von Mario Kandil
Kalendarium Kandili (49)
Fällt heute der Name Furtwängler, so denken viele Zeitgenossen weniger an den Dirigenten Wilhelm als an dessen Großnichte, die Schauspielerin Maria. Doch weit gehaltvoller als deren Darbietungen war das künstlerische Schaffen Wilhelm Furtwänglers, der vor 70 Jahren starb.
Bis der am 25. Januar 1886 in Berlin-Schöneberg als Sohn eines Archäologieprofessors Geborene als Dirigent umschwärmt und zugleich umstritten sein konnte, verging einige Zeit. Ursprünglich wollte Furtwängler gar nicht Dirigent, sondern Komponist werden. Erst als die Karriere als Komponist ausblieb, wandte er sich dem Dirigieren zu. Dennoch blieb für ihn das Komponieren ein Zentrum der Ruhe und der Kraft.
Nachdem Furtwängler seine Lehrjahre als Dirigent in Breslau, Zürich, München, Straßburg, Lübeck, Mannheim und Frankfurt am Main hinter sich gebracht hatte, erfolgte der große Sprung in seiner Laufbahn: Richard Strauss holte den damals 34 Jahre alten Furtwängler 1920 an die Berliner Staatsoper. Ab 1922 wirkte dieser als Chefdirigent des Berliner Philharmonischen Orchesters und zudem bis 1928 in derselben Funktion beim Gewandhausorchester in Leipzig. Obwohl Furtwängler die Ausgrenzung jüdischer Musiker durch die NS-Machthaber kritisierte, konnte er 1933 zum Ersten Kapellmeister und 1934 zum Direktor der Berliner Staatsoper aufsteigen. Denn für Joseph Goebbels wie für Adolf Hitler verkörperte er das Genie am Pult.
Trotzdem besaß der Dirigent keine „Narrenfreiheit“: Als er seine Kritik an der NS-Kulturpolitik öffentlich fortsetzte, zeigten die Herrschenden ihm die „Instrumente“. Furtwängler verzichtete auf seine öffentlichen Ämter, blieb aber weiter Staatsrat. Auch den Aufstieg Herbert von Karajans, den Hermann Göring als oberster Dienstherr der Berliner Staatsoper als Alternative zu Furtwängler aufbauen wollte, konnte er nicht verhindern.
Für Karajan, der ihm in der Tat ein rotes Tuch war, mußte Furtwängler immer öfter das Dirigentenpult räumen – auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Bildungsbürgertum, für das Furtwängler seine Kunst primär vorführen wollte, schwand als Publikum immer mehr. Dazu kam, daß er als „Hitlers gehätschelter Maestro“ international geächtet wurde und als solcher auf einer für 1955 geplanten Tournee in den USA unangenehme Pressefragen und Demonstrationen befürchtete. Auch ließ sein Gehör immer mehr nach. Doch sein Tod am 30. November 1954 in Ebersteinburg bei Baden-Baden enthob ihn dieser Sorgen.
Über den Autor:
Dr. phil. Mario Kandil M.A., geb. 1965, studierte in Aachen Mittlere und Neuere Geschichte, Alte Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte in Hagen. Nach langjähriger Tätigkeit im universitären Bereich und in der Erwachsenenbildung heute freier Historiker und Publizist. Forschungsschwerpunkte: Zeitalter der Französischen Revolution und Napoleons I. sowie der Nationalstaaten, Weltkriege und Kalter Krieg.