Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

EGLV / Archiv
Die Emscher, einst die „Kloake des Ruhrgebietes“

Von den Kloaken Europas zur Abwasserfreiheit

von Matthias Bäkermann

Die Frankfurter Rundschau beschrieb 1964 die Lage drastisch: „Es gibt wohl niemanden mehr, der sich getraut, in des Maines Flut seine Füße zu waschen – geschweige denn, darin zu baden.“ Tatsächlich entwickelte sich der Rheinzufluß bereits nach dem Zweiten Weltkrieg immer weiter in Richtung Kloake. Als die Feuerwehr Mitte der 1960er-Jahre 400 Zentner stinkende Fischkadaver aus dem Fluß hievte, nahmen auch die letzten Campingplatzbesucher am Offenbacher Mainstrand Reißaus. Der zuständige Dezernent des hessischen Ministeriums für Landwirtschaft und Forste erklärte den Fluß kurz darauf offiziell für „biologisch tot“.

Silberglänzender Rhein – wegen kieloben treibender Fischkadaver

Nicht viel freundlicher sah die Lage an anderen deutschen Flüssen aus. Der Rhein war ein besonderes Sorgenkind. Überall schwammen Fäkalien an der Wasseroberfläche. Unterhalb von BASF in Ludwigshafen wechselte der Fluß jeden Tag seine Farbe, um nur wenige Kilometer flußabwärts bei den Mannheimer Zellstoffabriken Waldhof mit braunen Schaumkronen garniert zu werden. „Vater Rhein ist die größte Kloake Europas“, mußte Siegfried Balke, Bundesminister für Atomkernenergie und Wasserwirtschaft, 1962 kleinmütig einräumen. Und jeder Rheinzufluß verschlimmerte noch die Lage: Die größte Dreckzufuhr dürfte damals die Emscher geliefert haben, die „Kloake des Ruhrgebietes“. Probleme bereitete das auch den deutschen und holländischen Wasserwerken, denen es immer schwerer fiel, zwischen Köln und Rotterdam die Rheinbrühe in Trinkwasser für Millionen Menschen aufzubereiten. 1969 machte bei Koblenz ein Giftunfall dem Fluß den Garaus und vernichtete alles biologische Leben jenseits von Fäulnisbakterien. Es gab damals Fotos, die den Rhein silbrig glänzend zeigten, weil in Richtung Mündung immer mehr tote Fische kieloben darin trieben.

Weniger stinkend, aber genauso tot war bis zur Wiedervereinigung die Weser. Deutsch-deutsche Verhandlungen, die Kalizufuhr aus dem Bergbau in Thüringen zu regulieren, scheiterten wegen der wirtschaftlichen Dimension dieser Düngemittelproduktion für die DDR. „In der DDR ist alles grau, außer den Flüssen“, war dort die zynische Analyse über den ökologischen Wert der Fließgewässer, in welche nicht nur die chemische Industrie, sondern fast jede Stadt ihre Abwässer ungeklärt einleitete.

Elbe, Havel, Mulde und Spree galten streckenweise als ökologisch total zerstört.

Heute scheint diese Zeit ewig weit weg. Im Sommer planschen nun wieder Familien in der Spree, was selbst zu Kaisers Zeiten mindestens als skurril gegolten hätte. Überall ist die Gewässer-Güteklasse wieder auf II (mäßig belastet) oder I (unbelastet) hochgestuft worden. Das gleiche gilt für den Rhein, der bis zur niederländischen Grenze durchwegs Güteklasse II besitzt, wie auch Elbe, Main und Weser fast durchgehend. Heute ist der in punkto Wasserqualität hochanspruchsvolle Lachs in diesen Flüssen wieder heimisch. Das ist besonders bei der Elbe bemerkenswert, für die nach 1990 eine achte „Güte“-Klasse jenseits von „übermäßig verschmutzt“ eingeführt werden mußte. Heute sind selbst ihre Sedimente so sauber, daß sie für Strandaufspülungen verwendet werden und den gesetzlichen Ansprüchen von Spielplätzen genügen.

Die Donau war im Oberlauf nie sehr stark verschmutzt gewesen, erst ab Ingolstadt setzte früher eine kritische Belastung ein. Heute erfüllt die Donau bis zur deutsch-ungarischen Sprachgrenze westlich von Preßburg fast durchwegs die EU-Badeeinstufung gemäß RL 2006/7/EG von „Guter Qualität“. Daß die Donau heute trotzdem als einer der zehn dreckigsten Flüsse der Welt gilt, liegt eher an der in Ungarn, Serbien und Rumänien verursachten Verschmutzung. So fließen alle Abwässer der knapp zwei Millionen Belgrader immer noch ungeklärt in die Donau.

Flächendeckende mechanisch-biologische Kläranlagen als Schlüssel zur hohen heutigen Wasserqualität

Vielerorts wurde auch die natürliche Selbstreinigungskraft der Gewässer durch Renaturierung deutlich erhöht, sodaß die Wasserqualität der großen Ströme durch saubere Zuflüsse nun verbessert statt wie früher verschlechtert wird. Selbst aus der betonierten Abwasserrinne der einst stinkenden Emscher ist durch ein langwieriges und milliardenteures Renaturierungsprojekt eine grünwuchernde, idyllische Flußlandschaft entstanden, die seit 2022 sogar als „abwasserfrei“ gilt. So bleibt einzig die im rheinischen Karnevalslied beschworene Hoffnung, daß „aus dem Wasser des Rheins gold’ner Wein“ werde, weiterhin unerfüllt.

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