Monatszeitschrift für Politik, Volkstum und Kultur.

Vier Ströme, ein Brunnen und ein Skandal

von Martin Hobek

Was passiert, wenn vier große Flüsse, noch dazu Ströme, auf engstem Raum aufeinandertreffen? Es kommt zu einem Eklat in Wiens besserer Gesellschaft. Um das Rätsel aufzulösen: Es geht um den Austriabrunnen auf der Freyung, einem prominenten Platz in Wiens erstem Bezirk.

Österreichs Kaiser Ferdinand I. (1835-1848) wurde von offizieller Seite als „Ferdinand der Gütige“, von Wiens Bevölkerung als „Gütinand der Fertige“ bezeichnet. Inzuchtbedingt hatte er nur vier Urgroßeltern, aber dafür einen Wasserkopf und wies keinerlei Führungsqualitäten auf, was dem tyrannischen Staatskanzler Metternich nur recht war. Bei der Thronbesteigung verzichtete Ferdinand auf die Krönungsgeschenke zugunsten des Baus einer Wasserleitung, die erstmals auch den westlichen Vororten zu Trinkwasser verhelfen sollte. Das Geld reichte allerdings nicht aus, und die Stadt Wien mußte einspringen. Die Eröffnung 1846 diente zum Anlaß für einen Brunnen, eine der wenigen Gelegenheiten für die Gemeinden, selbst Denkmäler zu gestalten.

Die Wiener ahnten nicht, daß damit eine Serie von Enttäuschungen ihren Anfang nahm. Zum Zug kam kein Künstler aus der Stadt, sondern der Starbildhauer seiner Zeit, der Münchner Ludwig Schwanthaler (1802-1848). Da dieser die österreichischen Ströme ins Zentrum stellte, war auch bald klar, daß aus dem angedachten Vindobonabrunnen ein Austriabrunnen werden würde. Damit konnte man andererseits auch Schwanthaler besser argumentieren, denn dessen Eltern stammten aus dem oberösterreichischen Ried im Innkreis. Das nächste Fettnäpfchen Schwanthalers war sein geringes Honorar von 3.750 Gulden, das nur einen Bruchteil der Gesamtsumme von 53.000 Gulden für den Brunnen darstellte. Schwanthaler schnappte also den Wiener Bildhauern nicht nur den begehrten Auftrag weg, er verdarb auch die Preise für künftige Projekte.

Vier österreichische Ströme: die Elbe, die Weichsel, die Donau und der Po…

Für eine richtige Welle der Empörung sorgte Schwanthaler schließlich durch seine künstlerische Umsetzung. Die über allem stehende Austria wäre noch locker durchgegangen. Gerüchteweise hatte Alma von Goethe, die Enkelin des Dichterfürsten, Modell gestanden. Diese war allerdings schon 1844, zwei Jahre vor Fertigstellung des Brunnens, knapp 17jährig in Wien im Zuge einer Typhusepidemie gestorben. Unter der Allegorie der Austria befanden sich vier österreichische Ströme: die Elbe, die Weichsel, die Donau und der Po. Diese Ströme versinnbildlichten nicht nur die vier Himmelsrichtungen und vier verschiedene Meere, nämlich Nordsee, Ostsee, Schwarzes Meer und Adria, sondern auch die vier Volksstämme der Germanen, Slawen, Madjaren und Italiener. Metternich, der Schwanthaler eigens in München besucht hatte, zeigte sich zufrieden mit der Symbolisierung der Botschaft der habsburgischen Dominanz in Mitteleuropa und darüber hinaus.

Der Brunnen begeistert heute durch seinen Detailreichtum. So stützt sich etwa die Elbe auf den Riesen Rübezahl, der im Kontext eher wie ein Gnom wirkt. Das war den Wienern egal, doch eine Kombination aus zwei „Vergehen“ sorgte dafür, daß sie nach Luft schnappten: Flüsse waren bislang immer liegend dargestellt worden, und die geschlechtliche Verkörperung richtete sich nach dem lateinischen Namen. Die Donau war also immer ein liegender herkulischer Danubius. Schwanthaler richtete die Flüsse aber auf und orientierte sich an ihren deutschen Namen, und so traute das Wiener Bürgertum seinen Augen nicht ob einer Donau als stehender Nymphe! Das Urteil der Wiener war vernichtend. Der Biedermeiermaler Georg Ferdinand Waldmüller sprach paradoxerweise von einem „Ideenbankrott“ Schwanthalers.

Die Wiener gewannen das Denkmal – Wasser sprudelt bei diesem Brunnen nur spärlich – erst mit einem halben Jahrhundert Verspätung lieb und auch das nur, indem sie Schwanthaler posthum eine Straftat nachsagten: Der Künstler habe im Inneren der Austria Zigarren geschmuggelt, diese aber nicht mehr bergen können. So kam es zum „Zigarrlbrunnen“ des Volksmundes. Als man später den Brunnen aus technischen Gründen abbaute und im Inneren Nachschau hielt, entpuppte sich der angebliche Zigarrenschmuggel als Erfindung.

Abschließend sei noch ein kurios anmutendes Detail erwähnt: Die Donau wurde nicht – wie von den Auftraggebern als selbstverständlich vorausgesetzt – auf der Donau von Bayern nach Wien transportiert, sondern auf Betreiben Schwanthalers auf dem Landweg. Im Strudengau lag nämlich aufgrund der namengebenden Strudel ein äußerst gefährlicher Flussabschnitt – auch nachdem Maria Theresia zur Entschärfung ein paar Felsen hatte sprengen lassen.

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