von Martin Hobek
Deutsche Lehnwörter im ost(mittel)europäischen Handwerk
Wer hatʼs erfunden?“, fragte der offensiv-selbstbewußte Schweizer in der Fernsehwerbung für ein Hustenzuckerl. „Wer hat´s aufgebaut?“, könnte man als Deutscher in den Raum stellen, wenn es um Osteuropa und Ostmitteleuropa geht – denn die deutschen handwerklichen Lehnwörter sind eine kaum endenwollende Beweismittelliste.
Die Gründe für die Vielzahl deutscher Lehnwörter sind mannigfaltig. Deutsche Minderheiten lebten relativ ausgedehnt in Streusiedlungen oder kleineren und größeren Sprachinseln und arbeiteten buchstäblich vorbildhaft für ihre Nachbarn. Aber auch die Hanse und das Magdeburger Stadtrecht, das lange auch für Städte wie Kiew oder Wilna galt, spielten natürlich eine Rolle.
Russisch als Fundgrube deutscher Lehnwörter
In Rußland ist das in einem starken Ausmaß auf die deutschstämmigen Herrscher zurückzuführen. Katharina II. die Große, holte viele Landsleute, um ihre neue Heimat vorwärtszubringen. Ein Wort ist auf den ersten Blick direkt mit Katharinas Zeit zu verbinden: Kulturell war damals Barockzeit, und in besseren Kreisen gehörte die Perücke einfach unverzichtbar dazu. Während wir meistens das französische „Friseur“ verwenden, gibt es noch heute im Russischen für den Haarschneider nur ein einziges Wort – den parikmacher, also den Perückenmacher. Hier eine winzige Auswahl weiterer handwerklicher Begriffe im Russischen, die uns nur zu bekannt vorkommen: abris (Abriß, im Sinne von Bauplan), werstak (Werkstatt), bormaschina (Bohrmaschine), lobsik (Laubsäge), stamesa (Stemmeisen), schteker (Stecker), canga (Zange), ciferblat (Ziffernblatt). Auch die schlang (Schlange) hat Eingang ins russische Handwerk gefunden – volksetymologisch interessant, denn gemeint ist der Schlauch.
Auch im Umfeld der Handwerksarbeit findet sich einiges. Heute wie damals hat der Handwerker zumeist in einer Tasche eine Jause für die Mittagspause dabei. In Rußland ist das heute noch ein buterbrod (belegtes Brot) in einem rjuksak (Rucksack). Das „Butterbrot“ wird in Rußland übrigens auch als solches bezeichnet, wenn sich alles Mögliche darauf befindet, aber keine Butter.
Zum Schmunzeln bringen die Sprachforscher solche Begriffe, die zeigen, daß bei den russischen Alteingesessenen und den deutschen Zugereisten mentalitätsmäßig Welten aufeinanderprallten. Der master (Baumeister, Vorarbeiter, Ausbilder) war meistens in Eile, weil er Aufträge zeitgerecht erfüllen wollte. Die Russen lernten so ein Wort, das sie in ihrer Sprache noch nicht hatten: cejtnot (Zeitnot). Die Deutschen hatten aber noch einen Nachteil: Sie waren skrupoljosnyj (skrupellos), womit die Russen aber penibel, pingelig meinen. Ein altes deutsches Wort im russischen Handwerk hat sogar die Anglizismenflut des digitalen Zeitalters überlebt: Während bei uns ausschließlich die „firewall“ verwendet wird, sagen die Russen tatsächlich brandmauer.
Würde man an dieser Stelle auf die deutschen Lehnwörter im Handwerk im weiteren Sinn (Bergbau, Seefahrt, Militär) eingehen, würde es den Rahmen kolossal sprengen. Die deutschen Entlehnungen in letztgenannter Sparte haben die Russen an so manche Unterworfene weitergegeben, welche diese wiederum sogar im zivilen Bereich einpflanzten. Schaut man in Lettland bei einer Busstation auf den Fahrplan, so liest man maršruts, das vorherige russische „marschrutka“ und das ursprüngliche „Marschroute“.
Spuren der deutschen Sprache von Ungarn bis Estland
Allgegenwärtig sind deutsche Lehnwörter auch im Polnischen, sodaß man nur mit offenen Augen durchs Land gehen muß, etwa wenn man in einem öffentlichen Gebäude liest, daß die winda (Aufzug) bis zum dach (Dach) führe. Polnischer Lieblingsbegriff des Autors dieser Zeilen ist der zegarmistrz (auszusprechen ungefähr als „segarmistsch“). Mit diesem Zeigermeister ist gleichermaßen putzig wie poetisch der Uhrmacher gemeint.
Wenig überraschend gilt das auch für das Tschechische, von cihelna (Ziegelei) über drát (Draht), kýbl (Kübel/Eimer) und sicherhajcka (Sicherheitsnadel) bis vercajk (Werkzeug). Des Verfassers Favorit ist hier ein Begriff, der nicht mehr als ursprünglich deutsch erkannt wird, weil er aus dem Mittelalter stammt: der truhlář für den Tischler, also den „Truhenmacher“.
Ukrainisch, Ungarisch u.Ä. und leider auch das für uns oft unterhaltsame Estnisch (z. B. rüütel für Ritter) können hier aus Platzgründen nicht abgehandelt werden. Aber auch diese Idiome würden keine Ausnahmen darstellen, wenn es um deutsche Entlehnungen im Handwerkerjargon geht.