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Wer zum Teufel ist Alexander Hamilton?

Ein Selbstversuch in genetischer Genealogie

von Roman Steiner

Ahnenforschung ist wieder modern. Wie bei vielen Moden aus dem angloamerikanischen Raum gibt es längst entsprechende Fernsehsendungen, wo Prominente ihre Vorfahren ausforschen lassen; und auch Genealogiekurse haben regen Zulauf.
Daneben existieren seit der Jahrtausendwende auch Gentests für jene, die wissen wollen, zu welcher Haplogruppe sie gehörten oder wie groß ihr Neandertaler-Anteil sei. Unzählige Videos zeigen Menschen, die begeistert sind, die DNS amerikanischer Ureinwohner in sich zu tragen – selbst wenn der Anteil noch so gering ist, wie bei der US-Senatorin Elizabeth „Pocahontas“ Warren. Andere, wie eine schwedische Videobloggerin, sind bitter enttäuscht über ihre lediglich „weiße“ DNS ohne exotische Anteile. „Diversity“ ist gefragt und der Widerspruch zum derzeitigen Dogma, wonach alle Menschen gleich seien, offensichtlich. Tatsache ist jedoch, daß man Menschen anhand der DNA geographisch verorten kann – und Ahnenforschung so alt wie die Menschheit ist.

Schon in der Antike wurden gerne berühmte Vorfahren bemüht: Wer seine Legitimation festigen wollte, führte zumindest einen Helden oder gleich einen Gott im Stammbaum.

Ich selbst bin kein sonderlich umtriebiger Genealoge, habe aber von einem einschlägig interessierten Großonkel zumindest für die Vaterseite einige Daten erhalten, die ich ab und an zu erweitern versuche.
Durch die zunehmende Digitalisierung kann man heute seine Vorfahren leicht vom heimischen Schreibtisch aus aufspüren: Zunehmend werden Matriken für Österreich (matricula-online.eu), Schlesien, Südtirol oder die Untersteiermark eingescannt und im Netz zur Verfügung gestellt, ebenso wie Militärakten, Tauf- und Sterbebücher. Ahnenforschung wird dadurch zum Hobby für jedermann – wenn da nicht ein kleines Problem auftauchen würde: Je weiter man zurückgeht, desto seltsamer und für viele unleserlicher wird die Schrift. Hat vielleicht noch die Elterngeneration der „Babyboomer“ Kurrentschrift gelernt, so ist zumindest in meiner Generation deren Kenntnis unter Laien praktisch ausgestorben. Daraus folgt die paradoxe Situation, daß zwar heute zwar bequem die gewünschten Daten im Internet findet, sie aber nicht lesen kann und damit endgültig den Zugang zu seiner Vergangenheit verliert. Aus eigener Erfahrung weiß ich allerdings, daß man Kurrent relativ leicht erlernen kann: Es bedarf wie so oft auch bei diesem schönen Hobby nur einer gewissen Einarbeitung.

Als gelernter Molekularbiologe interessierte ich mich bereits während des Studiums für die damals noch brandneuen Möglichkeiten zur Ahnenforschung.

Die anfänglich für Einzelpersonen unbezahlbaren Instrumente der genetischen Genealogie sind heute für wenig Geld nutzbar.

Mehrere amerikanische Firmen wie „MyHeritage“, „Ancestry“ oder „23andMe“ bieten seit etwa 15 Jahren einfache Gentests an, die laut Werbeversprechen einen leichten Einstieg in die Welt der genetischen Genealogie verheißen. Der Vorgang ist simpel – und vergleichbar mit den uns leider nur zu vertrauten COVID-19-PCR-Tests: Ein Genkit wird im Internet bestellt, die genetische Probe durch das Reiben eines Tupfers an der Mundschleimhaut gewonnen und dann an den jeweiligen Anbieter zurückgeschickt. Die Resultate erhält man innerhalb weniger Wochen: abhängig vom Anbieter mehr oder weniger genaue Angaben, aus welcher Region die eigenen Vorfahren stammen – oder auch, wie bei „MyHeritage“, ob sich in der Datenbank bereits Verwandte befinden. Dieses Unternehmen bietet auch Programme für Stammbäume an; in weiterer Folge kann man sich mit anderen Kunden darüber austauschen. Dies führte in meinen Fall zur Erkenntnis, daß meine Frau und ich im 18. Jhdt. womöglich gemeinsame Vorfahren im Adlergebirge haben.

Etwas ausführlicher sind die Informationen bei „23andMe“. Hier bekommt man neben der erwähnten Ethnizitätszuordnung auch noch maternale und paternale Haplogruppen mitsamt der typisch amerikanischen Erwähnung von berühmten Personen, die derselben Gruppe zugeordnet werden. Bei mir war es Alexander Hamilton, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, den ich aber zugegeben nicht kannte. Weiters wird die Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Augen- bzw. Haarfarbe, Sommersprossen etc. angegeben. Allerdings unterscheidet sich in meinem Fall die Ethnizitätsanalyse zwischen den beiden erwähnten Anbietern erheblich: So bin ich laut „MyHeritage“ zu 33 % Osteuropäer, zu 25 % Skandinavier, zu 25 % Schotte und zu 14 % Balkanbewohner; bei „23andMe“ hingegen zu 62  % Nordwesteuropäer (Österreich, Deutschland), definitiv kein Schotte und zu 30 % Osteuropäer mit dem primären Herkunftsgebiet Böhmen; die Differenz auf 100 % ergeben in beiden Fällen diverse kleine Einsprengsel.

Die abweichenden Analysen ergeben sich durch die unterschiedlichen Datensätze, die verschiedene Anbieter zum Vergleich mit der eingesendeten DNS-Probe heranziehen. Teilweise scheinen die mehrheitlich amerikanischen Firmen auch mit Daten zu arbeiten, die nicht ganz für den europäischen Markt geeignet sind: In den USA ist eine bunte Mischung aus verschiedenen europäischen Ethnizitäten meist erwünscht und wird vermutlich sogar erwartet; uns Deutschen erscheint dies eher befremdlich; es spiegelt vor allem nicht die erwartete, genealogische Realität wieder und bringt deshalb auch so gut wie keinen Erkenntnisgewinn.

Da die meisten dieser Tests im angloamerikanischen Raum verkauft werden, ist die Wahrscheinlichkeit, auf diesem Wege einen verlorenen Zweig der Familiengeschichte zu finden, eher gering. Bei den möglichen Verwandtschaftsverhältnissen handelt es sich meist um Cousins jenseits des 3. Grades oder noch entferntere Verwandte; die Übereinstimmungen sind dann schon so gering, daß es sich dabei ebenso gut um Zufall handeln könnte.

Entscheidendes Problem: Man liefert seine genetischen Daten freiwillig amerikanischen Unternehmen aus.

„23andMe“ etwa befragt seine Kunden regelmäßig über ihren Gesundheitszustand und sichtet die eingeschickte Probe auf 200 genetische Krankheiten. Diese Daten werden anschließend verknüpft und gespeichert. Ein zusätzliches Service für Kunden ist eine genetische Gesundheitsanalyse. Dies wurde dem Unternehmen in den Vereinigten Staaten ob des zweifelhaften Werts zeitweise zwar untersagt, wird aber mittlerweile wieder angeboten.
Sicher ist, daß „23andMe“ die Daten an pharmazeutische Unternehmen weiterverkauft. Als Kunde wäre es zwar möglich, dies zu verhindern, aber die meisten überlesen offenbar das Kleingedruckte und werden dabei auch ein wenig in die Irre geführt durch die Frage, ob man seine Daten der Forschung zu Verfügung stellen wolle. Daß diese Daten fast ausschließlich für die Pharmaforschung genutzt werden, verschweigt der Anbieter; worüber und von wem geforscht wird, erfährt man nicht. Auch Weltkonzerne zeigen Interesse am entsprechenden Datenmaterial, wie eine Verlautbarung von „23andMe“ aus dem Jahr 2020 zeigt, in der eine Kooperation mit „GlaxoSmithKline“ verkündet wird. Das Unternehmen ist mittlerweile börsennotiert, was doch gegen eine rein wissenschaftliche Ausrichtung spricht …

Zusammenfassend ist der Wert von DNS-Tests für das eigene genealogische Steckenpferd derzeit eher fragwürdig. Jedenfalls ein Unding sind solche Tests in Hinblick auf den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre – und eine zweifelhafte Verwandtschaft mit einem Kriegshelden aus dem amerikanischen Bürgerkrieg wiegt diese Bedenken mit Sicherheit nicht auf

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