb der BRD als Präsident der Sozialistischen Internationale. Immer stärker rückte er politisch wieder nach links, wo er einst begonnen hatte. Nach einer Krebserkrankung gesundheitlich rasch abbauend starb Willy Brandt im Alter von 78 Jahren am 8. Oktober 1992 im rheinischen Unkel.
Über den Autor:
Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.