von Norbert Prohaska
Vor siebzig Jahren, am 4. Februar 1955, starb in Graz der sudetendeutsche Schriftsteller Robert Hohlbaum im 69. Lebensjahr. Er kam aus Jägerndorf/Krnov, der fast ausschließlich von Deutschen bewohnten Provinzstadt in Österreichisch-Schlesien, hatte in Graz Germanistik studiert und war dort sowie in München Mitglied von Studentenverbindungen wie der Stiria Graz, der Carniola Graz, der Carolina zu Prag u. a. geworden.
Schon früh lieferte Hohlbaum für die Wiener humoristische Wochenzeitschrift Die Muskete (1905-1941) Beiträge, von dort war er mit Mirko Jelusich und Rudolf Hans Bartsch befreundet, beruflich war er an der Wiener Universitätsbibliothek als Bibliothekar tätig. Während des Ersten Weltkrieges kämpfte er drei Jahre lang als Offizier an der Piavefront – der Zusammenbruch des über Jahrhunderte zusammengewachsenen Vielvölkerstaates und seiner Ordnung erschütterte Hohlbaum tief. Das Schicksal der sudetendeutschen Volksgruppe war ihm sehr wichtig, so kreisen seine Werke um diese und ihre Geschichte; sie schildern die Bedrohung der sudetendeutschen Heimat durch die benachbarten Tschechen und Polen – wie im Roman Grenzland (1921), den er Rudolf Lodgman, dem Reichsratsabgeordneten und kurzfristigen Landeshauptmann des Sudetenlandes, widmete.
So wie dieses zuvor durch die Monarchie gefestigt war, so erhofften nun nach 1918 viele sudetendeutsche Schriftsteller Unterstützung aus dem größeren Deutschland. Hohlbaums stark entwickeltes Deutschbewußtsein ist wohl aus der ständigen Konfrontation des Grenzlanddeutschen mit seinen nationalen Gegensätzen zu erklären, es wird angetrieben aus dem Wissen um die Werte deutscher Kultur, die man verteidigen müsse, daher drehen sich seine Bücher auch um die Musik (Himmlisches Orchester, 1923; Die Herrgotts-Symphonie, 1925) und das studentische Leben (Die Raben des Kyffhäuser, 1927).
Heimat
Nie war ich dir inniger verbunden,
Als in diesen schwarzen, dunklen Stunden,
Da verschlossen mir dein gastlich Tor,
Da dein Wappen trägt den schwarzen Flor, Heimat!
Nie fühlt᾿ ich das Wehen deines Windes
Mit des Muttersehnsucht eines Kindes,
Das im letzten bangen Angstgebet
Fürchtet, daß ihr Atem stillesteht, Heimat!
Deine Berge waren nie so nah᾿,
Als ich sie mit sattem Auge sah,
Deine Wälder rauschten nie so sacht,
Wie in meine ferne Sehnsuchtnacht, Heimat!
Hohlbaum verfaßte nach seiner Übersiedelung nach Duisburg und der Übernahme der dortigen Stadtbibliothek (1937) einen Beitrag für das Bekenntnisbuch österreichischer Dichter, herausgegeben vom Bund deutscher Schriftsteller Österreichs, das dessen Anschluß an das Reich aus wirtschaftlichen Gründen begrüßte. 1942 bis 1944 hatte er die Leitung der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar inne, ehe er 1944 nach einer ideologischen Kontroverse mit dem dortigen Gauleiter aus dem Amt schied. In dieser Zeit schrieb er den Goethe-Roman Das Sonnenspektrum (1951).
Hohlbaum blieb nach dem Kriegsende kurzfristig als Hilfsgärtner und Ziegenhirte in Weimar, arbeitete weiter in seinem Beruf als Schriftsteller und schrieb unter dem Titel Tedeum an einem Buch über Anton Bruckner. 1951 wurde die Heimkehr nach Österreich möglich, wo er sich in Henndorf bei Salzburg niederließ; er starb wenig später allzufrüh in Graz.
Was bleibt heute von Robert Hohlbaum, der früher so manche wertvolle Dichterehrung erhalten hat wie 1951 den „Adalbert-Stifter-Literatur-Preis“ für heimatvertriebene Schriftsteller und 1952 den „Rosenring“ des Österreichischen Künstlerbundes? Die Leser, die durch seine Werke geprägt wurden, werden wohl immer weniger, vermutlich nimmt auch die Zahl seiner im Antiquariat erhältlichen Werke immer mehr ab, Neuauflagen gibt schon lange nicht mehr. Ist sein Werk überlebt? Immer wieder erhalten viele Künstler aus Hohlbaums Generation den Vorwurf, den damals Regierenden allzunahe gestanden zu sein, es wird aber kaum anders möglich gewesen sein, schriftstellerisch zu überleben. Jene, die offensichtlich andere Werte vertreten haben, wurden totgeschwiegen, nur wenigen war trotzdem das künstlerische Überleben möglich.
Doch ist Hohlbaums Werk dadurch etwa schlechter geworden? Hat Schostakowitschs „Kniefall“ vor Stalin seine Musik abgewertet? Sind Fürstendiener in der Vergangenheit für Fehler anderer Herrscher verantwortlich gemacht worden? Oder gilt das nur für Bartsch, Brehm, Breker, Grogger, Hohlbaum, Thorak, Weinheber und andere? Carl Orff ist heute exkulpiert – trotz seiner Gegenkomposition zu Mendelssohns Konzertouvertüre Ein Sommernachtstraum; seine Carmina Burana sind wohl noch immer das beliebteste Chorwerk des 20. und 21. Jahrhunderts. Thomas Mann schrieb im Herbst 1946 sehr selbstgerecht: „In meinen Augen sind Bücher, die von 1933 bis 1945 in Deutschland überhaupt gedruckt werden konnten, weniger als wertlos und nicht in die Hand zu nehmen. Ein Geruch von Blut und Schande haftet ihnen an. Sie sollten eingestampft werden.“ Darunter waren Werke der „Inneren Emigration“ (z. B. von Erich Kästner), aber auch Thomas Manns eigener Roman Joseph und seine Brüder, in genau dieser Zeit, 1933/34, fertiggestellt, gedruckt und veröffentlicht. Zuvor hatte er selbst in seinem berühmten offenen Brief an Eduard Korrodi vom 3. Februar 1936 die Existenz einer Inneren Emigration ausdrücklich bestätigt und vor der Selbstgerechtigkeit der Exilanten gewarnt.