Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Wikimedia Commons, Albert Anker

„Wem Zeit ist wie Ewigkeit und Ewigkeit wie Zeit, der ist befreit von allem Streit.“

von Magdalena S. Gmehling

Vor 400 Jahren starb der Schuster und Mystiker Jacob Böhme

Es muß etwas Merkwürdiges sein um das Handwerk des Schusters. Wenigstens zwei herausragende Gestalten dieser ehrenwerten Zunft verzeichnet die neuere Geistesgeschichte: Hans Sachs, den Nürnberger Meistersinger, seines Zeichens „Schuhmacher und Poet dazu“ und den „Philosophus teutonicus“, so Hegel, den Görlitzer Mystiker und christlichen Theosophen Jacob Böhme.

Jacob Böhme wurde 1575 in Alt-Seidenberg als viertes Kind eines begüterten Landwirtes geboren und verstarb am 17. November 1624 in Görlitz. Der Vertreter des poetischen Realismus’, Wilhelm Raabe, beschreibt in seinem Roman Der Hungerpastor die göttliche Erleuchtung, welche dem einfachen Schuster in der von Leder- und Pechduft geschwängerten Werkstatt im Anblick eines sonnendurchfluteten Zinngefäßes zuteil wird. Böhme, ein schwächliches Kind, besucht nur die Dorfschule und wird zunächst Hirte. Naturverbunden und auf einsamen Wegen hat er schon als Knabe eine Art Erleuchtungserlebnis. Er erlernt das Schusterhandwerk und erwirbt 1599 das Bürgerrecht in Görlitz. Dort eröffnet er eine „Schuhbank“ auf dem Untermarkt.
Im Jahre 1600 widerfährt dem schlichten lutherischen Christen jene Erleuchtung, die ihn zu dem Bekenntnis veranlaßt: „Der Liebhaber Gottes verstehe uns recht: Wir gehen nicht auf einen historischen, heidnischen Wahn, nur allein auf das Licht der äußeren Natur: Uns scheinen beide Sonnen“ (De signatura rerum, 1622; 10,1) Der ausschließlich autodidaktisch gebildete Handwerker beschwört mit den „beiden Sonnen“ die zweifache Sichtweise der Weltbetrachtung. Er, der Schauende, der durch Erfahrung Erschütterte, kennt und geht den inneren Weg, ist sich aber auch der Außenseite der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeiten bewußt. Nicht durch Studieren und nicht mit fleischlichen Augen betrachtet er die Welt, sondern sieht „den Kreaturen ins Herz“. Entgegen dem naturwissenschaftlichen Rationalismus beschwört Böhme – ganz im Sinne des Paracelsus’ – den Sinn für die Natursprache aller Wesen. Er schaut Gott in allen Dingen.

Jahrelang schwieg der fromme Schuster über seine inneren Erlebnisse. 1612 aber entdeckt sein adeliger Freund, Karl Ender von Sercha, ein handschriftliches Manuskript bei Böhme. Es handelt sich um die später so berühmte Schrift Aurora. Gegen den Willen des Autors kopiert von Sercha den Text, der von nun an in Görlitz zirkuliert. Unglücklicherweise liest auch der engherzige und mißgünstige Pastor Gregor Richter, zu dessen Gemeinde Böhme gehört, eine Kopie. Er beurteilt sie als häretisch und verklagt den bescheidenen Mann beim Stadtrat. Man arretiert Böhme und belegt ihn mit Schreibverbot. Fast sieben Jahre lang hält er sich daran. Er wird, wie er bekennt, „darüber ganz melancholisch“. 1618 beginnt er wieder zu schreiben und dies jetzt in der Sicherheit eines Berufenen. In der kurzen Zeit bis zu seinem frühen Tod 1624 entsteht nun ein Werk nach dem anderen. Insgesamt sind es über 20 Schriften.

Ein Schuster als „Wundererscheinung in der Geschichte der Menschheit“

Als der früh Gealterte und von zermürbenden und gehässigen Streitigkeiten Gebeugte in der Nacht vom 16. auf den 17. November 1624 stirbt, war selbst der Tote noch den Anfeindungen seiner Pfarrgemeinde ausgesetzt. Der aufgehetzte Pöbel besudelte seine Grabstätte auf dem Nikolaifriedhof. Die geistesgeschichtliche Strahlkraft dieses spirituellen Führers jedoch überdauerte die Zeiten. Schelling nannte ihn eine „Wundererscheinung in der Geschichte der Menschheit“, und Ernst Bloch schrieb „dergleichen war seit Heraklit nicht mehr gehört.“

Geprägt durch die Nachwirkungen der Reformation, der Bauernkriege und durch den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges wurde dem Görlitzer Schuster das erstarrte offizielle Luthertum zum Hemmschuh seiner Gottesbeziehung. Er suchte in einer kühnen, oft auch schwer verständlichen Bild- und Gleichnissprache: „Natursinn, Naturgefühl, Sinn für die Natursprache aller Wesen.“ (Lavater).

Hier seien nur vier wesentliche Grundgedanken von Böhmes Theosophie genannt: Der Gedanke der Ubiquität, der Begriff der Qualität, die Bedeutung der Sophia (Weisheit) und der Gedanke der Freiheit als Teilhabe am Göttlichen. Anbetung und harte körperliche Arbeit bildeten die Brennpunkte von Böhmes entbehrungsreichem Handwerkerleben. Diese Bodenhaftung bewahrte ihn vor der Versuchung der Selbstüberschätzung. Alles, was er äußerte, war wahr und inspiriert, was auch in diesem Satz des „Philosophus teutonicus“ zum Ausdruck kommt: „Wenn ich mich selber lese, lese ich in Gottes Buch, und ihr, meine Brüder seid das Alphabet, das ich in mir selber lese.“

Beitrag teilen

Facebook
X
Email
Telegram
Print
WhatsApp