von Erik Lommatzsch
Zur Durchsetzung der unmäßigen Reparationsforderungen, die sich aus dem „Versailler Frieden“ ergaben, waren französische und belgische Truppen am 11. Januar 1923 ins Ruhrgebiet einmarschiert. Albert Leo Schlageter zählte zu denjenigen, die tatkräftig Widerstand leisteten. In Düsseldorf wurde er durch ein französisches Militärgericht zum Tode verurteilt und am 26. Mai 1923 hingerichtet. In Deutschland stieß das damit auf die Spitze getriebene Gebaren der Besatzer auf massive Empörung, die alle politischen Lager umfaßte. Schlageter wurde zum Mythos, zum Symbol von Widerstand und Behauptungswillen.
Weltkrieg, Baltikum, Annaberg, Ruhrgebiet: Von Front zu Front
Geboren am 12. August 1894 in Schönau im Schwarzwald als Sohn einer Bauernfamilie war er ein guter Schüler und sollte Priester werden. Formell war er auch in katholischer Theologie eingeschrieben, hatte sich jedoch 1914 als Freiwilliger gemeldet. Den Ersten Weltkrieg erlebte er an der Westfront, er wurde zum Leutnant befördert. Für riskante Patrouillengänge wurde ihm das Eiserne Kreuz I. Klasse verliehen. Nach dem Krieg stand Schlageter, dem man mit den Zuschreibungen „Draufgänger“ und „Abenteurer“ sicher nicht unrecht tut, mit dem Freikorps Medem im Baltikum gegen die Bolschewiken und war im Mai 1919 an der Eroberung Rigas beteiligt. In den Reihen der Marinebrigade Loewenfeld bekämpfte er 1920 den Arbeiteraufstand an der Ruhr im Nachgang des Kapp-Putsches. In Oberschlesien war er beim Grenzschutz eingesetzt und tat sich im Zuge der Auseinandersetzungen um die Oberschlesien-Abstimmung im Mai 1921 beim Sturm auf den Annaberg hervor. In der Grenzschutzzeit war Schlageter zur „Organisation Heinz“ gestoßen. Dieser Verband betrieb Spionage und ging zugleich gegen die Agenten der anderen Seite vor.
1923 wurde die „Organisation Heinz“ im besetzten Ruhrgebiet tätig, mit ausdrücklicher Billigung und Unterstützung von Reichsbehörden, die falsche Pässe und Waffen zur Verfügung stellten. Die Bevölkerung war nach der Invasion zu großen Teilen dem Aufruf des Reichkanzlers Wilhelm Cuno zum passiven Widerstand gefolgt. Die „Organisation Heinz“ konzentrierte sich nun auch auf Sabotageakte, um den Abtransport beschlagnahmter Kohle zu verhindern. Bei den Anschlägen auf Bahnstrecken, die Schlageter verantwortete und die ihm im Prozeß zur Last gelegt werden sollten, war niemand zu Schaden gekommen.
Die Umstände, die am 7. April 1923 zu Schlageters Verhaftung durch die Franzosen führten, bleiben ungeklärt. Eine später durchgeführte Untersuchung vermerkt „die Mitwirkung einer unbekannten Frauensperson“. Der Verratsvorwurf stand immer wieder im Raum. Hinzu kam, daß Schlageter, hier seinem Naturell folgend, mitunter unvorsichtig agierte.
Geführt wurde der Prozeß am 8. und 9. Mai 1923 im Gebäude des Düsseldorfer Landgerichtes. Fraglich ist, auf welcher Rechtsgrundlage ein französisches Militärgericht im Frieden auf deutschem Boden gegen einen Deutschen verhandelte. Die Verteidigung Schlageters und weiterer Angehöriger der „Organisation Heinz“ wurde behindert. So wurde die Anklageschrift den Anwälten erst kurzfristig zugestellt, zudem in französischer Sprache mit unzureichender Übersetzung. Als einziger der hier Angeklagten erhielt Schlageter die Todesstrafe. Dem Ansinnen seines Anwalts, ein Gnadengesuch zu stellen, verweigerte er sich, er wolle nicht „betteln“. Auf dem Exerzierplatz auf der Golzheimer Heide wurde der 28jährige exekutiert.
Mit dem bereits vor 1933 stürmisch verehrten Helden wollte nach 1945 kaum noch jemand etwas zu tun haben.
Parteiübergreifend war die Anteilnahme am Schicksal Schlageters im folgenden Jahrzehnt, selbst die Kommunisten zollten ihm Achtung. Die Franzosen nahmen von der Vollstreckung weiterer Todesurteile Abstand, mit Schlageter hatten sie einen Märtyrer geschaffen. Der Bogen erstreckte sich von der feierlichen Überführung des Leichnams in seinen Heimatort über zahlreiche Veranstaltungen, Gottesdienste, mehr oder minder gelungene Publikationen, die seine Biographie auch mit Erfundenem anreicherten, bis hin zum 1931 eingeweihten Schlageter-Nationaldenkmal in Düsseldorf. Vereinnahmt wurde er schließlich durch die Nationalsozialisten. Als „ersten Soldaten des Dritten Reiches“ präsentierte ihn der Dichter Hanns Johst in seinem Drama Schlageter. Nach 1945 galt er lediglich als NS-Ikone. Die umfassende, mitunter überbordende Verehrung vor 1933 war vergessen. Mit dem einstigen Helden wollte kaum noch jemand in Verbindung gebracht werden. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist der Schriftsteller Martin Walser, der 1981 über Schlageter schrieb: „Ich halte ihn für einen Braven, für einen Katholiken, für einen Begabten, für einen Bauernbuben, für einen Reinen, für einen, der erzogen wurde, Höherem zu dienen.“