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Vorpommern, häppchenweise

von Philip Hentschel

Redlich und offenherzig, arbeitsam, geduldig, standhaft, klug ohne Hinterlist, kühn, unerschrocken, tapfer, ehrliebend, ohne ehrgeizig zu sein und Feinde aller Neuerungen: Zumindest so beschrieb Ludwig Wilhelm Brüggemann – ein protestantischer Geistlicher und zwischenzeitlich auch Lehrer am Hofe Friedrichs des Großen aus Pommern – seine Landsleute. Seit 1945 ist Pommern geteilt. Der größere Teil liegt heute in Polen. Das bei Deutschland gebliebene Vorpommern lockt mit seinen breiten Sandstränden und romantischen Hafenstädtchen Touristen in den hohen Norden. Allein die Inseln Rügen und Usedom kommen auf etwa zwölf Millionen Übernachtungen im Jahr.

Kaiserbäder

Die Orte Ahlbeck, Bansin und Heringsdorf auf der Insel Usedom sind die sogenannten Kaiserbäder. Sie verdanken diese Bezeichnung Kaiser Wilhelm II., dem wohl berühmtesten Usedom-Touristen. Der letzte deutsche Kaiser liebte das milde Klima der Insel, wo er des öfteren einige Tage verbrachte. Zum gesellschaftlichen Zentrum von Heringsdorf zählte damals die Villa Staudt, wo Kaiser Wilhelm II. regelmäßig mit Elisabeth Staudt, die als ausgesprochen belesen und klug galt, auf der Terrasse Tee trank.

Heeresversuchsanstalt Peenemünde

Nordwestlich der Kaiserbäder und am äußersten Zipfel der Insel Usedom liegt Peenemünde. Hier war ab 1936 die berühmte Heeresversuchsanstalt, in welcher innovative Waffen- und Raketenprojekte entwickelt wurden. Unter der Leitung von Wissenschaftlern wie Wernher von Braun gelang es der Forschungseinrichtung, bedeutende Fortschritte in der Raketenentwicklung zu erzielen. Eines der bemerkenswertesten Projekte war die Entwicklung der V-2-Rakete, die als erste lenkbare Rakete der Welt gilt. Diese technologische Errungenschaft legte den Grundstein für spätere Entwicklungen im Bereich der Raumfahrt und war ein Meilenstein in der Geschichte der Raketentechnologie.

Stettin

Die größte Stadt Pommerns war seit jeher das südlich der Insel Usedom gelegene und heute zu Polen gehörende Stettin. Von hier aus herrschten seit dem Mittelalter die Greifen – die Dynastie der Herzoge von Pommern – über das Land. Ihren Namen verdankten die Greifen ihrem Wappentier, und auch heute noch ziert ein roter Greif das pommersche Wappen. Im schönen Stettiner Schloß befindet sich heute unter anderem ein Konzert- und Theatersaal. Was viele Besucher aber nicht wissen: Früher war dieser Saal die Schloßkirche, und in der Krypta darunter befinden sich nach wie vor die Särge des im Dreißigjährigen Krieg ausgestorbenen Greifengeschlechtes.

Kolberg

Nordöstlich von Stettin liegt die heute ebenfalls polnische Stadt Kolberg. Berühmtheit erlangte die Stadt durch ihren zähen Durchhaltewillen bei einer Belagerung durch französische Truppen im Jahr 1807. Die militärische Bedeutung der erfolgreichen Verteidigung der Stadt war relativ gering. Vielmehr wurde Kolberg zum Symbol des Widerstandes gegen Napoleon. Die Verteidigung von Kolberg wurde im Nationalsozialismus filmisch zum gleichnamigen Durchhaltefilm verarbeitet.

Hubbrücke von Karnin

Früher war es möglich, mit der Bahn von Berlin direkt auf die Insel Usedom zu reisen. Die Bahnlinie führte über den Fluß, der das Stettiner Haff mit dem Peenestrom verbindet. Damit der Strom schiffbar bleiben konnte, wurde 1875 eine Hubbrücke für die Eisenbahn gebaut, damit Schiffe sie unterfahren konnten. Im April 1945 sprengte die Wehrmacht die festen Brückenteile, um der Roten Armee den Vormarsch zu erschweren. Der Mittelteil, die eigentliche Hebevorrichtung, blieb intakt und wurde angehoben. Im Stettiner Haff waren zu dem Zeitpunkt nämlich noch Einheiten der Kriegsmarine, denen man den Weg in die Ostsee nicht versperren wollte. Seitdem gibt es keine direkte Bahnverbindung nach Berlin mehr – die Gleise wurden nach dem Krieg entfernt. Aktuell plant die Deutsche Bahn allerdings, die Strecke wieder aufzubauen. Derweil steht die seit 1945 angehobene Hubbrücke als rostiger Zeuge der Abwehrkämpfe der letzten Kriegstage noch immer im Strom (Bild) – und unter Denkmalschutz.

Ernst Moritz Arndt und Caspar David Friedrich

Ernst Moritz Arndt wurde 1769 in Groß Schoritz auf Rügen geboren. Er zählt zweifellos zu den herausragenden Persönlichkeiten, die durch ihr Wirken dazu beigetragen haben, daß die napoleonische Herrschaft abgeschüttelt werden konnte. Seine Werke fordern dazu auf, die Einheit und Stärke Deutschlands zu bewahren. Dieser Aufruf zur Zusammengehörigkeit und zur Bewahrung der nationalen Identität ist auch heute von hoher Relevanz.
Caspar David Friedrich wurde 1774 in Greifswald geboren und verbrachte einen Großteil seines Lebens in dieser Region. Seine Verbundenheit zur pommerschen Heimat spiegelt sich in vielen seiner Gemälde wider, die die rauhe Schönheit der norddeutschen Landschaft und die Mystik der Ostsee einfangen. Seine Werke sind geprägt von einer tiefen Naturverbundenheit und einem spirituellen Sinn für das Göttliche in der Schöpfung. Die pommersche Landschaft, die er mit großer Sensibilität und Detailtreue festhielt, wurde für Friedrich zu einer Quelle der Inspiration.

Tollatsch

Ein Tollatsch ist eine kloßförmige Blutwurst, die nur in Pommern zu finden ist. Hauptzutaten sind Schweineblut, Mehl und Lebkuchengewürz. Durch die Erzählung Das Wunder des Tollatsch von Hans Fallada hat diese Spezialität Eingang in die Literatur gefunden.

Kultstätte der Neutempler bei Prerow

Im Hinterhof der „Hertesburg“-Herberge nahe Prerow steht ein bemerkenswertes Holzgebäude, das auf den ersten Blick wie ein extravaganter Schuppen wirken mag. Tatsächlich ist dieses Gebäude jedoch weitaus älter als die Herberge selbst und erzählt eine interessante Geschichte. Im Zentrum einer Burganlage des späten 13. Jh. erbaut, diente es als Kultstätte der Neutempler. Die architektonische Struktur dieses Gebäudes fällt sofort ins Auge, mit einem Nurdachhaus-Konzept und einem markanten spitzen Fenster. Im Inneren dominiert eine Spitztonne den Raum, der früher als Versammlungsort, Diskothek und Lager genutzt wurde. Die Neutempler nutzten dieses Gebäude für ihre Aktivitäten, und obwohl die Gruppierung bald aufgelöst wurde, bleibt das Gebäude als kulturelles und historisches Zeugnis erhalten. Es dokumentiert nicht nur die Ideologie und Geschichte dieser Organisation, sondern vermittelt durch seine gut erhaltene Struktur und Gestaltung auch ein lebendiges Bild der Vergangenheit.

Bayreuth-Dragoner

Als die Preußische Armee im Zweiten Schlesischen Krieg die österreichischen und sächsischen Truppen in der Schlacht bei Hohenfriedberg besiegte, hatten die Bayreuth-Dragoner daran entscheidenden Anteil. Ihnen zu Ehren wurde dem bekannten Hohenfriedberger Marsch später der Text „Auf, Ansbach-Dragoner! Auf, Ansbach-Bayreuth! …“ hinzugefügt. Was viele nicht wissen: Die Bayreuth-Dragoner kamen aus dem pommerschen Städtchen Pasewalk. Die Dragoner aus Pasewalk hatten seinerzeit Regimentschefs aus dem Adelshause Bayreuth – daher der Name. Das heute im Nachbardorf Viereck stationierte Panzergrenadierbataillon 411 der Bundeswehr sieht sich in der Tradition des Dragonerregiments aus Pasewalk.

Papenbrand thom Sunde

Der „Papenbrand thom Sunde“, auch bekannt als die Priesterverbrennung zu Stralsund, war ein historisches Ereignis, das sich im Jahr 1407 in der Hansestadt Stralsund ereignet hatte. Wütende Bürger verbrannten drei Priester auf dem Neuen Markt auf einem Scheiterhaufen. Die Ursachen für diese tragische Tat waren vielfältig und reichten von Meinungsverschiedenheiten über Opfergaben bis hin zur schwindenden Opferbereitschaft der Bevölkerung in den Kirchen. Der Konflikt verschärfte sich, als der Kirchherr Cord Bonow aus Zorn mit einer bewaffneten Truppe die Stralsunder Feldmark plünderte. Dies führte zur Rebellion der Stralsunder und letztendlich zur Verbrennung der Geistlichen. Die Ereignisse hatten auch weitreichende Auswirkungen – die daraus resultierenden Konflikte wurden erst 1416 beigelegt, nachdem hohe Geldsummen gezahlt worden waren.

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