Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Nachlaß Wilhelm Franke, Privatbesitz Wien

Wilhelm Frankes ukrainisches Tagebuch

von Christoph Fackelmann

„Uralte Bilder des Krieges …“

Als der Schriftsteller Wilhelm Franke im Herbst 1942 zur Wehrmacht eingezogen und auf den ukrainischen Kriegsschauplatz abkommandiert wird, ist er kein Unbekannter mehr. Zwar führte er im bürgerlichen Leben das verborgene Dasein eines Dorfschullehrers im Norden des niederösterreichischen Waldviertels. Aber er trat bereits während der Dreißigerjahre mit drei bedeutsamen Sammlungen seiner lyrischen Kunst an die Öffentlichkeit. Ein weiterer Lyrikband liegt abgeschlossen vor, angesehene Zeitschriften und Anthologien haben begonnen, sich seiner Werke anzunehmen, ein großer Verlag hat sich ihm aufgetan.

Der 1901 geborene, 1979 verstorbene Dichter ist das, was man einen modernen Regionalisten nennen kann: Er weiß sich durch die Schule Rilkes, der Expressionisten und vor allem Georg Trakls gegangen, knüpft aber das ihm daraus erwachsene Kunstwollen aufs engste an die Erfahrung der eigentümlichen Landschaft, in die ihn das Schicksal gestellt hat: „Ohne dich, Land, wie wär’ ich ein Bettler in Wüsten von Worten / wesenlos, tödlich verirrt.“ In Wien aufgewachsen, die Eltern sudetendeutscher Abstammung, ist er zunächst durchaus kein eingeschworener Gegner des Feldzugs gegen die Sowjetunion, noch nicht einmal des neuen Regimes. Als er in den Krieg zieht, kämpft er schon länger mit tiefen Selbstzweifeln. Umso gewaltiger gerät die Erschütterung, die er im Osten erfährt. Die schwere menschliche Prüfung seiner Soldatenjahre bedeutet auch einen Prüfstein für seinen künftigen Weg als Schriftsteller. Nach dem Krieg wird Franke kaum noch neue Lyrik schreiben. Stattdessen rückt das Erzählerische in den Vordergrund, im künstlerischen Anspruch zurückgenommen, thematisch auf die Welt der kleinen Leute begrenzt. „Schließlich haben wir als Soldaten in den Karpathen die größten und schönsten Autobusse in die Klüfte geschmissen, wenn sie nicht weiterkamen“, so erklärt er einmal sarkastisch, weshalb er zu seinen Versen nun „eher die Stellung eines Rabenvaters“ einnehme.

Nachlaß Wilhelm Franke, Privatbesitz Wien

Wegen seines fortgeschrittenen Alters wird Franke nicht an die Front beordert, die gerade bei Stalingrad und Kursk der Katastrophe entgegenschlittert, sondern als Gefreiter einer Wachkompanie eingesetzt. Sie hat Orte und Einrichtungen zu schützen, die für die militärische Infrastruktur wichtig sind. Während des ersten Jahres, bis zum Zusammenbruch der Ukrainefront im Herbst 1943, ist das vor allem die Talsperre Dnjeprostroj mit ihrer Industrieanlage, nahe der alten Mennonitenkolonie Chortitza und der Stadt Saporoshje. Zum Zeitpunkt ihrer Errichtung, 1927–32, war dies das größte und modernste Wasserkraftwerk Europas; seine strategische Bedeutung für den Krieg im Osten liegt auf der Hand. So erlebt Franke hier, aber auch auf dem Rückzug, der seine Einheit in entbehrungsvollen Etappen bis an die mährisch-österreichische Grenze treibt, gleichwohl Situationen, in denen er dem Tod nur mit äußerster Not entrinnt. Er wird auch Zeuge der himmelschreienden Zerrüttung, die diese osteuropäischen Regionen seit der bolschewistischen Revolution erfaßt hält und deren späte Reflexe wir in unseren Tagen erneut gewärtigen. „Gärten des Todes“ nennt Franke sie in Anspielung auf die erhaben schönen Landschaften, in denen sich das Grauen zuträgt. Am Ende der im Folgenden wiedergegebenen Passagen sieht er sich auf die Unheilsworte gestoßen, die Trakl 1914, nach der Schlacht von Grodek und kurz vor seinem Selbstmord, schrieb: „Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.“ Franke widersteht, aber der apokalyptische Untrost, der ihm auf der gegnerischen wie auch auf der eigenen Seite begegnet, wirft ihn in einen elementaren Aufruhr.

Das Tagebuch, das Franke während seines gesamten, knapp dreijährigen Einsatzes führte, blieb unveröffentlicht. Aber es ist bei aller Unfertigkeit nicht ohne poetischen Anspruch geschrieben, kein bloßes Register der Ereignisse. Im Gegenteil, der mitreißende, teils berückende, teils bestürzende Duktus seiner Schilderungen läßt es eigentümlich und ebenbürtig neben andere bedeutende Zeugnisse dieser Art, etwa die Protokolle Jochen Kleppers und Horst Langes, treten. Die wenigen Auszüge, die wir hier mitteilen können, mögen davon einen ersten Eindruck geben.

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